22. Kapitel

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22. Kapitel

Was wir taten fühlte sich richtig an, doch das heißt nicht, dass es das auch war.

-Leo

Schweigend fuhren wir zum Strand. Es wurde immer dunkler und als wir ankamen, war die Sonne bereits dabei hinter dem Meer unterzugehen. Es war wunderschön, tauchte die ganze Welt in ein warmes Orange und Rot. Der Anblick war beinah schon heilsam. Beinah. Der Schmerz in Lillys Augen über meinen Verrat an ihr, war noch deutlich zu erkennen. Sie hatte gesagt, dass es okay sei aber mir war klar dass sie es nicht so gemeint hatte, auch wenn sie es tief in ihrem Inneren wollte. Ich hätte mir darüber Gedanken machen sollen, was zwischen Ryan und mir passiert war und wie es sich angefühlt hatte, aber alles was mich interessierte war was Lilly darüber und viel wichtiger als das, über mich dachte.

„Kannst du bitte etwas sagen", bat ich sie, als wir nebeneinander doch ohne uns zu berühren, am Ufer standen und raus auf die tosende See sahen.

„Was möchtest du denn, dass ich sage?", fragte sie leise.

„Lil ich möchte nicht dass du das sagst was ich gerne hören will. Ich will dass du ehrlich zu mir bist", meinte ich und fuhr mir frustriert übers Gesicht.

Ruhig blieb sie stehen und sah einfach nur in die Sonne. Seufzend wandte ich mich von ihr ab und lief einige Schritte von ihr weg. Ich schüttelte den Kopf. Das konnte einfach nicht passiert sein. Warum musste alles so furchtbar kompliziert sein?

Plötzlich schloss sich eine Hand um meine. Verdutzt drehte ich mich um. Meine Schwester stand vor mir und sah mich forschend an. Langsam kam sie näher und blieb direkt vor mir stehen. Als sie sich leicht auf die Zehnspitzen stellte, beugte ich mich vor und küsste sie sanft auf die Lippen.

„Ich kann dich nicht verlieren", flüsterte ich leise, als wir den Kuss beendet hatten und meine Finger über ihre Wange strichen.

„Dann tue es nicht", antwortete sie schlicht.

Erleichtert zog ich sie in meine Arme. Gemeinsam blickten wir rauf zu unserem alten Haus. Still und unbelebt lag es da, angestrahlt in einem Hauch von goldenem Rotschimmer. Vorsichtig rückte Lil von mir ab und schaute mich an. Wir brauchten keine Worte, wir verstanden uns auch so.

Mir war damals klar wie falsch es war was wir taten. Aber es fühlte sich richtig an. Gut. Obwohl es das nicht sollte. Im Grunde war dieser Moment, diese Nacht, alles was wir hatten. Alles was wir nicht hatten. Es war ein Traum, eine gesponnene Version der Wirklichkeit, eine Lüge, die wir uns erzählten, damit wir uns besser fühlten. Ich schäme mich, dass ich es nicht war, der die Konsequenzen zog, sondern Lil. Das sie die Stärkere war und nicht ich. Ich, der ich fast zehn Jahre älter war. Aber wie man es auch drehte und wendete, es wurde weder besser, noch schlechter. Die Fakten blieben: Es waren ein paar Stunden. Stunden, die man uns nicht mehr nehmen konnte.

„Willst du wirklich reingehen?", fragte ich sie.

Wir standen Seite an Seite vor dem Haus, ohne uns zu berühren. Dennoch schien die Luft zwischen uns zu knistern. Meine Armhaare waren aufgestellt, obwohl es viel zu warm war, für die späte Stunde. Es war mir nach wie vor unerklärlich, wie sie eine solche Anziehung auf mich ausüben konnte.

Es war seltsam hier zu sein. An dem Ort, an dem wir als Familie noch existierten. Als Anna noch lebte und wir den Tod noch nicht in unserem Leben verwurzelt hatten.

„Ich weiß nicht. Aber ich glaube nicht, dass wir woanders hingehen können", sagte sie leise und suchte nach meiner Hand.

Ich verwob meine Finger mit ihren. Ihr Puls ging so stark und schnell, dass ich ihn spürte und ihr Atem stockte kurz, bevor sie mich hinter sich her zum Eingang zog. Sie ließ mich los und strich durch das Glockenspiel mit den vielen Schlüsseln und griff zielsicher nach einem. Vorsichtig löste sie ihn und starrte ihn dann einige Sekunden lang an. Ich wollte ihn ihr abnehmen, aber sie ließ mich nicht.

„Nein, ich schaff das schon."

„Das weiß ich", antwortete ich sanft und rang ihn ihr ab.

Ich wollte es für sie tun. Wenn wir schon da rein gingen, dann musste ich die Tür öffnen. Zittrig steckte ich den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um. Dieses Mal suchte ich nach ihr und sie tat mir den Gefallen. Leise, benah lautlos, machte sie den ersten Schritt hinein und sah sich aufmerksam um. Obwohl ich den Drang verspürte mich ebenfalls umzusehen, war ich zu beschäftigt auf Lils Reaktion zu achten. Ich wollte sehen, ob sie es schaffte. Ob wir wirklich bleiben konnten. Ich hätte es verstanden wenn nicht, aber ich konnte nicht bestreiten, dass ich enttäuscht gewesen wäre.

Vorsichtig, als könnte sie etwas zerstören, wenn sie näher hinsah, betrachtete sie alles. Strich behutsam über einen kleinen Tisch und stand dann still da. Ließ einfach alles auf sich wirken. Nach einer Weile drehte sie sich zu mir um und lächelte schwach, während sie mir eine Hand entgegenstreckte. Glücklich ergriff ich sie. Gemeinsam gingen wir nach oben in den ersten Stock, wo mein altes Schlafzimmer war. Dort angekommen schlossen wir die Tür hinter uns, auch wenn es nicht nötig gewesen wäre. Bei den Vorhängen war das etwas anderes. Wenn unsere Nachbarn Licht sahen, würden sie kommen um nachzusehen, wer da war. Sie waren einfach zu neugierig. Oder zu fürsorglich, je nachdem wie man es betrachtete.

Sie ließ einen winzigen Spalt zwischen den Vorhängen offen und schaute nach draußen, wo die Sonne jetzt beinah verschwunden war. Langsam ging ich auf sie zu. Vollkommen bewegungslos stand sie da. So wunderschön. Sanft strich ich ihr die Haare nach vorne und küsste ihren Nacken. Zögernd atmete sie ein und aus, ehe sie die Augen schloss und sich einfach hingab. Nach und nach küsste ich mich von ihrem Hals herunter zu ihrer Schulter. Meine Finger schoben die Träger ihres Tops beiseite. Ihre Haut roch wundervoll, nach der Sonne und dem Meer. Tief atmete ich ihren Geruch ein, dann drehte ich sie zu mir um. Wir suchten den Blick des Anderen. Ich versank in ihren Augen, küsste sie auf die weichen Lippen. Ihre Hände gruben sich in meine Haare, ihr schmaler Körper presste sich an meinen.

Plötzlich hob ich sie hoch, ihre Beine schlangen sich um meine Hüfte, während ich sie zum Bett trug und vorsichtig darauf ablegte. Fasziniert schaute ich auf sie herab.

„Du bist so wunderschön", flüsterte ich, was ihr ein Lächeln auf die Lippen zauberte.

Sie setzte sich auf und zog mir mein Shirt über den Kopf, was ich bereitwillig geschehen ließ. Ihre Hände fuhren meine Arme hoch zu meinem Gesicht, zogen es zu sich ran. Während wir uns immer inniger küssten, glitten meine Hände unter den Saum von ihrem Top und zogen es ihr aus. Meine Lippen küssten ihren Hals, ihr Schlüsselbein, ihren Bauch. Leise stöhnte sie und schlang die Beine erneut um meinen Körper, drückte mich so an sie. Ich schmunzelte in den Kuss hinein. Es war einfach so perfekt.

Wir ließen uns unglaublich viel Zeit, waren behutsam, aber dennoch kam die Leidenschaft durch. Wir schliefen nicht miteinander. Das konnten wir einfach nicht. Keiner von uns konnte es mit seinem Gewisschen vereinbaren, oder dem Gesetzt, weshalb wir am Ende beide in Unterwäsche dalagen. Ich hielt sie im Arm und versuchte mein pochendes Herz zu beruhigen, während Lilly sich bemühte ruhiger zu atmen. Sie drehte sich zu mir um und küsste mich, ehe sie ihren Kopf auf meine Brust bettete und langsam einschlief.

Ich betrachtete sie in ihrem friedlichen Schlummern, war glücklich und dachte damals noch keine Sekunden an die Folgen jener Nacht.

Forbidden Touch (TNM-#0.5)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt