5.Kapitel

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Die Nacht hatte ich nicht so gut geschlafen. Das Bett war zwar weich, aber in der alten Matratze sackte man sofort ein, wenn man sich darauf legte. Das Kissen brachte nix, weil es sowieso total platt und klein war. Die Decke war bloß eine Sommerdecke und die Heizung schien nicht zu funktionieren. Also hatte ich die ganze Nacht unter den ungemütlichsten Bedingungen gefroren, wobei ich gerade mal circa vier Stunden am Stück geschlafen hatte. Heute um vierzehn Uhr war das Fantreffen mit Rewi. Ich brauchte etwas unauffälliges zum Anziehen, etwas, das fast jeder trug. Wenn man mich erwischen würde, könnte ich abhauen und dann würde man mich nicht so leicht wiedererkennen.

Eine Cap mit einem Superman Symbol, ein blauer Schal und eine dunkelgrünes Sweatshirt waren das erste, was mir in meinem Koffer auffiel. Darunter noch ne Jeans und ich war der totale Alltagsmensch. Es war schon elf Uhr, also nur noch schnell was essen, mich fertig machen und dierekt zum Domplatz. Ich durfte nicht zu spät kommen.

°°°

Vor dem Dom drängten sich hunderte Jugendliche um Ardy, von dem ich selbst ein großer Fan war. Wie gerne ich zu ihm gegangen wäre, aber ich durfte jetzt nicht an mich denken. Da stand sein bester Freund Taddl und machte gerade mit einem überglücklichen Mädchen ein Foto. Daneben standen Apecrime, die von Fans umgeben waren, die sich fast die Köpfe einschlugen, um zu den drei Jungs zu kommen. Mein Blick schweifte wieder zu Ardy. Wie oft wollte ich schon auf ein solches Fantreffen, nur um ihn mal sehen zu können und mit ihm ein Foto zu machen? Und jetzt war ich so nah bei ihm und konnte nicht zu ihm. Was dachte ich da überhaupt?! Ich musste Rewi finden. Wo war er? Durch die Massen der drängelnden Fans erkannte ich nicht viel.

Dann sah ich ihn. Umgeben von kreischenden Fangirls machte er ein Bild mit einem Jungen.

Er sah gut aus. Blondbraune Haare, ein Schal über dem T-Shirt und ein breites Strahlen im Gesicht. Doch wie kam ich an ihn ran? Mit vollem Körpereinsatz quetschte ich mich durch die Jugendlichen, die sich daraufhin mit Ellenbogenstößen und Geschimpfe beschwerten. Aber darauf achtete ich gar nicht. Ich hatte nur ein Ziel: nah genug an ihn herankommen.

Endlich stand ich vor ihm. Er war größer als ich und roch nach Parfüm.

Anscheinend störte es ihn nicht, dass ich so nah an ihm stand. War er wohl schon gewohnt.

Ein circa vierzehn jähriges Mädchen sprang auf ihn zu und wollte ihm einen Kuss geben, worauf er zurückwich und wildes Gedränge begann. Ich wurde näher an ihn gequetscht. Schnell nutzte ich die Situation aus, tat als hätte man mich geschubst, ließ moch auf den Boden gegen Rewi fallen und zog dabei seinen Geldbeutel aus seiner Hosentasche. Ich hatte es geschafft! Während ich noch auf dem Boden lag, steckte ich ihn schnell ein und machte mich, obwohl Rewi mir aufhelfen wollte, so schnell es ging vom Acker.

°°°

Schon tausend mal hatte mein Handy jetzt geklingelt. Martin ließ mir keine Ruhe. Aber rangehen wollte ich nicht. Immer noch war ich sauer auf ihn. Da nahm ich einmal einen Jungennamen in den Mund und er war beleidigt. Was sollte das? Vertraute er mir etwa nicht? Nach fünf Jahren? Als mein Handy wieder klingelte beschloss ich, es auf lautlos zu stellen. Ich musste mich jetzt auf Rewi konzentrieren.

In dem Geldbeutel war alles drin. Geld, Krankenkarten, Kreditkarten und sein Ausweis. Ich hatte nicht vor, ihn zu bestehlen. Nein, ich wollte bloß seine Adresse. Schnell tippte ich alles brauchbare, was auf dem Ausweis stand in mein Handy ein und machte mich auf den Weg zu der angegebenen Adresse. Eine Stunde hatte ich nun gewartet. Jetzt müsste er rein theoretisch zu Hause sein. Innerlich entstand in mir ein Feuerwerk. Bis jetzt war alles gut gelaufen. Nun durfte ich bloß das Gespräch mit ihm nicht verkacken.

Er wohnte in einer Wohnung mit einem Youtuber, den ich nicht kannte, Paluten. Doch was ich jetzt erst bemerkte: Ardy, Taddl, Simon und Dner wohnten im gleichen Haus. Ardy wohnte hier. Es stand auf der Tür: Bora, Tjarks. Am liebsten hätte ich dort geklingelt, aber ich musste zu Rewi und nicht zu Ardy. Also drückte ich mit rasendem Herz auf die Klingel. Bevor ich losgegangen war hatte ich mir nicht einmal überlegt, was ich zu ihm sagen wollte. Er durfte ja nicht merken, dass ich ihm den Geldbeutel gestohlen hatte.

Die Tür öffnete sich und ein braunhaariger Kerl in Jogginhose guckte durch den kleinen Spalt, den er geöffnet hatte. Das musste Paluten sein.

"Wer bist du?", fragte er und musterte mich. An meinen dunkellila Haaren stoppte sein Blick und er sah nur noch verwirrter aus.

"Mein Name ist Allessandra.", antwortete ich. Er öffnete die Tür etwas mehr und ein unordentlicher Hausgang kam zum Vorschein. Lässig lehnte er sich gegen den Türrahmen und zog eine Augenbraue hoch.

"Vielleicht sollte ich es anders formulieren." Er sah mir dierekt in meine fast schon giftgrünen Augen. "Was willst du?"

"Zu Rewi." Unsicher sah ich auf meine Nikes, wobei mir auffiel, dass Paluten die gleichen trug.

"Zu Rewi?!" Wärend er sich kurz in die Wohnung umdrehte lachte er laut. Sofort wurde er wieder ernst. Nachdem er hinter mich geguckt hatte sah er mich wieder an und fragte mit einem festen Blick: "Du bist ihm doch nicht nach dem Fantreffen hierher gefolgt?"

Ich erschrak. Stimmt. Einem Fangirl wäre das zuzutrauen. Natürlich hielt er mich für eins. War logisch, wenn ein wildfremdes Mädchen auf einmal vor der Tür stand und nach Rewi fragte. Warum hatte ich denn nicht nach Sebastian gefragt?

"Nein." Ich versuchte genauso erwachsen wie er zu wirken und ihm genauso tief in die Augen zu sehen, wie er es bei mir tat. Er sollte genauso verunsichert sein, wie ich es gerade war. Aber es sah wahrscheinlich eher wie ein motziges Kind aus, dass seinen Willen nicht bekam.

"Woher weißt du dann sonst, wo wir wohnen?", hakte er weiter nach.

Ich streckte ihm den Geldbeutel entgegen.

Er grinste. "Stehlen, nur um diesen Vollspasten kurz zu sehen."

Ich wurde rot. Er wusste, dass ich ihn gestohlen hatte. War das so offensichtlich?

Plötzlich legte er mir die Hand auf die Schulter und erklärte mit ruhiger Stimme: "Du kannst ihn doch auch einfach ansprechen, wenn du ihn auf der Straße siehst, anstatt seinen Geldbeutel mitgehen zu lassen"

Obwohl ich mir wie ein kleines Kind vorkam, das gerade ausgeschimpft wird, wurde ich komplett rot. Er war so nah. Es war mir fast schon ein wenig peinlich, ihm so nah zu sein. Ich kannte ihn ja nicht einmal.

"Ich habe ihn nicht gestohlen...", sagte ich mit einem unsicheren Unterton.

Paluten ließ los.

"Er hat ihn verloren, da habe ich ihn aufgesammelt und wollte ihn zurückbringen. Ich bin weder ein Fan noch eine Diebin." Bei diesen Worten hatte ich ihm, aus welchem Grund auch immer, die Hand auf die  Schulter gelegt.

"Oh..." Nun war er derjenige, der auf seine Füße starrte. "Tut mir echt Leid, aber es kommt in letzter Zeit so oft vor, dass in diesem Haus irgendwelche Fans auftauchen. Grad wegen den anderen Youtubern in diesem Haus."

"Schon gut." Ich nahm die Hand von seiner Schulter.

Eine halbe Ewigkeit standen wir da und lächelten uns nur an. Er hatte schöne Augen. Da fiel mir wieder der Grund ein, weswegen ich gekommen war.

"Also, wärst du so nett, Rewi zu rufen?"

"Rewi ist gerade am Aufnehmen aber ich werde ihm seinen Geldbeutel geben."

Enttäuscht sah ich zu Boden. Alles war umsonst. Ich konnte nicht mit Rewi reden. Jetzt musste ich mir einen anderen Grund suchen, warum ich mit ihm sprach. Wenn ich wieder wegen einem Zufall kommen würde, würde das garantiert auffallen. All' meine Hoffnung verflog auf einmal. Aber war ja auch klar, dass es nicht so leicht werden würde, mit Rewi zu reden.

"Hey, Allessandra. Rewi hat zwar keine Zeit, aber ich schon." Er grinste mich an, worauf ich nur mit einem verwirrten Blick antwortete.

"Also...", begann er. "Ich hab dich eben als Diebin bezeichnet und dir unterstellt, du hättest Rewi gestalkt. Da könnten wir doch als Entschädigung etwas unternehmen."

Ich war immer noch verwirrt. Da musste nur ein Mädchen kommen und einen Geldbeutel vorbei bringen und er traf sich mit ihr. Aber irgendwie passte das perfekt in meinen Plan.

Ich nickte also, worauf wir alles vereinbarten.

Das lief doch besser, als ich erwartet hatte!

The last year  》Rewi , PalutenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt