Kapitel 6

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Kapitel 6

Messerscharf hatten sich die Worte in sein Hirn gebrannt. Seine Mutter schaute mit offenem Mund zu ihm. Seine Schwester grinste triumphierend in sich hinein. Er selbst schaute stumm zu seinem Vater. Versuchte etwas zu sagen, doch seine Kehle war wie ausgetrocknet. Die Hände, die sein Vater fest um seine Schultern geschlungen hatte, erdrückten ihn. Cem kam es so vor, als wäre er in einem Schraubstock gefangen.

«Glaubt ihr mir jetzt?», kam es gedämpft aus dem Mund von Melissa, die sich an ihre Eltern wandte, um somit die Aufmerksamkeit ihrerseits zu erhaschen.

«Das hat nichts mit glauben zu tun», sprach ihr Vater zischend und wandte sich wieder seinem Sohn zu, schob ihn aus dem Raum in Richtung Flur, drückte ihm seine Sachen in die Hand, öffnete die Tür, schob ihn grob nach draußen, ließ ihn los und sprach mit fester Stimme: «Lass dich nicht mehr blicken! Du bist nicht mehr mein Sohn! Verschwinde aus meinen Augen! Wenn du noch einmal hier auftauchst, dann wirst du mich kennenlernen!»

Noch bevor die Tür zuknallte, hörte Cem, wie seine Mutter etwas Unverständliches murmelte. Dann war alles still. Er stand auf dem Flur und sah zur Wohnungstür seiner Eltern. Nur dumpf konnte er die laute Stimme seines Vaters hören. Nur dumpf die Stimme seiner Mutter. Nur dumpf die Stimme seiner Schwester, die sich vermutlich darüber freute, ihn am Boden zerstört zu sehen. Cem selbst jedoch hielt es nicht länger im leeren, dreckigen Flur aus. Er musste hier weg. So schnell ihn seine Beine tragen konnten, lief er die Treppe hinunter und schwang sich in sein Auto. Als der Motor ansprang, drückte er aufs Gaspedal und fuhr in Richtung seiner Wohnung, wo sein Freund und bester Kumpel Burak schon auf ihn wartete. Vermutlich würde sein Kumpel ihn ausfragen, wenn er sein schlechtgelauntes Gesicht sah. Cem jedoch musste es riskieren, nach Hause zu fahren. Denn er hatte keine Lust in eine Bar zu gehen, um dort von wildfremden Menschen angesprochen zu werden. Auf Autogrammstunden hatte er ebenfalls keine Lust.

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BELLA BAKER

Sie hatte sich auf die Bettkannte gesetzt und schaute mit traurigem Gesichtsausdruck in die Ferne. Die Geräte, an die Melek angeschlossen war, zeigten an, wie sich ihr Herz verhielt und andere Werte, von denen Bella keine Ahnung hatte. Als sich die Tür des Zimmers öffnete, schaute Bella auf. Direkt ins Gesicht ihres Bruders, der ihr eine Tasse mit einer dampfenden Flüssigkeit reichte. Dankend nahm Bella diese an und nippte vorsichtig daran. Zwar schmeckte der Kaffee nicht gerade gut, doch sie trank ihn trotzdem. Der würde sie wach halten. Ayden hatte sich, nachdem er ihr die Tasse gereicht hatte, neben sie auf einen Stuhl gesetzt und schaute auf den Körper von Melek, die mit lauter Kabeln versehen war. Die Geschwister waren still, schauten betroffen zum verletzten Körper herüber. Niemand wagte es, etwas zu sagen oder gar einen Ton von sich zu geben. Nur das Piepen der Geräte war im Raum zu hören und veranlasste eine Art Hypnose bei den Personen, die nebeneinander auf zwei Plastikstühlen saßen und dem verletzten Körper ihrer Freundin entgegensahen. Die Gedanken Bellas wirbelten im Kreis, drehten sich, wie als wären sie auf einer wilden Achterbahnfahrt unterwegs. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Spürte nur den dicken Kloß im Hals, der sich langsam ausbreitete und ihr Inneres übernahm. Schnell senkte sie den Blick auf den Linoleumboden. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie ihr Bruder sie mit besorgtem Gesicht musterte. Bella musste stark sein. Durfte nicht weinen. Nicht vor ihrem Bruder. Nicht im Krankenhaus, wo sie alle sehen konnten. Nicht im zimmer, wo plötzlich ein Arzt oder eine Schwester hereinplatzen konnte, um sie aus dem Krankenzimmer zu bitten, da die Besuchszeit vorüber war. Jedoch gelang es ihr nicht, die Tränen zurückzuhalten. Sie flossen in Bächen über ihr Gesicht. Bedeckten ihre schmalen Wangen, fielen auf das schwarze Shirt, was sie angezogen hatte. Fielen auf die graue Hose, die sie sich aus dem Schrank genommen hatte. Benetzten ihre Hände, die sie sich vor das Gesicht gelegt hatte, damit Ayden ihre Tränen nicht sehen konnte.

Wenn aus Liebe Hass wirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt