6 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Sobald wir drinnen waren, verschwand Hannah. So schnell konnte ich gar nicht schauen, da war sie auch schon weg. Trotz der hohen Schuhe bewegte sie sich schnell weg.
Danke für nichts.
Zögernd ging ich durch den Flur in das überdimensionalen Wohnzimmer. Keiner beachtete mich, was mich auch gewundert hätte. Laute Musik dröhnte durch das Haus, verschwitzte Teenager tanzten eng beieinander, Bierflaschen lagen auf dem Boden und die Luft stank richtig nach Alkohol. Ich verzog die Nase und ging vorsichtig an einem knutschenden Pärchen vorbei. Das hier war absolut nicht meine Welt. So ein ähnliches Gehabe konnte ich Zuhause auch bekommen. Dennoch war ich hier. Meine guten Vorsätze über Bord werfend, sah ich mich um. Ich fixierte die Bar, die die Küche vom Wohnzimmer trennte. Dort stand Alkohol aller Art. Und genau das brauchte ich, wenn ich diesen Abend hier ertragen wollte.
Ich will nach Hause.
Ich schnappte mir eine halbleere Wodka Flasche und trank einen großen Schluck. Scheiß auf Becher. Nur die harten kommen in den Garten. Dann lehnte ich mich an die Wand und starrte auf das Getümmel vor mir. Endlich erspähte ich Hannah. Sie schmiegte sich dicht an Sebastian, würg, und warf lachend ihren Kopf nach hinten. Ihre langen Haare fielen ihr schmeichelnd auf den Rücken, während sie sich kunstvoll zur Musik bewegte. Kein Zweifel, sie wollte Leon eifersüchtig machen. Und genau dieser kam gerade zornig auf mich zu. Wortlos reichte ich ihm den Wodka, welchen er dankbar annahm und in einem Zug austrank. Respekt. Der wollte heute wohl auch das Krankenhaus von Innen sehen.

"Eigentlich wollte ich auch noch was haben", meinte ich nach einer Weile kühl und zwirbelte eine blonde Haarsträhne um meinen Zeigefinger. "Hol dir doch einfach eine neue Flasche", knurrte Leon und lehnte sich an die Bar. Er war mal wieder die Freundlichkeit in Person. Wortlos schnappte ich mir eine halb volle Wodka Flasche, trank aber noch nichts. Stattdessen beobachtete ich lieber den zähneknirschenden Leon. Mit wütenden Blick starrte er auf Hannah, doch sie ignorierte ihm gekonnt. "Sie will dich eifersüchtig machen", erklärte ich und trank jetzt doch was, es schmeckte einfach zu gut. Der blonde Junge sah mich skeptisch an. "Ach ja? Und warum", er klang ziemlich sauer. "Warum warst du mit einer anderen im Bett", entgegnete ich kühl und trank noch einen Schluck. Kurz schloss ich die Augen und genoss den Alkohol, während er in meinen Kehle brannte. "Ich war betrunken verdammt", brüllte er und haute gegen die Wand.
Trotzdem kein Grund untreu zu sein.
Ich zuckte zusammen. Unauffällig wich ich von ihm zurück. Meine Hand umklammerte die Flasche. "Sag es ihr", meinte ich. Er warf mir einen kurzen Blick zu, dann verschwand er. Wer keinen Rat wollte, hatte Pech gehabt. Ich war wieder allein und das gefiel mir. Eigentlich wollte ich nicht so viel Alkohol trinken, wie gesagt, ich wollte nicht wieder betrunken sein, aber irgendwie sehnte ich mich danach.
Ich sehnte mich nach diesen kurzen Momenten, wo man alles vergaß.
Ich sehnte mich nach diesen Momenten, in denen man in eine andere Welt eintauchte.
Ich sehnte mich nach diesem Momente, wo einem alles egal wurde.

Kurzentschlossen setzte ich die Wodka Flasche an und trank sie leer. Dank meines starkem Alkoholkonsum in der Vergangenheit konnte ich relativ gut ganze Flaschen leer exen. Auch hatte sich mein Grundpegel stark erhöht. Wo andere schon Schachmatt sagten, drehte ich erst richtig auf. "Da hat aber jemand Durst", ertönte kurz darauf Lucas amüsierte Stimme. Der hatte mir gerade noch gefehlt "Was dagegen", erwiderte ich schnippisch.
Könnte man hier nirgendwo seine Ruhe haben?
Ich griff nach einer weiter Flasche, doch er nahm sie mir weg. "Wie viel", fragte er mit plötzlichem Ernst in der Stimme und stellte die Fläche zurück. "Wie viel was", fragte ich und sah ihn provozierend an. Ich ging einen Schritt auf ihn zu und versuchte den plötzlich auftretenden Schwindel zu vertuschen. "Wie viel hast du schon getrunken", fragte er sichtlich genervt. Sein wachsamer Blick musterte mich aufmerksam. "Eine Flasche. Eigentlich zwei, aber Leon hat die erste getrunken", antwortete ich nach einigem Zögern. Was ging ihn das eigentlich an? Er mochte mich doch genauso wenig wie ich ihm. Leicht schwankend balancierte ich mich neu auf meinen Füßen aus, da der Boden allmählich immer unebener wurde.  "Dann solltest du lieber nichts mehr trinken. Für eine, die eh kein Alkohol trinkt, reicht das schon", erwiderte er grinsend auf mich herabschauend und nahm sich ein Bier.
Überhebliches Arschloch.
"Wer sagt denn, dass ich kein Alkohol trinke", fauchte ich störrisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Ein Grinsen schlich sich auf sein hübsches, ich meine natürlich hässliches, Gesicht. "Alleine schon die Tatsache, das du wie ein kleines Mädchen in falschen Klamotten aussiehst, beweist das du kein Alkohol trinkst." O man, der hat sowas von keine Ahnung. Aber irgendwie machte sich der Alkohol schon ziemlich früh bemerkbar.
Das kommt davon wenn man nach langer Zeit gleich so viel trinkt!
Ich ging so anmutig wie es ging an ihm vorbei und schnappte mir einen fertigen Cocktail.

Wie viel Alkohol da drin war, wusste ich nicht, aber dem Geschmack nach zu urteilen sehr sehr viel. Lucas lehnte sich gegen die Bar und beobachtete, wie ich den Cocktail auf Ex trank. "Lust zu tanzen", fragte ich provokant grinsend. O verdammt. Der Alkohol wirkte bei mir heute ziemlich schnell. Ich ließ alle Hemmungen fallen und verlor komplett die Kontrolle über meine Worte und Taten. "Immer doch", grinste Lucas und zerrte mich zur Tanzfläche. O Gott es, ich tanzte mit meinem Feind! Mit meinem Feind, der heute wohl beschlossen hatte, nett zu sein.
So tief bist du wohl schon gesunken!
Jip, meine Gedanken waren die einzigen, die noch etwas klar im Kopf waren. Und trotzdem tanzte ich nun mit Lucas. Der Alkohol entfachte gerade seine volle Wirkung. Ich wirbelte im Kreis, schmiegte mich an einen grinsenden Lucas und ging voll ab. Die Welt um mich herum war total vergessen! Ich fühlte die Musik und fühlte mich frei. Frei von all den Sorgen, die mich plagten. Ich hätte ewig so weitermachen können. Was Alkohol alles bewirken konnte.

I'm not living, I'm just survivingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt