14 Kapitel

31.2K 1.1K 45
                                    


Samantha P.o.V.

"Aber, sie ist so anders als du. Wie konntest du mit ihr befreundet sein", fragte Elli entsetzt. Sie nahm echt nie ein Blatt vor dem Mund. Seit zehn Minuten hatte sie schon mit der Tatsache zu kämpfen, dass Hannah und ich befreundet waren. Zwar war es meistens eine Zwecksfreundschaft gewesen, aber eine mit Spaß und doch einem gewissen Etwas. Wir waren beide mit einem gewissen Stempel an dieser Schule behaftet. Durch die Freundschaft waren wir nicht alleine gewesen und hatten einen Leidensgenossen. "Wüsste ich inzwischen auch gerne", nuschelte ich und starrte weiter auf meinen Apfel. "Sie war nicht immer so. Sie ist eigentlich total nett und witzig und so. Aber wenn sie mit Leon zusammen ist, mutiert sie zur Bitch. Sie denkt, sie ist muss so sein wie die anderen, damit er sie mag." Traurig sah ich Elli an. "Das ist doch Schwachsinn! Grr, ich könnte Leon echt umbringen. Kaum zu glauben, das ich mit dem da verwandt bin", zischte sie und biss wütend in ihr Sandwich. Dieses Mädel brachte Frustessen auf ein neues Level. Mit großen Aggressionen zerkaute sie jeden Bissen und vernichtete das arme Essen in Sekundenschnelle.

Schmatzend zeigte sie rüber zu dem beliebten Tisch. "Schau sie dir mal an. Wenn ich sie so sehe, kann ich irgendwie nicht glauben, dass sie mal anders war." Ich nickte nur. Ich musste nicht dorthin schauen, um zu wissen, was sich dort so tat. Ich kannte Hannah in dieser Phase ihres Lebens genauso gut, wie in jeder anderen Phase, die sie je durchlebt hatte. "Wieso hasst du Leon eigentlich", fragte ich jetzt interessiert. Sie stoppte mitten in den Bewegung und hielt das zweite Sandwich genau vor ihrem Mund. Dann seufzte sie und legte es zurück. "Er war mir immer zu arrogant und selbstverliebt. Als wir kleine Kinder waren, hat er immer meine Sandburgen zerstört, nur weil sie besser als seine waren", sie schaute traurig auf den Tisch. In ihren Augen lag ein leichter Glanz. "Deswegen hasst du ihn? Wegen Sandburgen", fragte ich ungläubig. "Naja, seit dem mochte ich ihn nicht. Hassen tu ich ihn, seitdem er mir meine Konfirmation versaut hat. Er hat mir mit voller Absicht ein Bein gestellt, so das ich hingefallen bin. In der Kirche! Und bei meiner Feier hat er mich in unseren Teich geschubst, nur weil er keins meiner Geschenke haben durfte. Ich meine, hallo? Das waren meine Geschenke und nicht seine! Meine Eltern haben mir natürlich nicht geglaubt. Vor Erwachsenen tut er immer einen auf nett. Und naja, dass wurde halt dann auf meine angebliche Tollpatschigkeit geschoben!" Ihr Blick schweifte kurz ab. Abwesend schaute sie rüber, dann zuckte sie zusammen und wirbelte so heftig herum, dass ihr langer Zopf mich fast traf. In meinem Kopf sah ich gerade Leon, vierzehn Jahre alt und im Anzug, wie er beleidigt ein unschuldiges blondes Mädchen, dass auch noch seine Cousine war und wie ein Engel aussah, in den Teich schubste. Ich konnte nicht anders und musste lachen. Und das tat erstaunlicher Weise total gut. "Hey, das ist nicht witzig", versuchte Elli sich zu beschweren, doch auch sie musste lachen. Ein amüsiertes Zucken breitete sich auf ihrem Mundwinkel aus. "Okay, hast recht. Als Erzählung klingt das echt witzig." Grinsend nahm ich meinen Apfel und mampfte ihn auf, während Elli schon ihr drittes Sandwich verdrückte. Hallo? Dieses Mädel war so dünn wie ich und fraß viel mehr. Und mich konnte man als essgestört abstempeln, da ich kaum was aß. Wie konnte sie bei diesem Essverhalten überhaupt noch in ihre Hosen passen?

Doch da gab es noch was, was ich wissen musste: "Wieso hast du mich noch nicht nach meinem Gesicht gefragt?" Elli schaute mich kurz mit ihren braunen Augen an, dann zuckte sie mit den Schultern. "Weißt du, wenn du es erzählen willst, erzählst du es. Wenn nicht, dann nicht. Ich meine, ich würde einer Fremden auch nicht sofort meine Lebensgeschichte erzählen."
Okayyy, dafür redest du aber ziemlich viel von dir.
Da hatte mein Kopf aber recht. Elli erzählte echt viel. Mehr als die Lehrer in sechzig Minuten Unterricht. Und sie schaffte es, mehr zu erzählen und das in vielleicht gerade mal 30 Minuten! "Hast du heute schon was vor? Weil wenn nicht, könntest du mir ja die Stadt zeigen", wechselte Elli das Thema. Sie sah mich so begeistert an, dass sich mein Magen zusammenzog. "Natürlich. Es gibt ja nichts besseres, als in den Freizeit Klassenkameraden zu treffen", meinte ich ironisch, weil man in der Stadt immer auf jemanden aus der Klasse traf. Außerdem hätte ich dann sie und ihre überschüssige Energie an der Backe. Ob ich das einen Nachmittag lang ertragen würde, war sehr fragwürdig. "Okay, super. Dann treffen wir uns gegen drei Uhr beim Rathaus? Das ist der einzige Ort von dem ich weiß, wo er ist.", grinste sie. Ich glaube, Ironie müsste ich ihr nochmal erklären.

I'm not living, I'm just survivingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt