Zuerst

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Im Gegensatz zu den meisten Geschichten von Mädchen, die auf kleinen Inseln lebten, auf denen jeder jeden kennt und jeder mit jedem irgendwie verwandt war, wollte Kitty Mallard nie die große weite Welt sehen.

Sie hatte nie das Bedürfnis ihre sieben Sachen zu packen und loszuziehen und genauso wenig hatte sie das Gefühl zu etwas größerem bestimmt zu sein.

Noch nicht mal als kleines Kind, wo die meisten Weltenentdecker und Piraten waren die fremde Kontinente erforschten und mit deren Einheimischen zu Abend aßen, während sie ihren Geschichten von großen Bestien und unergründlicher Wildnis lauschten.

Nein Kitty, die ihren Namen noch nie gemocht hatte, konnte von sich behaupten, dass sie ihre Insel liebte.

Sie liebte die rauen Wellen und die spitzen Felsen, die unter den steilen Klippen aus dem Ozean heraus ragten.

Sie liebte die wuchernden Sträucher, die im Frühjahr weiß blühten und im Herbst zu knochenartigen Gerippe wurden, knackend und ächzend unter ihren schweren Stiefeln.

Als einziges Kind ihrer Eltern wuchs sie unter dem Dach ihres Hauses auf, im Sommer staute sich dort die Hitze und die Sonnenstrahlen ließen die tanzenden Staubflocken glitzern.

Im Winter rüttelte der vom Ozean kommende salzige Wind am Dachgebälk und ließ die Regentropfen wie Kieselsteine gegen die Dachfenster prasseln.

Eine Fähre legte jeden Morgen außer sonntags um 6.30 am kleinen Hafen an und pünktlich um 7.00 wieder ab, abends brachte sie neue Menschen oder dieselben, die zuvor am Morgen eingestiegen waren wieder zurück.

Diese Dinge waren das Ticken der Insel, das pumpende Herz wie Ebbe und Flut, das kontinuierliche Ritual, so grundlegend verankert in den Leben der Bewohner, dass Kitty befürchtete, wären sie einmal nicht mehr, würde es sie auch nicht mehr geben.

Es war egal, wie ungestüm die See und wie penetrant der Wind, die Fähre würde fahren und sie würde auch wieder am Abend brummend und zitternd im Hafen anlegen.

Als Kind hatte Owen Mallard seine Tochter oft mitgenommen, sie hatte im Führerhäuschen gesessen und ihren Bauch mit ‚After Eights' vollgeschlagen bis ihr von der vielen Minze schlecht geworden war und sie sich würgend an der Reling festhalten musste während Lianna, die jeden Tag mit der Fähre zur Arbeit auf dem Festland fuhr, kopfschüttelnd ihre Haare gehalten hatte und ihr Vater lachend von seinem Steuer aus seiner Tochter zugesehen hatte.

Und wie Kitty, mit leicht flauem Magen den Rest der Fahrt draußen an der frischen Seeluft gesessen hatte und die Fahrgäste beobachtete, wusste sie, dass sie später ihrem Vater versprechen musste, nichts davon ihrer Mutter zu erzählen, die aber natürlich an der blassen Nasensitze und den schokoladenverschmierten Mundwinkeln ihre Tochter sofort erkennen würde, in welchem Ausmaß sich diese wieder an dem ‚After Eight' Vorrat ihres Mannes bedient hatte.

Das Kitty in ihren frühen Teenager Jahren etwas pummelig gewesen war und auch heute noch ‚Babyspeck' wie sie es gerne nannte an gewissen Stellen vorzufinden war, war mit Sicherheit auch die Folge von ihrer Liebe zu Mintschokolade.

Janet Mallard, die immer versucht hatte ihre Tochter gesund und kalorienarm zu ernähren, war eine dünne, hochgewachsene Frau mit von grauen Strähnen durchzogenem dunklem Haar und eisblauen Augen. Sie bevorzugte es Leinenhosen und schlichte schwarze Blusen zu tragen und um ihren Mund hatten sich bereits einige kleine Fältchen vom Lippenspitzen gebildet.

Neben ihr kam sich Kitty immerzu schrecklich trampelhaft und dumm vor, was nicht zuletzt an dem abschätzenden Blick lag, den ihr Janet in letzter Zeit immer öfter zu warf.

Es begann mit den immer schlechter werdenden Schulnoten, über zu den, ihrer Meinung zu politisch links orientierten Kommentaren ihrer Tochter bis hin zu dem sanften Geruch von Zigaretten, der ihr Haar umhüllte.

Bis auf ihre Augen, hatten Mutter und Tochter nur wenig gemeinsam und würden es auch immer haben.

Zu Janets Enttäuschung würde ihre Tochter wohl nie anstreben Bürgermeisterin oder irgendein anderes politisches Amt zu werden, wohingegen sie persönlich seit mehr als fünf Jahren die stolze Bürgermeisterin der kleinen, zentralen Stadt Little Waters war.

Das Familienverhältnis der Mallards war wohl ein gesundes, wenn auch nicht traumhaftes, welches Kitty, trotz der periodisch auftretenden Kühle ihrer Mutter, zu einer der besseren Versionen ihrer selbst gemacht hatte.

Kitty bevorzugte es dunkelblau Doc. Martens zu tragen, die momentan einzigen Schuhe in ihrem Besitz und ihrer Meinung auch die einzig notwendigen.

Eine Zimmerwand war vollgestapelt mit Kriminalromanen, welche das einzige Buchgenre war, welches es jemals geschafft hatte Kitty zum Lesen zu begeistern.

Sie vergrub sich gerne darin, allen voran, wenn sie von Stieg Larson oder Elizabeth Georg(einige ihrer präferierten) Autoren geschrieben waren.

Ihr Zimmer war meist hell erleuchtet von dem Licht, welches durch die großen Fenster viel, aber über ihrem weißen Metallgitterbett hingen noch eine bunte Sammlung an Lichterketten, welche, schloss man alle Ketten gemeinsam an, die Sicherung im Haus rausfliegen lassen konnten, vor allem wenn sich ihre Mutter unten im Bad gerade noch föhnte.

Sonst war ihr Zimmer, bis auf einen Kleiderschrank und eine Topfpflanzte namens Bert auch ziemlich leer und so mochte sie es auch gerne... übersichtlich.

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⏰ Last updated: Sep 02, 2017 ⏰

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Als Ramsey mit der Fähre kam und andere KatastrophenWhere stories live. Discover now