K A P I T E L - 01

3.3K 160 102
                                    

Unruhig bog Jackson in die Straße der kleinen Wohnsiedlung in Collingdale im Westen Philadelphias ein

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.


Unruhig bog Jackson in die Straße der kleinen Wohnsiedlung in Collingdale im Westen Philadelphias ein. Den ganzen Tag konnte er sich kaum auf die Arbeit konzentrieren und hoffte, dass er keine Buchungen vertauscht oder vergessen hatte. Zu entscheidend war der Termin, der heute anstand und über so vieles entschied. Er parkte seinen Wagen in der Auffahrt, nahm seinen Rucksack vom Beifahrersitz und lief mit schnellen Schritten zum Haus. Laut fiel hinter ihm die Tür ins Schloss, sein Rucksack klatschte rechts gegen die Flurwand und er lief gleich links herum ins Wohnzimmer, wo er seine Mutter mit sorgenvoller Miene vorfand.
Er brauchte nur in ihr Gesicht zu blicken und wusste, dass das ungute Gefühl, welches er schon den ganzen Tag im Körper hatte, sich bewahrheitet hatte. Sie schaute mit roten, tränenunterlaufenen Augen zu ihm auf und schüttelte den Kopf. Es überkam ihn das Gefühl, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen werden und doch konnte er sich nicht bewegen.
»Wie lange?«, flüsterte er mit mahlenden Kiefern und hämmerndem Herzen. Erneut schüttelte sie traurig den Kopf.
»Drei Monate? Vielleicht vier. Wenn es ihr weiter so schlecht geht, eher weniger.« Ohne ein Wort drehte er auf dem Absatz um und rannte die Treppe hinauf, bis vor das Zimmer mit den bunten Buchstaben an der Tür, welches gleich gegenüber von seinem lag. Nicki prangte ihr Kosename an der Tür, die er nun leise öffnete.  
Das Licht der Flurbeleuchtung erhellte den Raum, in dem nur ein kleines Nachtlicht brannte und fiel auf das Bett, welches unter dem Fenster gegenüber der Tür stand. Es erhellte das blasse Gesicht seiner kleinen Schwester. Sie schlief wie oftmals am Tag. Sie ermüdete schnell, rollte sich dann entweder im Wohnzimmer auf der Couch oder auf ihrem Bett ein; manchmal schlief sie sogar im Sitzen.
Er ließ die Tür einen Spalt offen, schlich auf leisen Sohlen zu ihrem Bett, setzte sich auf die Bettkante und streichelte über ihren Kopf. Ihre Lippen bewegten sich, ihre Augen huschten unter ihren geschlossenen Lidern umher, bevor kaum hörbar ihre Stimme erklang. »Jax?«
»Wie geht es dir, Krümel?«, fragte er leise und zog ihr die Decke über ihre hageren Schultern bis zum Hals.
»Mir ist schlecht ... und Mom weint wegen mir. Ich habe Angst, Jax.«
Er streifte sich die Schuhe von den Füßen und schob seine Beine unter die Bettdecke. Behutsam legte er sich dicht an seine Schwester und zog sie vorsichtig an seinen Körper. Ihr Gesicht kuschelte sich gleich an seine Brust und er streichelte liebevoll über ihren schmalen Rücken. Jackson musste seine Augen schließen und tief Luft holen. Es verlangte ihm viel Selbstbeherrschung ab, damit er dabei nicht zitterte.
»Du brauchst keine Angst haben. Ich bin hier und passe auf dich auf.« Jackson küsste ihren Scheitel und auch wenn er wusste, er konnte ihr nicht helfen, wollte er wenigstens versuchen ihr die Angst zu nehmen. Für sie da sein solange er konnte, wann immer sie ihn brauchte.
»Ich habe dich lieb, Jax«, murmelte sie schwach in sein Hemd und schlang ihren Arm um seinen Körper, bevor ihre Atmung wieder langsam und regelmäßig wurde; sie wieder einschlief. Jackson war verzweifelt. Noch nie hatte er sich so machtlos gefühlt. Nicht einmal als sein Vater starb. Sein Tod kam plötzlich und unvorhersehbar. Bei ihm war es ein Unfall auf dem Weg zur Arbeit, doch bei Nicki kam es schleichend. Die Ärzte erkannten zu spät, was ihr fehlte und als sie die Hepatitis B Infektion erkannten, war ihre Leber bereits so geschädigt, dass eine Transplantation unausweichlich wurde. Ihr Zustand verschlechterte sich zunehmend und es lag ein trauriger Schleier über dem Hause Welsh.
Jackson wäre fast selbst eingeschlafen, doch dann hörte er die Haustür zuschlagen. Stimmen und dann Schritte die Treppe hinauf, die im Bad endeten. Thomas war nach Hause gekommen. Vorsichtig, um Nicki nicht zu wecken, stand er auf und ging ebenfalls rüber zum Bad, nachdem er Nickis Zimmertür leise verschlossen hatte. Thomas stand mit gesenktem Kopf am Waschbecken, klammerte sich an dessen Rand und presste seine Lippen aufeinander. Jackson lehnte im Türrahmen und sah zu seinem jüngeren Bruder, der um Fassung rang.
»Du weißt es also auch«, murmelte Jackson und betrachtete seinen Bruder über sein Spiegelbild. Er krampfte seine Finger so stark in das Porzellan, dass das Blut aus seinen Fingern wich.
»Wir müssen doch irgendetwas tun ... irgendwas!«, presste er verbittert hervor, wobei er Jackson mit schmerzlicher Miene ansah. »Wir können sie nicht auch noch verlieren. Mom ... sie -.«
»Ich weiß.« Sie schwiegen, sahen sich noch einen Moment an, dann wusch Thomas sich die Hände und drückte sich an Jackson vorbei aus dem Bad.
Er wusste, sein Bruder würde jetzt einen Moment für sich brauchen und verschloss die Tür des Bades, entkleidete sich und stieg unter die Dusche. Seine Gedanken drehten sich unentwegt um Nicki. Er wusste, es würde nicht mehr lange dauern und auch er könnte nicht mehr vor ihr verbergen, wie schlimm es um sie stand. Sie war zwar erst elf Jahre alt, aber keinesfalls dumm. Umso wichtiger war, dass er einen klaren Kopf behielt und alles in seiner Macht stehende versuchte. Viele Möglichkeiten hatten sie nicht - Geld schon gar nicht. Sie kamen gerade so über die Runden.
Mit einem Handtuch um die Hüften und einem über den Schultern, ging er in das Zimmer seines Bruders. Er fand ihn nachdenklich auf seinem Bett, wie er an die Zimmerdecke starrte und setzte sich zu ihm auf die Bettkante. Er hatte heute in seiner Mittagspause ein Gespräch der Zimmermädchen mitbekommen. Sie unterhielten sich über die Macht der Social Media. Wie schnell sich Dinge verbreiteten und welche Möglichkeiten dies mit sich brachte. Vielleicht wäre das auch eine Chance für sie - für Nicki. Wenn auch nur eine kleine.
»Was, wenn wir einen Aufruf starten? Wir warten schon seit Monaten, dass sie die Einstufung bekommt, um auf die Transplantationsliste zu kommen. Ihre Zeit läuft ... wie kann es sein, dass sie nicht eingestuft wird? Wie kann es sein, dass ein alter Schnösel einen Platz bekommt, nur weil er über die richtigen Kontakte verfügt?« Thomas setzte sich auf und musterte seinen Bruder.
»Du meinst ein Video? Das wir online stellen?«
»Und an alle unsere Kontakte schicken ... überall verbreiten. Du kennst so viele ... der halbe Campus kennt dich.« Thomas rieb sich sein Kinn, rutschte an die Bettkante und faltete seine Hände.
»Lass uns anfangen!« 
Gut zwei Stunden später war es vollbracht. Sie hatten ihre Situation erklärt, sich alles über Nicki und ihr Schicksal von der Seele geredet. Sie wollten kein Geld, sie wollten lediglich einen Platz auf der Transplantationsliste. Jackson würde seine Seele verkaufen dafür, dass seine Schwester wieder ein fröhliches, aufgewecktes Kind werden könnte. Am Ende ihres Beitrages hielten sie ein Foto von Nicki vor die Linse, mit dem Wunsch, deren Video zu verbreiten. Thomas postete es in seinem Instagram Profil, schickte den Link an alle Kontakte, die er besaß und lehnte sich tief ausatmend zurück.
Er studierte Journalismus, steckte mit seiner Nase irgendwie überall drin und hatte ein umfangreiches Adressbuch. »Das war's. Jetzt müssen wir nur noch abwarten.«
»Ich hoffe, es wird nicht zu spät sein.« Jackson griff nach der Armbanduhr an Thomas Handgelenk und runzelte seine Stirn.
»Verdammt, ich muss mich fertig machen. Ich muss los.« Er stand auf und fuhr sich durch seine Haare.
»Ich komme heute mit ... ich brauche Ablenkung«, rief Thomas ihm hinterher und erhob sich aus seinem Schreibtischstuhl.
Eine halbe Stunde später saßen sie in Jacksons Wagen und fuhren in die City. Beide waren herausgeputzt, mussten nun ihre Sorgen und traurigen Mienen ablegen und auf der Straße kleine Karten für Freigetränke verteilen, um so Gäste für einen angesagten Club zu werben. Bedrückte Stimmung war dabei nicht angebracht und so standen sie wenig später auf der Promenade vor dem Club und liefen auf und ab, um feierwillige Leute anzusprechen, die sowohl ins Bild des Clubs, als auch in deren Preisklasse passten.
Eine kleine Gruppe junger Frauen steuerte auf sie zu. Sie lachten und schwangen ihre Hüften, sie waren eindeutig in Partylaune. Jackson atmete tief durch, setzte sein charmantes Lächeln auf und ging ihnen provokativ und mit gestrafften Schultern entgegen. Er suchte sich diejenige der Damen heraus, die am meisten auffiel und blieb direkt vor ihr stehen.
»Ich habe eine Überraschung für euch«, sagte er mit tiefer, verführerischer Stimme und hielt den Blickkontakt mit ihr. Die anderen beachtete er gar nicht. Dabei drehte er die goldlasierten Karten in seinen Fingern und zog so die Blicke darauf.
»Ach ja?«, fragte seine Auserwählte und neigte ihren Kopf.
»Mhm«, brummte er und sah ihr tief in die Augen, schmunzelte. »Ich bringe euch in den angesagtesten Club der Stadt und die«, er fächerte die Karten und fuhr sich damit über seine Unterlippe, während er sie ansah und verschmitzt grinste, »... sind für euch.« Er neigte seinen Kopf, hielt ihr seinen Arm hin und wartete. Er wusste, wenn sie sich einhakte und mit ihm ging, würden die anderen folgen und er hatte seinen Job getan. Sie waren alles hübsche, junge Frauen. Genau das, was der Clubchef sehen wollte, um die männlichen Gäste bei Laune zu halten und ihre Brieftaschen zu öffnen.
Natürlich nahm sie seine Einladung an, schmiegte sich unverschämt an ihn und umfasste seinen Arm. Er war ein ansehnlicher Mann, wusste sich in Szene zu setzen und seine Ausstrahlung zu nutzen. Bei beiden Jobs. Hier für den Club und auch im Hotel, wo er an der Rezeption und hin und wieder auch an der Hotelbar arbeitete, konnte er seinen Charme und sein Aussehen nutzen. An Trinkgeld und unanständigen Angeboten fehlte es ihm nicht und bei Thomas sah es ähnlich aus. Er war nur noch nicht so lange dabei, schließlich war er zwei Jahre jünger als Jackson und erst vor wenigen Wochen einundzwanzig geworden.
Vor dem Eingang des Clubs traf Jackson auf Thomas. Auch er hielt in jedem Arm eine junge Frau. Sie zwinkerten sich zu und ließen sich vom Muskelprotz an der Tür durchwinken.

Der nächste Morgen kam viel zu schnell, schmerzhaft und laut. Jacksons Zimmertür schwang auf, knallte gegen seine Kommode und nur Sekunden später drückte Thomas ihm fast die Luft ab, weil er auf seinem Brustkorb auf und ab wippte.
»Hör auf oder du fliegst gleich«, brummte Jackson schnaufend und blinzelte seinem Bruder entgegen. Wie konnte er jetzt schon so wach sein? Sie waren erst gegen vier Uhr Zuhause gewesen und er fühlte sich als hätte er gerade erst die Augen geschlossen. Ein kurzer Blick auf seinen Radiowecker zeigte, dass es aber schon Stunden waren. Es war gleich elf Uhr.
»Du glaubst es nicht! Unser Aufruf! Das Video wurde bereits über fünfzehntausend Mal angesehen!« Mit weit aufgerissenen Augen hielt er Jackson sein Smartphone vor die Nase und bewirkte, dass dieser sich aufsetzte und sich über sein Gesicht rubbelte, um wach zu werden. Es klappte noch nicht wirklich und so kniff er ein Auge zu und betrachtete, mit nur einem Auge, die Zahl unter ihrem Video. Unzählige Kommentare hatten sich angesammelt und die Zahl wuchs stündlich. Aber das war nicht alles. Dazu kamen E-Mails. Beide konnten es kaum glauben, was über Nacht geschehen war und noch weniger konnte Jackson fassen, dass so ein kleines Video von den Beiden in so kurzer Zeit so viele Menschen erreicht hatte.

The Darkness Inside MxMWo Geschichten leben. Entdecke jetzt