7.Kapitel

5K 269 6
                                    

Die Wohnung war schön und groß. Es war alles perfekt eingerichtet. Das Wohnzimmer war geräumig, das Sofa gemütlich. Im Vergleich zu meinem Hotelzimmer war das hier ein Traumschloss. Rewi war anscheinend nicht da. Wir waren alleine. Irgendwie war es seltsam, mit einem Jungen, den ich gerade mal seit gestern kannte, alleine bei ihm zu Hause zu sein.

"Hast du Durst? Setz dich. Ich nehm deine Jacke. Du kannst deine Schuhe einfach vor die Couch schmeißen. Warte ich hole Chips. Du isst doch Chips? Bist du allergisch gegen irgendetwas?", durchlöcherte Patrick mich.

Ich lächelte. "Ich brauch nix." Während ich meine Jacke auszog ließ ich mich aufs Sofa fallen. Meine Schuhe landeten vor der Couch.

Als Patrick die Chips und doch etwas zu Trinken holte hatte ich Zeit, mich umzusehen. An der Wand hingen Bilder, Youtube Preise und überall lagen Caps, Mützen und Schals. Nicht ordentlich, aber auch nicht unangenehm dreckig. Irgendwie wie in meinem Zimmer zu Hause.

Patrick stand mit einer Schüssel Chips und zwei vollen Gläsern im Türrahmen. Mit einem schiefen Grinsen musterte er mich. Irgendwie war es mir peinlich, wie ich angezogen war. Durch die Leggins und den zu groß ausgefallenen Hoodie sah ich aus, als würde ich zu Hause auf der Couch sitzen. Wie gestern blieb sein Blick an meinen lila Haaren hängen.

"Wie bist du auf lila gekommen?" Er stellte alles hin und schmiss sich neben mich aufs Sofa. So lag er also auf der Seite, neben mir und stützte mit seinem Arm den Kopf, während er mich gespannt musterte.

"Naja..." Ich blinzelte tausend Mal hinterheinander, weil ich nicht weinen wollte. "Die Schwester des Jungen aus dem Lieblingsfilm meines kleinen Bruders hat lila Haare. Er vergötterte sie immer und wollte auch so eine Schwester. Also hab ich mir auf seinen Wunsch die Haare gefärbt."

"Für deinen Bruder?!" Patrick war verwirrt. Er wusste ja nichts. Er wusste ja nicht, warum ich alles für meinen Bruder tat. Er wusste ja nicht, was wir alles zusammen durchgemacht hatten.

Durch meine Tränen hindurch versuchte ich, ihn anzulächeln.

"Mein Bruder wird in einem Jahr nicht mehr da sein..."

Sein Blick weitete sich. Ich wollte nicht vor ihm weinen, aber es ging nicht anders. Wie Wasserfluten strömten die Tränen über meine Wangen. "Ich möchte ihm dieses letzte Jahr zu seinem schönsten Jahr machen. Auch wenn sein Leben kurz ist, soll es schön sein. Immer öfter bricht er zusammen, muss ins Krankenhaus. Das Leben muss für ihn die reinste Hölle sein. Ich kann ihm zwar kein anderes Leben schenken, aber seines verbessern." Mehr brachte ich nicht heraus. Es erdrückte meine Stimme, bloß noch schluchzen konnte ich. Patrick sah mich hilflos an. Wahrscheinlich war ich ihm gerade eine totale Last und er war komplett überfordert. Aber irgendwie tat er dann doch das Richtige. Ich spürte seine Arme, die mich umschlungen an meinem Körper. Plötzlich begann mein Herz zu rasen. Langsam lehnte ich mich gegen ihn. Entweder war er groß oder ich klein, jedenfalls lag mein Kopf auf seiner Brust. Eine Hand setzte ich ebenfalls an seine Brust. Das Schweigen tat mir gut. Oder war es eher die Umarmung, die mich wieder von meinem Leiden befreite.

"Du bist sicher eine tolle Schwester.", säuselte er und legte seinen Kopf auf meinen. Würde er merken, dass ich so rot war? Schnell drehte ich mein Tomatengesicht in seinen Pullover. Ich konnte sein Herz schlagen hören. Es pochte mindestens genauso schnell wie meines. Dieser Moment sollte nie enden. Ich fühlte mich so geborgen in seinen Armen. Sein Deo roch nicht aufdringlich stark, sein Herzschlag beruhigte mich. Der Pullover, den er trug war weich, gemütlich. Ich könnte in ihm versinken. Die Gedanken an Giulio änderten sich in Glücksgefühle. Ich versuchte dieses Herzrasen zu unterdrücken, aber es ging nicht. Ich fühlte mich einfach so gut. So glücklich konnte keine Droge machen.

Lange saßen wir so da, fest umschlungen, schweigend.

Da räusperte sich jemand hinter uns.

The last year  》Rewi , PalutenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt