Hängetitten

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„Ein Leben ohne Möpse ist möglich, aber sinnlos." 

Loriot 

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Mein Freund, ich bitte nicht nur dich, sondern auch Sie, ja genau Sie, sehr verehrte mittelalte Leserin um Verzeihung. Es ist mir bewusst, dass dieses Schriftstück vor nicht allzu langer Zeit ein verwerfliches Dokument war. Aber ich kann Sie beruhigen, auch ich wachse an meinen Aufgaben.  

Lange, eigentlich viel zu lange habe ich mit mir und meinem Gewissen gerungen. Soll ich oder soll ich nicht? Bin ich so mutig, dass ich es tun soll, oder soll ich nicht, weil ich nicht darf? Darf ich es wagen, oder steht es mir, rein anatomisch gesehen, nicht zu, dieses brisante Thema anzureißen? Werde ich unter absingen wüster Lieder in die diskriminierende Schublade des „infantilen Schmierfinks mit Mutterkomplex" gestellt, oder was für mich und mein Gewissen noch schlimmer wäre, verdächtigt und diffamiert, mit der ausbeuterischen Miederschlüpferindustriemafia aus Paris und Burladingen gemeinsame Sache zu machen? Lässt sich mein künstlerisches Schaffen, orientiert an Schop(p)enhauerschen Ansprüchen, auch jetzt und in Zukunft noch mit den hohen Erwartungen meiner Leserschaft vereinbaren? Große Zweifel waren meine ständigen Begleiter, und auf schlichte Fragen fand ich lange Zeit keine vernünftige Antwort. Nachdem jedoch bei Ausgrabungen im altertümlichen Alexandria eine über fünf Meter hohe Kolossalstatue mit Hängetitten gefunden worden ist, und der von mir verehrte Loriot einst altersweise und mit einem Anflug von wissendem Lächeln sagte: „Ein Leben ohne Möpse ist möglich, aber sinnlos", fiel mir die Entscheidung leichter. Trotz vieler Zweifel und seelenbedrohender Anfeindungen muss ich heute mit vollem Herzen zu meinen Taten stehen. Die demokratische Mehrheit hat mich dazu gedrängt, und die Entscheidung ist unabänderlich getroffen. Was offen, ehrlich und schonungslos auf blütenweißes Papier gehört, muss auch geschrieben werden. Dazu stehe ich und ich kann nicht anders. Die Mehrzahl meiner vermutlich männlichen Leser in vorzugsweise gesetzteren Jahren wird meine Motivation verstehen. Doch das ist noch nicht alles. Nur heute erhalten auch aufgeschlossene Leserinnen einen wichtigen Zusatznutzen, sofern sich der rosamundeverwirrte Geist nicht zu sehr gegen das zu Unrecht literarisch verpönte, und darum unaussprechliche Wort sträubt.  

Und hier ist es - das Ergebnis meiner langjährigen Arbeit. Doch zuvor noch einige erklärende Vorworte.

Während Frauen jeden Alters und mit der geschlechtsspezifischen Leichtigkeit des weiblichen Seins im Hier und Jetzt, ausführlich und oft übertrieben detailverliebt über jeden Schweinskram schreiben, unter dem modisch flatternden Fähnchen der Befreiung vom Joch des seit Jahrhunderten angeblich dominierenden Mannes aber gern vergessend, dass das Matriarchat ein klassischer Flop war, ihre anatomischen Feuchtgebiete bis weit über die Grenzen literarischer und magendarmschonender Erträglichkeit verarbeiten sollen, gibt es für den ernsthaft denkenden und schreibenden Mann enge Grenzen. Literarisch gesehen ist es ihm gestattet im trögen fachlich-technischen Bereich Daten und Fakten zu sammeln und in eine für den männlichen Bildungsbürger mehr oder weniger lesbare Form zu bringen. Tunlichst und politisch-asexuell orientiert, soll er sich - möglichst Gender-Mainstream gefügig - in neutralen Themen austauschen. Wenn ihm das nicht gelingt, vielleicht weil es widernatürlich wäre, darf er, vorzugsweise nach hübschem weiblichem Lob schielend, sich dankbar ergebend und mit lyrisch-warmgeduschten Kurzergüssen in die zartfeminine Ex-Hausfrauenseele hineinschreibseln - immer hoffend dass sein mental-violettes Latzhöschen auch wohlwollend bemerkt und mit verschwurpelte formulierter Resonanz gewürdigt wird.  

Für den mitten im Leben stehenden, den erfahrenen und phantasievoll-beobachtenden Mann gibt es immer noch viele Tabus, über die er besser nicht berichten sollte, weil es sich auch im ersten Zehntel des neuen Jahrtausends nicht gehört. Jedenfalls nicht in der Denkweise vieler in Fahrrad- und Biolädchenfolklore bewegter Oberlehreranwärter (ohne diesem Berufstand ein pauschales Klischee zuzuweisen), und auch nicht im Gefühlsbereich manch einer durch frühlingswährige Blumenwiesen, auf Ameliewölkchen nachpilchernde Dreizeilen-Lyrikerin.  

HängetittenWhere stories live. Discover now