Die Geschichte des Magus

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Esra war acht Jahre alt und lebte mit seinen Eltern in dem Dorf Krysalion in den Ausläufern der spitzhornberge im Nordwesten Endwelts. Er war das einzige Kind, obwohl sich seine Eltern noch weitere Nachkommen erhofft hatten, aber alle Versuche und Bemühungen waren fruchtlos geblieben.

Seit mehreren Tagen plagten Esras Eltern schweres Fieber mit Schüttelfrost. Hinzu kam, dass sich hässliche Beulen zeigten, die immer wieder aufbrachen und fürchterlich nässten. Ihnen ging es von Tag zu Tag schlechter und die Lebenskraft schwand dem armen Bauerspaar mehr und mehr und der kleine, schwarzhaarige Junge musste das Siechtum seiner Eltern hilflos mit ansehen.

Eines Tages hörte Esra die Nachricht, dass im Nachbarort ein reisender Heiler Rast gemacht habe und so machte sich der Junge so schnell er konnte auf den Weg, um Hilfe zu holen. Als er jedoch dort ankam, musste er schmerzlich erfahren, dass der Heiler bereits weitergezogen war, also machte sich der besorgte Junge am nächsten Morgen wieder auf den Heimweg. Noch bevor die Sonne vollends aufgegangen war, verließ Esra den Pferdestall, in dem er im Stroh unruhig geschlafen hatte und machte sich so schnell er konnte auf den Heimweg. Als er sich der bescheidenen Hütte, welche sein Zuhause war, näherte, sah er über der Hügelkuppe, die sich zwischen ihm und seinen Eltern befand, dunklen Rauch aufsteigen. Esra begann zu rennen. Als er die Hügelkuppe erreichte, sah er mit größtem Entsetzen, dass die Hütte lichterloh brannte und zwei Menschen davor standen. Die Flammen schlugen meterhoch in den Himmel hinein. Schreiend und weinend rannte Esra noch schneller zu dem brennenden Etwas, was acht Jahre lang seine Heimat bildete.

Die beiden Männer vor dem Feuer waren der Bürgermeister und der Schlichter von Krysalion. Sie entdeckten Esra, wie er auf sie zu rannte und der Schlichter lief ihm entgegen. Als sich beide auf gleicher Höhe trafen, hielt der kräftige Mann den weinenden Jungen fest und hinderte ihn so daran, weiter zu laufen. Mit belegter Stimme sprach er zu Esra: „Deine Eltern sind tot. Die Pest hat sie dahingerafft. Wir MUSSTEN alles in Brand stecken, damit sich die Krankheit nicht weiter ausbreitet..." - „NEEEIIINNN!!!", brüllte Esra: „MAAAMAAA, PAAAPAAA!!!" - „Du kannst nichts mehr für sie tun. Es tut mir so Leid... So unendlich Leid..." Esra riss sich los, lief wie betäubt ein paar Schritte auf die lodernden Flammen zu und sank bitterlich heulend auf die Knie. Alles kam ihm vor, wie ein grauenvoller Albtraum und er fühlte nur einen einzigen Wunsch: Weg! Esra sprang auf und lief los. Egal wohin! Egal wie weit! Nur weg! Er lief und lief und lief... Tränen rannen ihm die ganze Zeit die Wangen hinab und bildeten salzige Spuren auf der Haut.

Nach einer gefühlten Ewigkeit blieb der Junge stehen. Esra sah ich um und erkannte, dass er in der Gegend völlig fremd war. Da die Sonne schon den Horizont in der Ferne berührte, beschloss der Junge, der seit dem heutigen Tage Vollwaise war, sich einen Platz zum Schlafen zu suchen. Es war schon fast dunkel, als Esra eine alte Scheune fand, erschöpft ins Heu sank und sich in den Schlaf weinte. Am folgenden Morgen beschloss Esra, er würde niemals wieder nach Krysalion zurück zu kehren und machte sich auf den Weg: Immer der Nase nach.
Die Zeit ging ins Land und Esra bemerkte, dass das Leben sehr hart sein kann. Besonders für einen kleinen Jungen, welcher allein und ohne Münzen in der Tasche durch die weite Welt zog.

Mittlerweile zählte Esra zehn Jahre und schlug sich (mehr schlecht als recht) durch die Straßen Ionandars, einer großen Stadt im Königreich Gauragar. Des Tages ging er um ein Stück Brot bettelnd durch die mit zahlreichen Menschen gefüllten Straßen und Gassen, abends versuchte er, auf den Marktplätzen den müden Händlern etwas Essbares zu stehlen oder wühlte in den Abfällen nach angeschlagenem Obst und Gemüse und die Nächte verbrachte er frierend unter einer Brücke oder in einem Hofeingang. Die harte Zeit ohne Geld und Obdach hatte ihn sehr hager gemacht.

Es war an dem Wiegenfest von König Liutasil, als in Ionandar ein rauschendes Fest abgehalten wurde. Die gesamte Stadt war festlich in den Farben der Krone geschmückt und präsentierte sich in einem herrlichen Blau und Rot. Esra freute sich, denn in der dichten, von Bier, Met und Wein gelösten Menschenmenge, die sich bei solchen Festen auf den Straßen tummelten, war es manchmal leicht, einen Geldbeutel zu entwenden. Als er sich durch die Menge bewegte, fiel ihm ein alter Mann mit weißer, fein mit Glasperlen und Pailletten bestickten Robe und einem ebenso weißen, fein verzierten Gehstab auf und er sah, dass sich an seinem Gürtel ein praller Geldbeutel befand, dessen Knoten, der ihn am Gürtel hielt, sich schon fast gelöst hatte. Esra dachte bei sich: „Dem feinen Herrn wird der Verlust des Geldes nicht allzu schmerzen, ich versuche mein Glück. Das wird mir sicher mindestens eine Woche lang den Bauch füllen und ich komme weg von hier". Alle gebührende Vorsicht walten lassend, näherte sich Esra der überaus nobel aussehenden Gestalt. Als er nur noch einen Schritt von ihm entfernt war, griff er den Beutel und wollte Fersengeld geben, aber sein niederes Vorhaben scheiterte jäh.

Die Reise der PrüfungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt