Meine Insel, mein Haus, mein neues Leben

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"HelloLuke. Ich bin Anna. Alles OK?" Ich nannte ihm automatisch meinen Spitznamen. Vielleicht um mich sympathischer zu machen.

"Wir mussten unsere Pläne etwas ändern und früher aufbrechen. Er ist etwas unausgeschlafen", erklärte Jake. Und fragte dann: "Breakfast?"

"Klar", stimmte Ich zu. Wir drei gingen in den Frühstücksraum. Eine junge Frau leitete uns zu einem Tisch unweit der Frühstück-Buffets. Jake erzählte von den Umständen, aus denen sich die Pläne geändert hatten und die dazu geführt hatten, aber ich verstand nur die Hälfte. Eine Fähre war ausgefallen? Sie hatten einen Umweg fahren müssen? Wie auch immer, jetzt waren sie ja da.

Jake bestellte Kaffee. "Tee, bitte", hatte ich gesagt und war dann ans Buffet gegangen. Ein Pancake und ganz viel Obst landeten auf meinem Teller. "Hi", sagte jemand neben mir. Ich blickte auf. Der Schwimmer von gestern Abend lächelte mich an. "Hallo", erwiderte ich leicht verwirrt. Warum grüßte der mich? Ich kannte ihn doch gar nicht. Schnell entschwand ich wieder zu meinem Tisch, wo Jake seinen schwarzen Kaffee trank.

Der kleine Engel, der für die nächsten zwölf Monate meine Verantwortung sein würde, hatte sich inzwischen alles mögliche auf seinen Teller gestapelt. Nein, falsch: Er hatte alles mögliche auf seine drei Teller gestapelt. Zusätzlich öffnete er alle Marmeladendöschen und kippte Sirup über alles. Essen wollte der Kleine natürlich nichts. Ich schaute erstaunt von Luke zu Jake und schwieg. Die Stimme in meinem Kopf schwieg nicht –ich klang nach meiner Mutter. Wie unheimlich! Wie kann der Mann seinem Sohn soetwas erlauben? Hat er keine Manieren? Ich verdrängte die Stimme und hoffte, sie nicht so schnell wieder hören zu müssen. Denn wie meine Mutter wollte ich nun wirklich nicht sein.

Jake schien meine Blicke gesehen zu haben. "Ich bin nicht mehr so streng zu ihm, seit seine Mutter gestorben ist", sagte er dann.

"Was ist ihr passiert?"

"Sie hatte vor gut einem Jahr einen Autounfall. Luke saß im Auto." Er blickte liebevoll auf seinen kleinen Sohn. "Der Kindersitz hat ihn gut geschützt. Bei meiner Frau hat der Gurt innere Verletzungen verursacht. Sie ist im Krankenhaus gestorben." Er trank einen Schluck Kaffee. In seinen braunen Augen konnte ich noch immer den Schmerz sehen.

"Tut mir wirklich leid", sagte Ich.

"Danke. Na ja, auf jeden Fall verwöhne ich Luke seitdem etwas mehr als ich sollte. Ich hatte mir eine Zeit frei genommen, um ganz für ihn da zu sein. Jetzt glaube ich, dass es gut für ihn wäre, wenn er wieder eine Frau um sich hätte - außerdem muss ich ja auch wieder arbeiten." Er lächelte mich an. "Deshalb bis du jetzt hier."

"Wie findet er das?", fragte Ich und deutete auf den Kleinen, der gerade seine Ananas in den Sirup-See stippte.

Jake zucke die Schulter. "Er freut sich und wird sich daran gewöhnen." Na, das klang ja hoffnungsvoll.

Ein paar Stunden später stand ich an der Reling einer kleinen, weißen Autofähre und schaute zu, wie die bewaldete Insel langsam immer mehr Platz in meinem Blickfeld einnahm. Die Sonne spielte auf dem Wasser, ein warmer Wind ließ meine Haare tanzen, Möwen begleiteten uns und kreischten ihre Forderungen zu uns hinunter. Die Fähre hatte in Greenport abgelegt, auf dem linken Arm der sich verzweigenden Spitze Long Islands. Sie drehte nach Süden und nahm Kurs auf die Insel, die sich genau zwischen den beiden Armen ruhte. Geschützt vor den Wellen des Atlantiks, sheltered. Daher auch der Name. Erst sah ich nur Baumkronen. Und Boote. An jeder verfügbaren Stelle im Meer waren sie festgemacht. Dann blitzte ein kleiner weißsandiger Strand am Ufer auf, dahinter erblickte ich weitläufigen Grundstücke, weiße und graue Villen mit Terrassen. Nach der Hektik der Stadt und dem wilden Treiben auf den Straßenschluchten des Big Apple – so lautete der Spitzname New York Citys – war dieser Anblick wunderbar. Er beruhigte mich und machte mich gleichzeitig gespannt auf das, was unter den allumspannenden Baumkronen auf mich warten würde.

Wo das Herz zuhause istWhere stories live. Discover now