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„Paradoxerweise ist die Fähigkeit, allein zu sein, die Bedingung dafür, in der Lage zu sein, zu lieben." - Erich Fromm

Sein Blick haftete noch lange auf mir, ich konnte es genau aus meinem Blickwinkel sehen, ohne ihm dabei direkt in die Augen zu schauen. Eiskalte blaue Augen, die nicht von mir losließen. Weder diese, noch er selbst.

Es ließ ihn genauso kalt, dass ich meine Tränen wegwischen musste, um mich bereiter zu fühlen, ihm auf all die Fragen zu antworten. Ich wollte nicht weinen, wie ein kleines Kind, wenn ich meiner angestauten Wut endlich freien Lauf lassen würde. Ich wollte, dass er verwundert und überrascht ist, weil ich, nachdem er sein Ziel erreicht hatte, wieder klar und direkt zu ihm schauen konnte, um auszusprechen, wovor er sich hätte hüten sollen. Ich wollte, dass er jede Sekunde, die er abgezielt hatte, mich zu verletzen, bereut. Jeden Gedanken, den er daran verschwendet hatte, wie mächtig er sich fühlen würde, wenn ich mich ihm unterordnen würde, sollte er bereuen und hinterfragen.

Dass er von mir, ausgerechnet von mir erwarten würde, so unterwürfig zu sein, war ohnehin sinnlos und lächerlich. So wurde ich nicht erzogen und so wollte ich auch nie sein, egal wie viel Gefallen ein Mann wie er daran finden könnte.

„Ich weiß, dass du mich liebst", sprach er noch kurz aus, schaute zur Seite und steckte seine Hände achselzuckend in die Hosentasche. Ein bemitleidendes Seufzen, bevor sein Blick wieder auf mir klebte. „Aber ich glaube, ich kann das nicht mehr, du hast dich echt verändert"

Zum ersten Mal musste ich lachen und konnte förmlich spüren, wie verwundert er davon war. „Ich habe mich verändert", wiederhole ich kurz und muss wieder grinsen, bevor ich ein letztes Mal die Tränen wegwische und ihm das erste Mal wieder direkt in die Augen schaue. Mir war klar, dass meine Augen rot waren, meine Schminke verlaufen war und dass vielleicht sogar echt schwach aussah, aber das war hier und jetzt meine Chance, auszusprechen, was ich all die Zeit über in mir behalten habe. Ihm, bevor ich es nun, da es offiziell vorbei war, der Polizei sagen durfte. Der Polizei, seinen Freunden, meinen Freunden. Allen, die ich belügen musste, außer meinen Eltern. Die sollten am besten gar nichts davon mitbekommen.

„Ich habe wirklich lange nachgedacht, bevor ich..." – „Sei still", platzte es dann aus mir, „sei einfach still" Sein Blick verfinsterte. Ich wusste, dass es mich einschüchtern würde, versuchte es aber keinesfalls zu zeigen. „Was soll ich?", bebte es nun vor mir. Ich wandte den Blick ab, schaute kurz runter und dann wieder rauf. Sag es endlich. Sag es einfach.

„Ich weiß von allem Bescheid", fing ich also an und wusste danach eigentlich auch nicht mehr, was ich noch sagen sollte. Es reichte doch zu wissen, dass er wusste, in was für einer Gefahr er sich nun befand.

Sein Schweigen verriet mir, dass ihm klar war, wovon ich sprach. Vermutlich hatte er geahnt, dass es mir nicht entgehen konnte und sich eines der jungen Mädchen, deren Leben er damit zerstört hatte, an mich wenden würde. Immerhin wussten viele von unserer Beziehung und er hatte nicht gezögert, Mädchen aus unserem Umkreis anzusprechen.

„Samira...", brachte er stockend raus und für einen kurzen Moment genoss ich es, ihn so verunsichert zu erleben. „Ich werde dein Leben zerstören, wenn du auch nur ein Wort darüber verlierst, sei dir da sicher"

Mein Grinsen verschwand und für die folgenden Momente, bevor er ruhig und gelassen von der Bildfläche verschwand, konnte ich mich weder bewegen noch atmen. Sein Griff an meinen Hals und die letzten Drohungen, die er tiefenentspannt in mein Ohr flüsterte machten mir noch ein letztes Mal klar, wieso ich jahrelang geschwiegen hatte.

Ich wusste einfach, ich würde jedes gegen ihn erhobene Wort bereuen müssen.

Mein Leben lang.

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