Kapitel 1

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Lilly

Der Kies knirschte unter meinen Füßen, die mich wie von selbst über die zahlreichen Wege führten. Ich war schon so oft hier, dass ich den Weg in und auswendig kannte.

Die kühle Luft, die der New Yorker Januar mit sich brachte, hüllte mich ein und veranlasste mich dazu, mein Hände noch tiefer in den Taschen meines Mantels zu vergraben. Mein Gesicht hatte ich bis zur Nase in meinem dicken Schal vergraben um mich zumindest etwas vor dem beißend kalten Wind zu schützen.

Schneeregen prasselte vom grauen Himmel hinab, legte sich auf meine Haare und verfing sich in meinen Wimpern. Auch wenn ich diese Art von Wetter eigentlich abgrundtief hasste, passte es gerade hervorragend zu meiner gedrückten Stimmung.

Wann immer ich die Pforten des Friedhofes passierte zog sich mein Innerstes zusammen. Jedes Mal überkam mich ein beklemmendes Gefühl und mein Herz schien nur schwer in meiner Brust zu schlagen. Das Wissen, weshalb ich immer wieder hier her kam jagte mir einen Schauer über den Rücken.

Auch wenn ich diesen Ort aufs Tiefste verabscheute, ich konnte ihm einfach nicht fern bleiben. Viel zu groß war die Sehnsucht nach diesem geliebten Menschen, den ich jetzt schon seit über drei Jahren nicht mehr in meine Arme schließen konnte.

Ich glaube, wäre ich damals nicht dabei gewesen würde ich das alles bis heute für einen schlechten Scherz halten. Würde denken, dass er im nächsten Moment wieder vor mir stehen würde und mich wie immer zum lachen bringen würde.

Aber es war leider kein schlechter Scherz.

Es war die bittere, harte Realität.

Und in dieser verdammten Realität würde ich meinen großen Bruder nie wieder sehen können.

Er war erst 21 als er aus dem Leben gerissen wurde und bis zum heutigen Tag konnte ich nicht nachvollziehen, was passiert war. Laut der Polizei war es ein Unfall, ein Versehen. Er soll zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sein.

Ich hingegen konnte beim besten Willen nicht glauben, dass es wirklich nur ein Versehen war.

Und genau diese Ansicht meinerseits brach meine kleine, vermeintlich heile Familie entzwei. Ich gegen den Rest. Meine Eltern konnten meine Gedanken nicht im geringsten nachvollziehen. Vermutlich war das auch der Grund, weshalb sie kurz nach meinem 18. Geburtstag vor zwei Jahren Hals über Kopf das Land verlassen hatten und in die Nähe meiner großen Schwester, die in Oxford studierte, gezogen waren.

Aus den Augen aus dem Sinn.

In England hatten sie zumindest keine kleine rebellierende Tochter, die das heile Familienbild anzweifelte.

Irgendwie wunderte es mich nicht mal sonderlich, dass sie mich mehr oder weniger zurückgelassen hatten. Ich hatte noch nie so ganz in meine Familie gepasst. Man konnte mich getrost als schwarzes Schaf bezeichnen. Und um ehrlich zu sein störte mich das noch nichtmal sonderlich. Meine Schwester Mary hingegen war das Engelchen meiner Eltern. Immer gute Noten, in sämtlichen Schulclubs höchst engagiert und dann auch noch ein Stipendium an der Oxford erhalten, wo sie jetzt Medizin studierte. Was wollte man schon mehr? Logan, mein Bruder fiel zumindest für meine Eltern, ebenfalls in die Kategorie Traumkind. Ebenfalls gute Noten, Ausnahmesportler an der High School und anschließend Jura Student an der NYU. Allerdings waren Logan und ich uns ähnlicher als meine Eltern dachten. Schon recht früh schlichen sowohl er als auch ich uns auf Partys, tranken gern mal Einen über den Durst und von den Tattoos mal ganz zu schweigen. Der einzige Unterschied zwischen uns? Er machte es bei Weitem nicht so auffällig wie ich es tat.

Logan und ich standen uns schon immer unglaublich nahe, hatten so ziemlich jeden Mist zusammen gemacht. Das war auch der Grund, weshalb ich es nicht übers Herz brachte nicht regelmäßig an sein Grab zu gehen. Mittlerweile war ich eine der Wenigen die noch hier her kam. Seit meine Eltern in England wohnten waren sie nicht mehr hier. Meine Schwester war das erste und letzte Mal an seiner Beerdigung an seinem Grab.

Und das machte mich nicht nur unglaublich traurig, sondern auch verdammt wütend.

Aber was konnte ich schon dagegen tun? Sowohl mit meinen Eltern als auch mit meiner Schwester hatte ich nur sporadisch Kontakt und jedes Mal wenn ich fragte, wann sie denn mal wieder in die Staaten kommen würden, wurde immer irgendein wichtiger Grund vorgeschoben. Manchmal kam es mir so vor, als würden sie alles was jemals hier geschehen war und was sie hier noch hatten in den hintersten Winkel ihres Gehirns verbannen.

Durch das dämmrige Licht und die vom Himmel fallenden Tropfen konnte ich erst recht spät erkennen, das zwei Leute vor dem Grab meines Bruders standen. Die Hände hatten sie tief in den Manteltaschen vergraben, die Köpfe steckten sie verschwörerisch zusammen.

Ohne überhaupt die Gesichter der Beiden zu sehen wusste ich, dass es niemand sein konnte, den ich kannte. Lediglich meine Tante, mein Onkel und ich kamen noch hier her. Freunde von ihm waren seit der Beerdigung nicht mehr hier gewesen. Zumindest meines Wissens nach.

Mit zusammengekniffenen Augen nährte ich mich den Beiden. Zwei hochgewachsene Männer, beide mit dunklen Haaren. Irgendwas beredeten sie leise, was konnte ich aber nicht verstehen, egal wie sehr ich mich anstrengte. Selbst als ich hinter den Beiden stand, hatten sie mich scheinbar noch nicht bemerkt, so vertieft waren sie in ihr Gespräch. Räuspernd trat ich noch einen letzten Schritt auf die zwei Männer zu, die erschrocken herumfuhren und mich aus großen Augen anstarrten.

Entgegen meiner Erwartung kannte ich die beiden jungen Männer doch. Obwohl kennen vielleicht etwas hochgegriffen war. Gesehen hatte ich sie aber schon. An Logans Beerdigung vor drei Jahren. Wage konnte ich mich daran erinnern, dass sie sich stets etwas im Hintergrund gehalten hatten, die ganze Trauerfeier eher aus der Ferne beobachtet hatten.

"Sie sind Logans Schwester, richtig?" Irritiert und vor allem skeptisch blickte ich zu dem etwas Größeren der Beiden, der mich mit seinen hellen, stechenden Augen intensiv musterte. Langsam nickte ich und sah von Einem zum Anderen und wieder zurück. "Ja. Darf ich fragen wer Sie sind?" Die meisten von Logans Freunden kannte ich. Immerhin hatte ich mich dank ihm oft genug auf irgendwelchen Studentenpartys rumgetrieben und dabei recht viele Leute kennengelernt. Die Beiden waren mit Sicherheit nicht dabei.

"Wir sind..." Der Größere räusperte sich kurz. "Wir waren Freunde von Ihrem Bruder. Es war höchste Zeit mal wieder hier her zu kommen." Ich nickte lediglich. "Schön, dass wenigstens Sie das so sehen.", murmelte ich. Meine Worte waren eher an mich selbst gerichtet, aber scheinbar hatten sie es trotzdem gehört. Zumindest ihren irritierten Blicken nach zu urteilen.

Einer der Beiden sah nachdenklich auf den Grabstein meines Bruders, dann wanderten seine dunklen braunen Augen zu mir ehe sich seine Miene aufhellte, als hätte ihn gerade eine Erkenntnis getroffen. "Lilian, richtig?", sprach er. "Lilly reicht. Bitte." Nur meine Eltern nannten mich Lilian. Und ich hasste es abgrundtief. "Hören Sie, Lilly. Ich weiß es ist nicht unbedingt der geeignetste Ort dafür, aber meinen Sie, Sie könnten uns bei etwas helfen?" Ich verengte meine Augen und musterte den schwarzhaarigen aufs genaueste. "Bei was bitte soll ich Ihnen helfen?" Ich kannte diese Kerle doch gar nicht. "Das ist nicht ganz so einfach zu erklären. Wie wäre es wenn wir irgendwo zusammen hingehen, wo es etwas wärmer ist?"

Ungläubig starrte ich zu dem mit diesen unglaublich hellen, durchdringenden Augen, der scheinbar erst jetzt verstanden hatte, auf was sein Freund aus war. "Ich kenne Sie beide doch nicht mal. Nur weil Sie behaupten Freunde von meinem Bruder gewesen zu sein, heißt das noch lange nicht, dass ich einfach irgendwo mit Ihnen hin gehe. Ich kenne ja noch nicht mal ihre Namen."

"Ich heiße Fabio und das ist mein Bruder..." Er wurde von dem Kerl mit den hellen Augen, die so unglaublich intensiv auf mir lagen, unterbrochen.

"Mein Name ist Milo. Milo Salvatore."

Heyho 😊

Willkommen zu meiner neuen Story

Ich hoffe sie wird euch gefallen

Lasst gerne eure Meinung da 😊

Love you ♥️

Milo Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt