Einer neuen Zukunft entgegen (1) - Nordsee

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  • Gewidmet allen Otherkins und allen, die sich mit dieser Geschichte identifizieren können
                                    

Dieses Erlebnis habe ich vor ein paar Jahren während meiner Kur an der Nordsee geschrieben, da es mich persönlich sehr stark beschäftigt hatte.

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen.

Liebe Grüße

Auru

(c) Copyright by Auruliyuth

 Ein paar Tage Erholung hatte der Arzt gemeint, das würde mir gut tun nach all der Aufregung. Also habe ich brav meine Koffer gepackt und bin hierher an die Nordsee gefahren.

Um nicht zu sehr aufzufallen habe ich, wie fast alle hier, öffentliche Verkehrsmittel gewählt. Obwohl mir die vielen Menschen und der Zeitdruck zu wider sind, hatte ich doch bis zur Ankunft in der Klinik tapfer durchgehalten. Erst auf meinem Zimmer erlaubte ich mir durchzuatmen, und die Anspannung des Tages fiel etwas von mir ab.

Während ich im Badezimmer meine Utensilien auspackte, sah ich zum ersten Mal seit Stunden wieder bewusst in einen Spiegel. Für einen Moment hielt ich inne und betrachtete mein Spiegelbild eingehend. Nein, da gab es keine Auffälligkeiten. Obwohl ich unterwegs immer wieder den Eindruck hatte, dass mich alles anstarrte... ich sah aus wie immer... naja, vielleicht etwas abgekämpfter als sonst. Mir schaute eine brünette jugendlich wirkende Frau entgegen, zwar etwas müde, aber sonst nichts auffälliges.

Dabei hatte ich erst vor einigen Tagen dieses seltsame Erlebnis, das mich veranlasst hatte einen Arzt aufzusuchen. Ich hatte das beherrschende Gefühl gehabt verrückt zu werden. Ich meinte plötzlich, dass mir meine Haut zu eng wäre. Es fing damit an, dass es auf meinem Rücken zwischen meinen Schulterblättern heftig zu jucken anfing. Auch sah ich „wie aus großer Höhe“ auf alles hinunter – es fiel mir sogar schwer zu laufen, so als würde ich meine Füße ständig verwechseln. Ich hielt das alles für Sinnestäuschungen und Tagträume – ich und ein Drache sein, das war doch fast gar unmöglich ... ich sollte nicht so viel Verrücktes träumen ...

Natürlich ging ich, wie es sich geziemt, zum Arzt, der mich zunächst ungläubig ansah, und dann logisch fragte, wann meine letzte Auszeit gewesen sei. Natürlich war mein letzter richtiger Urlaub schon geraume Zeit her, eigentlich sogar über fünf Jahre, so dass die Diagnose für den Arzt recht einfach erschien.

Zusätzlich vor dem Besuch beim Arzt hatte ich auch das elektronische weltweite Netz durchstöbert, nach allem, was mit meinen Symptomen und dem Gefühl, ein Drache zu sein, zusammen hängen könnte. Ich war auf seriös erscheinenden Seiten, aber auch auf mysteriösen oder gar dubiosen Seiten gelandet. Auf einigen Seiten las ich sogar über Menschen, die meinten, nicht im richtigen Körper zu stecken. Je mehr ich las, desto weniger begriff ich meine eigene Situation. Was hatte das alles mit mir zu tun? Oder bildete ich mir alles nur ein?

 Um mehr zu erfahren, hatte ich mich zunächst auf einigen Seiten mit dem Alias „Albino“ angemeldet. Das erschien mir logisch, ich kam mir schließlich ebenso andersartig vor - und wurde dennoch freundlich, teils sogar herzlich, begrüßt... und Kontakt wurde mir ebenfalls sofort vielfach angeboten. Aber alles ging so rasant schnell. Viel zu schnell.

Ich brauchte Abstand. Abstand von der Familie, Abstand vom Beruf, aber vor allem Abstand von meinen wirren Gedanken, die mir beim besten Willen nicht mehr aus dem Kopf gehen wollten.

Ich sollte wirklich alles einmal setzen lassen.

Jetzt, nachdem ich eine ganze Prozedur an Terminen, Untersuchungen und Formularen hinter mir hatte, war ich also hier zur Kur angemeldet und sollte zu mir selber finden, wie der Arzt gemeint hatte. Wie sehr er mit diesem Satz Recht haben sollte, begriff ich auch erst viel, viel später.

 Mein Spiegelbild starrte mich immer noch an, müde, gestresst und abgekämpft, auch wegen meiner noch nicht zu kontrollierenden Empathie. Aber ich musste noch einmal zu den anderen, zur Begrüßungsrunde und zur Hausbesichtigung. Ich ermutigte mich selber: „Steffi Reimor, das bisschen schaffst du nun auch noch, du bist schon so weit gekommen.“

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