Drachenraunen

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Im Schatten der Ruinen eines dieser Bauwerke hatten sie ihr Nachtlager aufgeschlagen.

Auric warf jetzt im Licht des Vollmonds einen Blick dort hinüber, während dessen bleicher Schein ganz allmählich von einer dahintreibenden Wolkenbank verdunkelt wurde. Selbst bei dem ruinenhaftem Zustand des burgartigen Torhauses konnte man erkennen, dass es mehr unterscheidbare Einzelheiten und Strukturmerkmale besessen hatte als die Hauptfeste. Kantige Seitentürme ragten noch immer wie Reißzähne über Baumkronen empor. 

Ein Wald, der ein Muster aus dem Ruder gelaufener Natur darstellte, umwucherte und bedrängte die Torruine: wild und wie feindlich gegeneinander drängende gegensätzliche Baumfamilien, chaotisch ineinander verhaktes Durcheinander unverträglicher Pflanzengesellschaften, ein Flickenteppich gewaltsam ineinander gepferchter Lebensräume. Eine Schicht aus Asche, die das ungezügelte Wachstum begünstigt haben mochte, drang mancherorts durch den Boden, als sei hier ein Brand an eine Schicht der Wirklichkeit gelegt worden, der alle Vernunft der Naturgesetze so verheerend weggesengt hatte, dass bei der Wiedereroberung dieser Räume durch die Natur die Ordnungsmächte pflanzlichen Wachstums außer Kraft blieben. Überwucherte Hügel und Wälle in denen sich Bautrümmer und verweste Pflanzenteile zu untrennbarem Gemenge mischten, wuchsen die alten Mauern hoch und verdeckten ihren unteren Teil; die Erde griff hoch nach den Bauten und wollte sie umschlingen. Dort, in einer Kuhle zwischen den Erhebungen war das Lager seiner Truppgenossen. Die Glut der zu einem letzten Rest herabgebrannten Lagerfeuer konnte man durch wirres Astwerk hindurch selbst bis hierher erkennen.

Der Graustelzer tauchte plötzlich und ohne Vorwarnung vor Auric auf.

Eine Sekunde vorher war da noch ein Baumstumpf gewesen, dann geschah etwas rasend schnell damit. 

Er entfaltete sich wie eine zuschnappende Gottesanbeterin. Die Spitze eines raubvogelspitzen Kopfes schnellte aus dem Stamm hoch und richtete sich auf Auric aus, Arme klappten zu den Seiten weg und wie lange Spinnenbeine auseinander, wo vorher nur der Anschein eines einzigen borkigen Stammkörpers gewesen war, das ganze Ding hob sich in einem Regen davon abfallenden toten Laubs und Erde aus dem Boden und in die Luft, emporgestemmt von sich halb aus dem Stamm, halb aus der Erde entfaltenden Beinen, grau und knöchern wie die Gebeine von Urzeitmonstern, lang und dürr wie die Gliedmaßen von Spinnentieren.

Auric konnte gerade noch dem peitschenden Zupacken der Arme entgehen, indem er sich nach vorne warf, unter ihnen weg und zwischen den Beinen des Wesens hindurch abrollte. Er stöhnte auf, als sein Schwert, das noch immer in der Scheide steckte, sich schmerzhaft in seine Seite grub.

Indem er emporkam, zog er es blank. Da war also eines jener Wesen, die diese nördlichen Gegenden heimsuchen sollten. Es gab sie also tatsächlich.

Mit unglaublicher Schnelligkeit drehte sich das Wesen auf seinen langen Beinen herum, rammte sie um die Achse kreiselnd in den Boden, richtete sich unbarmherzig wieder auf seine Beute aus. Seine Augen waren kleine, nur mit schwacher Wölbung in die knorrige, lange Form des Kopfes eingebettete schwarze Kugeln, kaum auffällig, die mit indifferenter, vogelartiger Intelligenz rollend all seinen Bewegungen folgten, als sei ihr Blick wie mit unsichtbaren Strängen physisch an seine Beute gekettet. Seine Bewegungen erweckten bei Auric den Eindruck, als habe es zu viele Gelenke in seinen scherenartig ausgreifenden Gliedern; sie hatten zugleich etwas Ruckhaftes, aber in der Gesamtheit des Ablaufes etwas auf beirrende Art reptilhaft Fließendes.

Seine Haut wirkte im Mondlicht wie graue Borke. Mal sehen, was eine mit Kraft geführte Klinge dagegen ausrichtet. Zum ersten Mal seit er in den Zügen war, wünschte er sich allen Ernstes, er halte statt des Schwertes eine Axt in Händen.

Die Arme schnellten ihm erneut entgegen, zerschnitten wie blitzschnelle Geschosse hierhin, dorthin packend die Luft. Augenblicklich einsetzende Instinkte, die ihn im Nacken packten und ihn tanzen ließen, retteten ihn. Er spürte den Lufthauch der Attacken, kalt in die Nachtluft gepflügt, als sei er mitten in einen Wirbelsturm von Dreschflegeln geraten. Gliedmaßen streiften ihn, etwas Scharfes wie Dornen zerschnitt ihm Haut und Kleidung.

Die Beine des Graustelzers bohrten sich mit rasender Schnelligkeit in den Boden. Laub flog nach allen Seiten hoch, ein Flattern dürrer Blätter wie Schwärme aufgeschreckter Fledermäuse. Er hieb durch die in der Dunkelheit aufstiebenden Wolken wirbelnden Raschelns hindurch nach einem der wild zuckenden Arme. 

Es fegte ihn seitwärts von den Beinen, scharfer Schmerz durchfuhr seinen Unterarm. Ihm blieb die Luft weg, trotzdem warf er sich irgendwie zur Seite. Plump aber rechtzeitig. Um einem der zahlreichen scharfkantigen Sporne zu entkommen, die sich am Unterarm des Graustelzers aufgerichtet hatten. Der ihm dennoch durch die feste Kleidung hindurch eine lange, blutende Wunde in den Oberarm riss.

Er rollte sich herum, diesmal kontrollierter, dabei das Schwert sicher von sich gestreckt, wie er es gelernt hatte. Zur Seite. Schnellte dann hoch und vorwärts, fühlte einen der Arme ihn streifen wie ein Peitschenhieb, hieb mit aller Kraft zur Seite weg und spürte die Klinge in satten Widerstand beißen. Packte das Schwert mit beiden Händen diesmal – ein Satz zur Seite, dem erneut zustoßenden Arm zu entgehen – und hackte noch einmal mit aller Kraft in die gleiche Richtung. Ein hässliches Geräusch zwischen Knirschen und feuchtem Klatschen.

Auric machte einen Satz zurück und sein linker Mundwinkel zuckte in einem Grinsen grimmiger Befriedigung.

Der Graustelzer knickte mit abgehacktem Bein zur Seite weg. 

Er war immer noch eine tödliche Gefahr mit seinen verbliebenen wild zustoßenden Gliedmaßen. Und er würde nicht leicht sterben. 

Auric bleckte die Zähne, tänzelte in sicherem Radius um das Wesen herum und schwang sein Schwert mit beiden Händen in eine hohe Angriffsposition.

In diesem Moment begann das Schreien drüben bei den Lagerfeuern.

Eine Leseprobe aus „Ninragon“ von Horus W. Odenthal.

Diese Episode zeigt den 21-jährigen Auric Torarea Morante, genannt Auric der Schwarze.

Ninragon ist eine Fantasy-Trilogie von 415.410 Worten (1.272 Seiten), eine Mischung von High Fantasy und Sword & Sorcery, moderne Fantasy: frisch, ehrlich, poetisch, unmittelbar, authentisch, kompromisslos.

Die Bände „Die standhafte Feste“ und „Der Keil des Himmels“ und "Der Fall der Feste" sind bei Amzon erhältlich unter:

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 17, 2012 ⏰

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