6. Auf den ersten Blick

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Schnell verging die Zeit. Wir hatten uns viel zu erzählen und nachdem es nun zwischen uns keine Peinlichkeiten mehr gab, verstanden wir uns prächtig. Es war als kannten wir uns schon ewig.

Ehe wir uns versahen, ging das Getöse auf den Fluren erneut los. Es war Frühstückszeit. Es dauerte nicht lange, und auch unsere Tür wurde geöffnet. Wieder ein neues Gesicht trat herein und hielt in beiden Händen ein Tablett. "Guten Morgen!", rief die Schwester freundlich und blickte dann gleich zu mir rüber und lächelte mir zu. Irgendwie schien sie erschrocken zu sein, als sie mich erblickte, aber das war nur einen kurzen Augenblick so, denn gleich wurde ihr Lächeln noch freundlicher. Ihre dunklen Augen funkelten. Mir ging es nicht anders. Sie war sehr hübsch, etwa mein Alter, dunkle schulterlange Haare und eine Spitzenfigur. Unter dem knielangen Schwesternkittel verbargen sich aufregende Rundungen. Sie schien hübsche Beine zu haben, denn der in eine weiße Strumpfhose gehüllte Teil, den ich zu sehen bekam versprach einiges mehr.

Nur kurz ließ ihr Blick von mir ab um das Tablett auf Klaus' Nachttisch abzustellen. Flüchtig wünschte sie ihm einen guten Appetit und kam dann gleich zu mir rüber.

"Herr Müller, wir kennen uns noch nicht", sagte sie, hielt mir die Hand hin und ihr Lächeln und ihre funkelnden Augen faszinierten mich aufs Neue.

"Ich bin Schwe..., ach, ich bin Petra."

Auch ich hielt Ihr meine Hand entgegen, da ich ihr aber nur die linke geben konnte, wurde es ein ziemlich verdrehter Händedruck. Wir lachten darüber. "Und ich bin Nils, Nils Müller, aber das weißt Du ja sicher bereits. Oh - entschuldige, darf ich ‚Du' sagen?"

"Klar, so förmlich hab ich's nicht. Was möchtest Du zum Frühstück, süß oder Herzhaft?"

"Süß!", sagte ich, worauf Petra erwiderte, dass sie sich das gedacht hätte. "Wieso", fragte ich. "Naja, du siehst ebenso aus." Ich sehe so aus? Wie hatte sie das gemeint? Wollte sie mir damit sagen ich sehe "süß" aus? Erst wollte ich ihr diese Frage stellen, doch ich traute mich nicht und so fragte ich nur: "Wieso, kann man einem Menschen ansehen was sie zum Frühstück nehmen?"

"Manchen schon!", sagte sie, lächelte mich noch einmal an und lief zurück auf den Flur. Schon ein paar Sekunden später kam sie wiederum mit einem Tablett. Diesmal war es mein Frühstück. Kaffee, ein paar Schnitten Brot, etwas Marmelade und Honig. Ich freute mich schon drauf, denn ich hatte mächtig Kohldampf. Petra stellte das Tablett auf den Nachttisch und schob ihn so hin, dass ich essen konnte. "Guten Appetit!"

"Danke gleichf... Ach nee, du isst ja leider nicht mit!", nuschelte ich, da ich bereits einen Schluck Kaffee im Mund hatte.

"Tja, ich muss erst noch ein bisschen tun, bevor ich Frühstück machen kann. Aber wer weiß, vielleicht haben wir noch mal die Gelegenheit zusammen zu Frühstücken."

Gerade als ich Petra antworten wollte, rief eine energische Frauenstimme auf dem Flur: "Peetraa! Kommst du endlich, andere haben auch noch Hunger!" Petra erschrak. "Ich muss", sagte sie und zeigte in Richtung Tür. "Ich guck später noch mal rein."

"Versprochen?"

"Ja, Versprochen!" Petra ging. Zum Abschied, falls man das so nennen konnte, winkte sie mir zu.

Als Petra raus war, meinte Klaus: "Nah, zwischen euch hat es aber gefunkt." Ich wusste erst gar nicht, was ich sagen sollte, denn ich fühlte mich ertappt. Klaus hatte recht, Petra war eine tolle Frau und wenn es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gibt, dann hatte der Blitz, zumindest bei mir gerade eingeschlagen.

"Meinst du, ich habe ihr gefallen?"

"Das hat doch wohl 'n Blinder mit ‚nem Krückstock gesehen."

Klaus' Antwort machte mich verlegen. Ich glaube in diesem Augenblick bin ich etwas rot angelaufen.


Ich wollte nun meine Aufmerksamkeit wieder meinem Frühstück widmen und musste Petra daher für einen Moment aus meiner Gedankenwelt verbannen. Doch das sollte mir nicht so einfach gelingen, den allzu bald merkte ich, dass ich mir meine Brote nicht selber schmieren konnte. Schreiben ging mit links und einer Hand ja gerade noch, aber Brot schmieren? Zuerst wollte ich Klaus bitten mir zu helfen, doch da kam mir die grandiose Idee Petra zurückzuholen um mir behilflich zu sein. Ich suchte nach der Klingel und gleich darauf hörte ich den von mir ausgelösten Alarm als leises surren im Schwesternzimmer.

Es dauerte etwa 1 Minute, dann öffnete sich unsere Tür wieder. Zu meinem Erstaunen, war es leider nicht Petra, die dort stand. Es war die Stationsschwester. Eine Kräftige Frau mit kantigen Gesichtszügen. Sie mag so Ende 40 gewesen sein und flößte einem sogleich Respekt ein.

"Guten Morgen Herr Müller, ich bin Schwester Gisela, die Stationsschwester. Wir haben uns zwar gestern schon gesehen, aber ich glaube kaum, dass sie sich an mich erinnern, oder?"

"Das stimmt", erwiderte ich und dabei muss man die Enttäuschung in meiner Stimme deutlich gehört haben, denn Klaus blickte mich recht mitleidig an, er schien zu wissen, dass ich fest mit Petra gerechnet habe.

"Was kann ich für sie tun?", fragte die Stationsschwester.

"Es wäre nett von Ihnen, wenn Sie mir beim Brote schmieren helfen könnten, alleine krieg' ich das nicht hin."

"Dafür sind wir doch da", meinte Schwester Gisela, begann sofort meine Brote mit Butter zu beschmieren und warf damit sogleich all' meine Vorurteile über zänkische und unfreundliche Ober- und Stationsschwestern über den Haufen. Der Statur nach, hätte ich jetzt etwas Anderes erwartet, aber man soll Menschen halt nicht nach ihrem Aussehen beurteilen.

"Marmelade und Honig?", fragte sie mich, als auf allen Schnitten Butter war.

"Ja bitte, aber nicht zusammen auf eine Schnitte", meinte ich scherzhaft. Schwester Gisela lächelte.

"So, das war's schon. Guten Appetit wünsche ich ihnen!"

Nachdemich mich bedankt habe, ging die Stationsschwester und schloss hinter sich dieTür. Ich war immer noch ein Wenig enttäuscht darüber, dass es mir nichtgelungen war Petra noch einmal zurückzuholen, aber mein Frühstück lenkte michnun davon ab. Ich hatte jetzt auch schon mächtigen Hunger.     

Glückliche FügungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt