Kapitel 10: Überraschung!

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Namen haben Macht.

In der nächsten Woche kamen wir gut voran. Von Seestadt ging es am Ufer des Kromba-Sees weiter, bis wir den Zufluss, die Kromba, erreichten und sie über die Brücke in Richtung Raube überqueren konnten. Von dort waren es nur noch drei Tage bis nach Grobiere, wo wir uns einen freien Tag gönnten.

Grobiere war eine kleine Stadt, vergleichbar mit Holzstadt oder Tummersberg, doch es herrschte gerade Frühlingsfest, was die Stadt sehenswert machte. Die ganze Stadt war von den Bewohnern feierlich geschmückt worden und ich hatte den Eindruck, als würden die Bewohner um den schönsten Blumenschmuck an ihren Häusern wetteifern. Es war ein toller Anblick und noch nicht einmal Baro protestierte dieses Mal gegen eine Pause.

Die Blumen erinnerten mich an unsere Namensgebung vor sechzehn Tagen und es war beinahe irreal, wie sehr sich mein Leben seitdem geändert hatte. Nie hätte ich gedacht, dass Baro und ich einmal Freunde sein würden, doch erstaunlicherweise hatten seine Sticheleien gegen mich nachgelassen und er schien mich auch nicht länger als Belastung für die Gruppe zu empfinden, seitdem ich gut mit den anderen mithalten und mein Gepäck selbst tragen konnte. Ich hätte zufrieden sein können, wenn nicht …

„Tir, wir müssen reden“, wandte sich Nelia nun an mich. Nicht zum ersten Mal seit einer Woche, möchte ich bemerken. „Du kannst mich doch nicht einfach so ignorieren!“

„Ach? Kann ich nicht?“

Natürlich konnte ich! Sie ignorierte ja schließlich auch meinen Wunsch, nicht weiter über das Thema zu sprechen!

„Tir, wenn du ein Magier bist und Namensmagie sehen kannst und nicht nur ihre Auswirkungen, dann müssen wir herausfinden, was dein magisches Talent ist.“

„Wie oft soll ich es denn noch sagen? Ich habe KEIN magisches Talent!“, fauchte ich gereizt zurück. „Gerunder hat mit mir die Tests durchgeführt, am Tag nach der Namensgebung, und ich habe keine einzige magische Fähigkeit gezeigt!“

Sie seufzte, während nun die Gäste in der Kneipe vereinzelt zu uns herüber sahen. Unser Streit war zwar nicht laut, aber hitzig und sorgte daher für Aufmerksamkeit.

„Bist du dir wirklich sicher?“, nervte mich Nelia nun. „Ich würde die Tests gerne wiederholen.“

„Nein und nochmals NEIN!“, sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust, während ich den Blick abwandte und sie nun konsequent ignorierte. Inzwischen war ich ganz gut darin geworden, Nelias Stimme auszublenden.

Nach einer Weile begann ich mein Abendessen auf dem Teller hin und her zu schieben, doch mein Appetit war mir längst vergangen. Warum konnten die anderen nicht einmal meinen Wunsch respektieren und mich in Ruhe lassen? Ich verfluchte Rustan, weil er noch am selben Abend in Seestadt Nelia von meiner neuen Gabe hatte erzählen müssen. Seitdem war Nelia wie ein hungriger Hund, der einen Knochen gewittert hatte, hinter mir her und wollte reden.

Ich schob meinen Teller von mir weg, erhob mich abrupt und ging dann hinauf in mein Zimmer. Zum ersten Mal seit wir Seestadt verlassen hatte, war ich allein und hatte Zeit zum Grübeln. Nicht dass es geholfen hätte.

Es dauerte nicht lange und es klopfte an meiner Tür. „Kann ich reinkommen, Tir?“, fragte Rustan.

„Nein!“, fauchte ich.

„Oh“, sagte er und es klang geknickt. Ich sah unwillkürlich zur Tür und Rustans große Gestalt sackte doch tatsächlich ein paar Zentimeter in sich zusammen. Doch es war die Tatsache, dass er sich umdrehte und die Tür langsam wieder ins Schloss ziehen wollte, die mich meine Meinung ändern ließ.

Die Magie der NamenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt