chapter 13 - aggression

11K 576 142
                                    

Als wir aus der Toilette heraustraten, ließ Rewi meine Hand sofort los und ließ mich mit einem Kopfschütteln verstehen, dass er keine Berührungen wollte.

Was mich daran aber am meisten störte war nicht Rewis Entscheidung - im Gegensatz, ich konnte sie nachvollziehen - , sondern meine Reaktion darauf. Ich fühlte mich schlagartig einsam und auch in gewisser Weise verletzt. Es war, als wäre ich wieder ein kleines Kind und mir hätte jemand mein Lieblingskuscheltier weggenommen. Etwas sehr Wichtiges fehlte mir einfach.

Meine Gefühle ließ ich mir allerdings nicht anmerken. Ich baute wie Rewi eine Fassade auf, die keinerlei auf meine innere Unruhe schließen ließ.

Dies war auch nötig, denn uns kam bereits Simon entgegen. Als er uns erblickte, grinste er breit und wir konnten sein lautes Lachen hören.

"Da seid ihr ja, ihr Turteltäubchen", rief er fröhlich und blieb vor uns stehen.

"Alter, halt die Fresse, Simon", meinte Rewi kalt und ich verdrehte gleichzeitig die Augen. Dann drängte sich Rewi an ihm vorbei und ging zu den Anderen.

"Sorry, hab ich 'was Falsches gesagt?", fragte Simon verunsichert. Mit großen Augen schaute er mich an und wirkte ziemlich verzweifelt. Um ehrlich zu sein, ich konnte ihn verstehen.

"Nee, ich weiß auch nicht, was mit Rewi in letzter Zeit abgeht", meinte ich und grinste innerlich. Auch wenn das stimmte, hatte ich immer noch eine engere Beziehung zu ihm, als ich jemals zugeben würde. Ich wusste wahrscheinlich trotzdem mehr über ihn, als so manch anderer.

"Bestimmt irgendein Mädchen...", grinste Simon mich an und wir gingen nun auch zu den Anderen, die schon warteten.

Ich nickte nur abwesend, denn ich war mit meinen Gedanken beschäftigt. Ein Mädchen? Würde er etwas mit einem Mädchen anfangen? Auf mich hatte es in letzter Zeit eher den Anschein, als wäre er schwul. Mal ehrlich, das was wir da gerade gemacht hatten, war Beweis genug.

Meine Wangen färbten sich rot und ich blickte auf meine Beine hinunter, die sich wie von selbst hinter den Anderen her nach Hause bewegten. Aber wenn man mal darüber nachdachte, ergab es wirklich Sinn. Dieses Lachen war doch mehr als schwul und ich kannte auch keinen anderen Jungen, der so auf seine Haare fixiert war wie Rewi. Und dieser ständige Drang, alle schwulen Unterstellungen abzustreiten.

Aber die Frage, die sich in mein Hirn einbrannte, war: War ich dann auch schwul?

Ich konnte mir das einfach nicht beantworten, noch nie hatte ich darüber nachgedacht. Ich hatte noch keine einzige Beziehung gehabt. Natürlich waren da mal ein-zwei engere Kindergartenfreundschaften, aber das konnte man nicht zählen.

Und wenn ich an Rewi dachte, prickelte es in meinem ganzen Körper. Die zahlreichen Küsse und Berührungen waren wirklich heiß. Doch, ich musste es zugeben, er machte mich an.

"Hey, hast'e dir eigentlich die Nummer von dem Mädchen klargemacht?", fragte Palle mich von rechts. Ich blickte ihn verwirrt an. Von welchem Mädchen redete er?

"Was?"

"Na, die Kleine, die eben auf deinem Schoß saß und dich gar nicht mehr loslassen wollte", versuchte Palle mir auf die Sprünge zu helfen.

Oh, peinlich. Natürlich, die Zuschauerin. Aber genau das war sie eben und nicht mehr. Deswegen hatte ich da auch gar nicht weiter drüber nachgedacht.

Aber vor Palle konnte ich das nicht zugeben. Vor allem nicht, wenn Rewi und ich versuchten, das was zwischen uns lief - was auch immer das war - geheim zu halten.

"Klar", grinste ich ihn an und scherzte, "warum? Stehst du etwa auf meine Zukünftige?"

Unser gemeinsames Lachen wurde von einem schrillen Aufschrei vor uns unterbrochen. Was war denn jetzt los?

Als ich meinen Blick nach vorne richtete, erkannte ich Rewi, der sich den Fuß hielt. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und aus einem mir nicht erklärlichen Grund tat mir das auch weh. Was war denn nur passiert?

Taddl war sofort an seiner Seite und stützte ihn, indem er Rewis Arm über seine Schultern legte. Dann humpelte Rewi an Taddls Seite weiter und alle Anderen blieben erst einmal verwirrt stehen.

"Häh? Weißt du, was da los war?", fragte ich Palle sofort, aber er zuckte nur mit den Schultern. Da wir uns gerade unterhalten hatten, hatte er genauso wenig mitbekommen wie ich.

Ich ging ein Stück weiter nach vorne zu Ardy und fragte ihn dasselbe. Ardy war direkt neben Rewi und Taddl gegangen und wusste deswegen Bescheid: "Ja, also Taddl und ich haben uns über 'n neues Video unterhalten und dann hat Rewi auf einmal einfach so gegen die Hauswand getreten. Keine Ahnung, was da abging? Er wirkte auf einmal richtig wütend. Und ja, er hat sich halt voll wehgetan, ne?"

Er war also wütend geworden? Das erinnerte stark an seinen Ausraster eben im Café wegen der Zuschauerin. Warte, die Zuschauerin? Palle und ich hatten gerade auch über sie geredet. Hatte Rewi das etwa mitbekommen?

Ich musste so schnell es ging zu ihm und alles erfahren. Ich machte mich alleine auf den Weg und erreichte das Haus kurz nach Taddl und Rewi.

***

Rewi hatte allen Ernstes gegen die Hauswand getreten, er hatte es selbst zugegeben. Jetzt musste er seinen Fuß kühlen und lag auf der Coach in seiner Wohnung herum. Ich hatte bisher das Mädchen für alles gespielt und ihm etwas zu Trinken und zu Essen gemacht und ihm auch eine Decke geholt. Dann hatte ich sogar für ihn die kleine Kamera holen müssen, mit der er in letzter Zeit öfters Vlogs machte.

Er hatte mir fröhlich erzählt, dass es ihm schon viel besser ging. Anscheinend war ich wirklich die perfekte Hausfrau. Allerdings war Rewi auch echt manchmal eine Drama Queen und übertrieb gerne.

Ich legte mich unter der Decke auf ihn drauf und umarmte ihn fest. Er hatte mir erzählt, dass der Grund für seine Aggression schon wieder diese Zuschauerin gewesen war. Aber ich verstand ihn nicht und versicherte ihm mehrmals, dass ich weder etwas von ihr wollte, noch überhaupt ihre Nummer hatte. Was hatte er überhaupt dagegen, dass ich mit einem Freund über ein Mädchen scherzte?

Meine Augen hatten sich geschlossen und ich hörte Rewis regelmäßigem Herzschlag zu, der mich beruhigte. Vorsichtig gab ich ihm einen hauchzarten Kuss auf die Brust und hoffte, dass er dies nicht bemerkte, denn seine Augen waren ebenfalls geschlossen. Danach legte ich mich schnell wieder in meine vorige Position und verfiel in einen Halbschlaf.

"... und der kleine Rotpilz ist hier so süß eingeschlafen, hachja. Das musste ich euch einfach zeigen. Ich frage mich, was er wohl macht, wenn ich ihm diese Tasse kalten Tee-"

Schlagartig öffnete ich die Augen, hob meinen Kopf und schrie: "WAS?"

Über meinem Kopf befand sich eine Tasse Tee, die Rewi aber sofort wieder lachend wegstellte. Die Kamera direkt vor mir hingegen machte er nicht aus, sondern hielt sie weiterhin auf mich.

"Oh, hat der Felix schlecht geschlafen?", redete er in Babysprache mit mir und tätschelte meine Wange. Selbst dieser kleine Kontakt unserer Haut ließ mich ein leichtes Prickeln verspüren. Rewi schien es ähnlich zu gehen, denn er hörte mit seiner Bewegung nicht auf. Tief schauten wir uns in die Augen und wie von selbst fiel mein Blick hinab zu seinen Lippen.

Doch Rewi drehte sich der Kamera zu und meinte schlicht: "Okay, wir sehen uns, meine Freunde. Bis dann!"

erdbeersüß. | rewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt