12. Kapitel

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Keld! Komm, ich will mit dir spielen! Wo bist du denn nur? Komm nach Hause! Wir vermissen dich!"

Keld schreckte aus dem Schlaf auf und sah sich verwirrt um. Er hatte deutlich die Stimme seiner jüngsten Schwester gehört. Es dauerte eine geraume Zeit, bis er wieder klar denken konnte und ihm klar wurde, wo er war.

Der Traum, den er gehabt hatte, war so lebendig gewesen. Er war wieder bei seiner Familie gewesen und es war ihm fast so gewesen, als ob er nie fort gegangen sei.

Seine Brüder hatten ihre Scherze mit ihm gemacht und seine Schwestern hatten ihn erst mit Essen versorgt und dann hatte Kaja, die Jüngste, ihn an den Händen gefasst und war mit ihm im Langhaus herumgetanzt.

Er hatte seine Eltern lachen gehört und er meinte immer noch, die Stelle zu spüren, an der ihn seine Mutter ihm Traum berührt hatte. Vorsichtig fuhr er sich über die Wange.

Selbst sein Vater hatte ihn stolz angelächelt, während Kjer ihn auf die Schulter geklopft hatte.

Kjer!

Im Traum hatte er mit ihm gesprochen und ihm versichert, dass er ihm keine Schuld am Tod seiner Frau geben würde. Es war der Wille der Götter, hatte er immer wieder gesagt.

Immer wieder war er von seiner Familie aufgefordert worden, wieder zu ihnen zu kommen.

Er seufzte leise.

Wenn es nur so einfach wäre.

Benommen sah er sich um.

Elin schlief noch und Koira lag in der Nähe des Kamins. Keld hörte den Regen, der auf das Dach prasselte und ein leises Tropfen sagte ihm, dass er das Dach ausbessern musste, sobald es wieder aufhörte zu regnen.

Er stand auf und ging zum Kamin, um die Glut wieder anzufachen. Sobald die Flammen wieder loderten, hing er den schweren Kessel an den Haken und wartete, bis das Wasser warm wurde.

Elin schlief immer noch und er betrachtete sie lächelnd.

Sie sah Enid gar nicht ähnlich.

Das war ihm schon einmal aufgefallen, als ihm bewusst wurde, dass sie immer von seinem Bruder sprach. Es wunderte ihn etwas, dass Kjer gerade sie erwählt hatte.

Während Enid goldblonde Haare gehabt hatte, schienen Elins Haare wie Silber. Enids Gesicht war makellos. Die Haut war sehr blass gewesen und wenn man sie ungeschickt berührte, konnte man am anderen Tag dunkle Flecken erkennen, die das Bild störten. Ihre Augen waren von einem dunklen Grau, dass an den Himmel bei einem Gewitter erinnerte. Sie war schon immer sehr zart gewesen und neben Kjer hatte sie wie eine Elfe gewirkt, die nur zufällig bei den Menschen weilte.

Elin hingegen war groß für eine Frau. Ihre Haut war sonnengebräunt und ihre Hände waren fast so rau wie seine, obwohl Elin sie abends immer mit Fett einrieb. Die Narben in ihrem Gesicht waren zwar verblasst, aber man sah sie immer noch, was aber ihrer Schönheit keinen Abbruch tat. Ihre Augen waren so hell und rein wie das Eis, dass man auf den Bergen finden konnte, wenn man beinahe den Gipfel erreichte. Das Blau war so klar, doch wenn sie wütend war, erschien es eiskalt. Keld war froh, dass er es nicht sehr oft zu Gesicht bekam. Trotz ihrer Vergangenheit war Elin nicht verbittert, sondern hatte sich die Güte und das Liebliche erhalten, was er so sehr anihr schätzte.

An Elin war nichts Zartes, was Keld aber nicht schlimm fand. Wenn er ehrlich sein sollte, passte Elin eher zu seiner Familie als Enid. Und sie war wie gemacht für seinen Bruder.

Enid hatte man immer als Schönheit bezeichnet, aber Keld fand, dass auch Elin sehr hübsch war, wenn auch auf eine andere Weise. Er wusste, dass sie sehr wahrscheinlich mit Enid verglichen werden würde, doch das war falsch in seinen Augen. Man konnte die beiden nicht vergleichen. Während Enid sich nur mit Stickereien und manchmal mit dem Webstuhl beschäftigt hatte, packte Elin mit an. Keld wusste, dass dies seiner Mutter gefallen würde, denn er hatte oft ihren missbilligenden Blick gesehen, wenn Enid verträumt in der Sonne gesessen hatte und ihrer Arbeit, die eigentlich nicht schwer war, nicht nachging. Einmal hatte er gehört, wie sich seine Mutter bei seinem Vater über Enid beschwert hatte.

Schuld!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt