Emma Jung

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Melli und ich hatten uns in den Wartebereich gesetzt, doch Melli stand laufend auf um sich gleich darauf wieder hinzusetzen. Ich weinte riesige Krokodilstränen. So hatte Mama sie immer genannt wenn ich als kleines Kind geweint hatte. Wenn sie stirbt, dann halte ich es hier nicht aus nicht in Hamburg, nicht in Deutschland und auch nicht in diesem Leben. Kurz: Wenn sie stirbt, sterbe ich auch. Ich weiß nicht ob Melli meine Gedanken gelesen hat, aber sie nahm mein Kinn zwischen die Finger, guckte mir in die Augen und sagte dann mit zittriger Stimme: „Emma! Deine Mutter wird nicht sterben, Franzi ist stark! Außerdem kennst du doch Jasmin. Sie gibt immer ihr bestes."

>>Manchmal ist das Beste aber nicht genug<<

Dann zog sie mich in eine Umarmung, die glaube ich auch ihr gut tat.

Nach einer weiteren Stunde kam Jasmin endlich zu uns und erklärte: „Franzi ist soweit Stabil. Das einzige was mir Sorgen macht ist, dass sie ins Koma gefallen ist und..." „Wie geht es dem Baby?", unterbrach ich Jasmin. „Ihm geht es gut, die Kugel hat sie nur in den Rücken getroffen", erzählte sie bereitwillig. „Aber jetzt lasst mich doch mal ausreden. Also es ist komisch, dass sie ins Koma gefallen ist medizinisch gesehen geht es ihr dafür eigentlich zu gut. Es ist wahrscheinlich etwas Psychisches. Emma weißt du was deine Mutter im Moment sehr belastet?", fragte sie mich. „Nein, weiß ich nicht", antwortete ich schnell und dann fragte ich, „kann ich zu ihr?" Auch wenn Jasmin nicht so begeistert war, da sie meinte, dass Mama Ruhe bräuchte brachte sie uns zu ihr. Da sie auf der ITS lag mussten wir grüne Kittel anziehen und dann durften wir rein. Mama sah so blass und zerbrechlich aus. Als ob sie schläft oder tot wäre. „Sie wird es doch schaffen oder?", fragte ich Jasmin. „Wenn sie aufwacht schon", beantwortete sie mir die Frage.

Melli verließ mit Jasmin das Zimmer sie wollte Mamas Sachen aus dem Pk holen und Papa anrufen. Ich setzte mich zu Mama ans Bett und nahm ihre Hand. Ewig saß ich so da, bis ich einschlief. Draußen konnte Jasmin die Stationsschwester gerade noch davon abhalten mich zu wecken: „Stopp Schwester, die beiden brauchen sich jetzt gegenseitig, glauben sie mir das." Doch das hörte ich nur noch mit halbem Ohr.

Als ich aufwachte war alles dunkel, nur die LED-Leuchten der Geräte an die Mama angeschlossen war blinkten. Es war aber noch jemand im Raum und da ich nichts sehen konnte fragte ich: „Hallo? Ist da jemand?" „Emma ich bin es.", es war Papas Stimme, Erleichterung machte sich in mir breit. Ich versuchte auf Papa zuzugehen, rannte jedoch gegen einen Stuhl. Doch dann erwischte ich Papas Arm und er drückte mich fest an sich. „Emma, Mama wird das schaffen und das Kleine auch. Ganz sicher!", versuchte er mich zu beruhigen. Plötzlich piepte eins der Geräte laut und schnell los und im nächsten Moment kam Jasmin mit zwei Schwestern ins Zimmer. „Raus", sagte sie bestimmt.

Allerdings nicht böse, sondern sehr besorgt. Als sie wieder heraus kam sagte sie zu uns: „Sie ist soweit wieder Stabil. Was ist denn passiert?" „Ich habe nur gesagt, dass sie und das Baby es schaffen werden", kam es von Papa. „Gut, ich glaube es ist besser wenn ihr jetzt geht. Franzi braucht jetzt Ruhe", versuchte Jasmin uns raus zu schmeißen. Ich wollte nicht gehen, doch Papa zog mich bis zu seinem Auto und setzte mich hinein. „Emma komm schon. Du kannst nicht die ganze Zeit bei Mama sein versteh das doch. Felix können wir auch nicht allein Zuhause lassen", sagte er zu mir.

Zuhause angekommen ging ich hoch ins Bad und zog mich um. Danach legte ich mich in Mamas Bett. Ich wollte sie wenigstens riechen wenn ich schon nicht bei ihr sein durfte. Ihr Kopfkissen roch nach ihrem Parfum, ich fühlte mich geborgen und schlief sofort ein.

Als ich aufwachte war es erst halb sieben Papa und Felix schliefen noch also ging ich ins Bad und zog mir meine Klamotten von gestern an. Da Samstag war musste ich zum Glück nicht zur Schule. Auf dem Weg vom Bad in die Küche kam ich wieder am Schlafzimmer meiner Eltern vorbei und beschloss ein paar Sachen aus Mamas Schrank zu packen, damit sie im EKH etwas zum Anziehen hatte. Am Schrank angekommen öffnete ich ihn und packte die Kleidung ein, als mir ein kleines Buch mit der Aufschrift "Tagebuch" in dir Hand fiel. Ich nahm es mit raus, stellte die Tasche im Flur ab und ging dann mit dem Buch in mein Zimmer. Ich wusste, dass es nicht die feine Art war fremde Tagebücher zu lesen. Deshalb ließ ich es und rief stattdessen Melli an. Sie hatte mir schon als kleines Kind gesagt ich könnte sie anrufen wann immer ich wollte, dass tat ich jetzt auch. Melli nahm ab und wir verabredeten uns in 30 Minuten vorm Pk. Sie hatte ihre Schicht getauscht um den Restlichen Tag frei zu haben damit sie sich um Felix und mich kümmern konnte. Papa musste nämlich zu einer weiteren Weiterbildung auch wenn er nicht wollte. Ich schrieb Felix einen Zettel, dass ich im EKH sei und er nachkommen konnte, wenn er wollte.

Am Pk angekommen stand Melli schon vor der Tür. Sie sah nicht gut aus, unausgeschlafen und sehr besorgt. Sie hatte Mamas Handtasche mitgebracht und nahm mir auch die Tasche mit den Klamotten ab. „Melli du musst das nicht machen.", sagte ich zu ihr. „Das bin ich ihr Schuldig, Emma. Sie war immer für mich da als Nils ging und auch so immer", antwortete sie in Gedanken versunken. Wir kamen am Zimmer an und gingen hinein. Jasmin war gerade da und ich fragte direkt: „Wie geht es ihr? Wird sie es schaffen und das Kleine?" „Emma sie muss bald wieder aufwachen sonst kann es sein dass der Fötus stirbt.", antwortete sie mir. Plötzlich ging das Laute piepen von letzter Nacht wieder los und ich musste das Zimmer verlassen. Als Jasmin heraus kam versuchte sie uns zu erklären was passiert war. Ich verstand es nicht wirklich nur das Mama wohl mehr Mitbekam als andere Koma Patienten.

Warum auch immer Verbot sie allen Mama zu besuchen. Nicht mal Papa durfte zu ihr. Eine Woche hielt ich mich daran, dann schlich ich zu ihr ins Zimmer.

Ich erzählte ihr was die ganze Woche über passiert war, das Melli quasi bei uns eingezogen ist um Papa zu helfen und das auch Claudia eine weitere Kollegin von Mama, Martin und Jasmin laufend da waren um uns zu helfen. „Aber ich brauche dich Mama. Nicht die anderen.", flüsterte ich. Da ich das Gefühl bekam das sie mich verstand erzählte ich weiter. Dass es Papa und Felix furchtbar ging und wie sehr wir sie alle vermissten. Aber auch von den schönen Dingen, nämlich dass Melli und Mattes ihre Beziehung offiziell gemacht hatten. Da viel mir ein, dass ich ja ihr Tagebuch gefunden hatte und man doch dort alles reinschreibt was einen bedrückt. Also fragte ich leise: „Mama? Darf ich dein Tagebuch lesen?" Natürlich erwartete ich keine Antwort und war deshalb umso erstaunter als ich einen leichten Druck an meiner Hand spürte, der von ihrer Hand ausging. Das hieß wohl ja. Ich nahm das Buch aus ihrer Tasche und verließ dann das Zimmer. Ich ging Jasmin suchen und erzählte ihr das Mama gerade eine Reaktion gezeigt hatte. Sie war darüber so froh, dass sie nicht mal sauer darüber war, dass ich ihr Verbot gebrochen hatte. Stattdessen lief sie gleich zu ihr. Ich jedoch ging in den Park, holte das Buch aus der Tasche und fing an zu lesen. Das was dort geschrieben stand verwirrte mich so sehr, dass ich Melli anrief und sie bat her zukommen.

Ein kleines neues Leben - Notruf HafenkanteWhere stories live. Discover now