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Ich war mir sicher- ungewöhnlich sicher. Normalerweise brauchte ich eine Pro- und Kontraliste und tausend durchgespielte Szenarien in meinem Kopf, um eine Entscheidung treffen zu können. Dieses Mal hatte ich aber das Gefühl, dass das in diesem Fall total überflüssig war. Eigentlich hatte er mich schon nach meiner ersten Frage überzeugt, dennoch wollte ich unbedingt mehr darüber hören, wie er über das Backen dachte. Mit seiner Art zu reden, fesselte er mich, könnte ich ihm stundenlang zuhören- selbst wenn er mir erklären würde, wie man einen Handmixer zu bedienen hat.

Ich fand es immer noch absurd, dass sich jemand, wie er, für den Job bei mir interessierte. Der erste Eindruck kann eben doch mal daneben gehen, musste ich mir selbst eingestehen.

Er hatte mich überrascht- und wie er mich überrascht hat. Die Emotionalität, mit der er über seine gemeinsamen Backerlebnisse mit seiner Mutter sprach, war so intensiv, dass es mich nicht wunderte, Tränen über sein Gesicht laufen zu sehen. Er konnte ja nicht die leiseste Ahnung haben, wie sehr ich ihn verstand. Die Erinnerungen, in denen wir noch eine glückliche Familie waren, trieben mir auch fast täglich Tränen in die Augen. Noch tränenreicher wurde es aber bei dem Gedanken daran, dass es niemals wieder so sein würde... so sein könnte.

Durch seine Worte >>Okay, danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Schönen Abend noch<<, die so klangen, als hätte er gerade die Nachricht erhalten, seine Katze sei überfahren worden, realisierte ich, dass er sich bereits von mir abgewandt hatte und auf die Tür zu steuerte. Seine Hand bereits auf der Türklinke, sickerte die Information, dass er wirklich drauf und dran war, die Konditorei zu verlassen, verlangsamt in mein Gehirn.

>>Warten Sie doch, warum gehen Sie einfach? <<, rief ich ihm sehr verwirrt hinterher. Ich hatte ihm schließlich noch gar nicht gesagt, ob er den Job bekam oder nicht, dachte jedoch, dass das bereits klar war.

>>Ich will vielleicht nach Hause? <<, gab er mindestens genauso verwirrt, wie ich es war, zurück. So klar, wie es für mich war, so klar erschien es ihm, dass er den Job vergessen konnte.

>>Aber Sie wissen noch gar nicht, wann Sie morgen hier sein müssen<<, lächelte ich ihm entgegen und hoffte, dass er es damit endlich begriff. Sonst müsste ich meine Entscheidung wohl nochmal überdenken. Langsam entspannte sich sein Gesicht und ich konnte quasi beobachten, wie eine Glühbirne über seinem Kopf anfing zu leuchten.

>>Sie wollen mir den Job also wirklich geben? <<, überrascht zog er seine Augenbrauen in die Höhe und schaute mich mit einem Blick an, als hätte ich ihm gerade mitgeteilt, die Sonne drehe sich um die Erde und nicht umgekehrt.

>>Ja, aber ich frage mich, warum Sie das so zu überraschen scheint<<, nachdenklich betrachtete ich den Mann vor mir, versuchte zu entziffern, was mir entgangen sein mag. Anfangs war er doch so überzeugt von sich gewesen und jetzt? Wo war seine Selbstsicherheit hin?

>>Ich denke normalerweise fängt ein Bewerber nicht mitten im Vorstellungsgespräch an zu weinen, oder wie sehen Sie das? <<, tief sah er mir in die Augen, als könne er allein mit einem Blick, jede seine Fragen beantworten. Amüsiert schüttelte ich den Kopf und konnte kaum glauben, dass es ihm anscheinend sehr peinlich war seine Gefühle zu zeigen. Okay, ich war eine völlig Fremde, aber trotzdem sollte er keine Scham fühlen, wenn er zeigt, dass er ein Herz besaß.

>>Da haben Sie es doch schon. Normalerweise. Es muss doch nicht immer alles im Leben normal verlaufen, wo bliebe sonst die Überraschung, die Aufregung oder die Angst? Die Emotionen, die das Leben weniger eintönig und langweilig gestalten? Ich finde Sie gerade so überzeugend, weil Sie Gefühle gezeigt haben, mir bewiesen haben, dass dieser Job Ihnen etwas bedeuten würde und nicht nur, damit Sie Ihr monatliches Gehalt auf dem Kontoauszug sehen<<, erklärte ich ihm meine Entscheidung, ihm den Job anzubieten.

Unknown ReaderWhere stories live. Discover now