Kapitel 10

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„Guten Tag, mein Herr. Was für einen Staat wünschen Sie?“, fragte Herr Braun zum 567sten mal.

„Gar keinen, Herr Braun.“

„Wirklich?“ Herr Braun ließ seinen Blick über die ungeduldige Menge hinter seinem Gesprächspartner wandern. „Sie sind wohl so ziemlich der einzige der keinen will.“ Dann richtete er seine Augen wieder auf sein Gegenüber. Ein zuversichtliches Lächeln lag auf den Lippen des Mannes.

„Ich bin hier um Ihnen meine Dienste anzubieten.“

„Dienste?“ fragte Herr Braun. „Als was?“

„Als was Sie mich brauchen. Ich bin ausgebildeter Manager. Wenn Sie meine Referenzen sehen wollen...“

Der Mann holte einen Plastikorder aus der neben ihm stehenden Ledertasche und breitete ihn so auf dem Tisch aus, das Braun durch die Glasscheibe lesen konnte.

Doch der war mehr damit beschäftigt, das Äußere des Mannes zu studieren. Ein wahrscheinlich maßgeschneiderter schwarzer Anzug, weißes Seidenhemd, Krawatte... er sah wie ein Leichenbestatter für die oberen Zehntausend aus. Braun verzog das Gesicht. Irgendwie erinnerte ihn der Mann an seinen Direktor.

„Wie Sie sehen, war ich schon bei mehreren Großkonzernen tätig. Eine junge Firma wie die Ihre braucht eine erfahrene Hand, die sie in die Zukunft leitet. Ich wäre bereit mich zur Verfügung zu stellen, für ein bescheidenes Jahresgehalt von, sagen wir, 10 Millionen Euro?“

„Nun, ich bin beeindruckt von Ihren Referenzen.“

„Das freut mich zu hören.“

„Sogar so beeindruckt, dass ich Ihnen einen ganz besonders wichtigen Posten zuweisen will. Den des CEO.“

„Ich soll Chief Executive Officer Ihrer Firma sein? Ich fühle mich sehr durch Ihr Vertrauen gee-“

„Verzeihung“, meinte Braun, „Sie haben mich falsch verstanden. Nicht Chief Executive Officer - Chief Executive Offpisser. Das Gehalt ist 0,00 Cent pro Monat. Guten Tag.“

„Hey, Schmidt.“

Der ehemalige Dauerstudent drehte sich um. Ein Wächter hatte sich hinter ihm aufgebaut.

„Ja?“

„Komm mit. Der Direktor will dich sprechen.“

Schmidt folgte dem Wächter über mehrere Treppen und durch mehrere Gänge, in denen es immer weniger Gitter und immer mehr Mahagoni und Topfpflanzen gab. Schließlich erreichten sie das Büro des Direktors. Dessen Tür hatte ein Gitter, aber, so vermutete Schmidt, wohl kaum um den Insassen am Ausbruch zu hindern. Er klopfte an. Von drinnen ertönte ein forsches 'Herein!'.

Schmidt tat wie ihm geheißen. Aus Gründen die wohl nur er kannte, hatte der Direktor seinen Schreibtischsessel so aufgestellt, dass er mit dem Rücken zur Eingangstür seines Büros saß. Schmidt umrundete den Tisch. Mit einem leisen ’Klick’ schloss der Wärter die vergitterte Glastür. Schmidt ließ sich auf dem Besucherstuhl nieder. Hinter dem kantigen Mann mit dem buschigen Schnurrbart der ihm gegenüber saß konnte er die spiegelverkehrte Aufschrift auf der Tür lesen.

Norbert Althaus

Direktor

Der Direktor beugte sich vor.

„Nun, Häftling Schmidt, es ist nur wenig Zeit seit Ihrer Einlieferung in diese Anstalt verstrichen. Sie haben keine Wächter angepöbelt oder verprügelt, Sie haben keine Drogen oder Alkohol hereingeschmuggelt und sind nicht der Blaskapelle beigetreten. Also haben Sie gegen keine der hier im Gefängnis geltenden Regeln verstoßen, und meinen Mittagsschlaf haben Sie auch nicht gestört. Trotzdem ist es Ihnen und dem Häftling Braun gelungen, mich zu verärgern.“

Althaus nahm eine Zeitung vom Tisch und wedelte damit in der Luft.

„Gestehen Sie. Sind Sie dafür verantwortlich, oder war es Braun?“

„ErwaresErwaresichhattegarnichtsdamitzutun!!!!!“, dachte Schmidt.

Doch als die Worte aus seinem Mund kamen, klangen sie anders:

„Wir beide, Herr Direktor. Aber ich weiß nicht, warum Sie so aufgebracht sind. Es war mehr eine Art Scherz. Außerdem ist es nur die dritte Seite. Zwischen Anzeigen für verlorengegangene Haarnadeln und Augenzeugenberichten über UFO-Landungen.“

„Ha. Ihnen ist wahrscheinlich nicht aufgefallen, dass die Zeitungen im Aufenthaltsraum von Gestern sind. Ich habe die aktuelle Ausgabe. Sie sind auf der Titelseite.“

„Ähem... ist es kein guter Artikel?“

„Zu gut, würden manche sagen. Es gibt eine zweibildige Karikatur von Ihnen und Braun. Man sieht wie zwei Staatsmänner mit Löffel und Gabel die Welt unter sich aufteilen wollen, dann kommen Sie beide jeweils mit einer Kreissäge ausgestattet und verpassen den Herren einen kräftigen Tritt in den... Nun, Sie verstehen schon.“

Schmidt schluckte und nickte. Er verstand.

„Lassen sie mich mal sehen, was in dem Artikel steht... Inzwischen haben sich wohl erste Konkurrenzgruppen gebildet. Trotzdem haben Sie noch immer den größten ’Marktanteil’ was die Schaffung neuer Staaten angeht. Es sollen sich bereits mehr als zweihundert Millionen Euro auf Ihrem Konto befinden.“

„Zweihundert?! Heute Morgen waren es nur 93!“

Diese Bemerkung schien den Direktor nicht zu besänftigen. Er legte die Zeitung beiseite und lächelte Schmidt süffisant an.

„Am liebsten würde ich Ihnen lebendig die Haut abziehen. Doch da Sie mein Gefängnis noch heute verlassen werden, wird das nicht nötig sein.“

„Werden wir etwa vorzeitig entlassen?“

„Wohl kaum. Heute Morgen erhielt ich einen Anruf vom Justizministerium. Es sieht so aus als sei ich nicht der einzige, dem Sie auf die Nerven gegangen sind. Sie und ihr Kumpan Braun werden noch einmal vor Gericht gestellt.“

Schmidt schluckte erneut. Sein Hals war inzwischen sehr trocken. Und das ausnahmsweise nicht aus Mangel an Whiskey.

„Also sagen Sie Ihrem Freund Bescheid und packen Sie Ihre Sachen. In zwei Stunden geht’s los. Ach ja...“

Der Direktor reichte ihm die Zeitung.

„Hier. Damit Sie sich auf der Fahrt zum Gericht nicht langweilen.“

Schmidt kehrte in den Aufenthaltsraum zurück. Dort fand er zu seiner Erleichterung den Rechts- und Linksvertreter vor.

„Haake, wann wirst Du entlassen?“ frage er ohne Umschweife.

Der Anwalt breitete die Arme aus.

„Übermorgen bin ich ein freier Mensch.“

„Hast du deine Anwaltslizenz noch?“

„Zum Glück ja. Sonst könnte ich gleich vom Gefängnis ins Armenhaus übersiedeln.“

„Das trifft sich gut. Möchtest du mich und Braun vertreten?“

„Und die Gegenseite will sich wohl von jemand anderem vertreten lassen? Ein ganz ungewohnter Gedanke für mich.“

„Du könntest gar nicht der Anwalt der Kläger sein. Das ist ein Staatsanwalt.“

„Was? Ich dachte sie hätten euch schon fünf Jahre aufgebrummt. Was wollen die denn noch von euch?“

„Haake, hör zu. Ich habe keine Ahnung, was in der Anklageschrift stehen wird, aber was sie von uns wollen, das kann ich Dir sagen.“

Schmidt hielt die Zeitung hoch, die er vom Direktor bekommen hatte.

„Eine Erklärung für das!“

„Du meinst Ihr werdet deswegen vor Gericht gestellt?“

„Was glaubst du? Willst du den Fall jetzt oder nicht?“

„Schmidt?“

„Ja?“

Auf Haakes rundem Gesicht lag ein verträumtes Lächeln.

„Das ist die Art Prozess, von dem jeder Winkeladvokat sein Leben lang träumt. Ich mache es pro bono.“

„Danke. Aber die Bohnen gibst du besser Braun, er ist der Vegetarier.“

Die Staats-AGWo Geschichten leben. Entdecke jetzt