Alter Freund

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Keuchend bricht er durch das regennasse Geäst des alten Waldes, der sein Anwesen umgibt. Er hört seinen Jäger nicht so weit hinter sich folgen, wie es ihm lieb gewesen wäre. Und jener keucht nicht, als platze die Lunge demnächst. Kilian ist es sich nicht mehr gewohnt, ein hohes Tempo über eine längere Strecke zu halten. Ein junger Ast peitscht ihm über die Stirn und lässt die Haut aufreissen. Das Blut, vermischt mit dem Regen, fliesst ihm beinahe in die Augen. Er muss weiter, immer weiter. Der Tod ist ihm auf den Fersen und er kann ihn nicht besiegen. Kilian hatte es einmal versucht und ist dabei gescheitert.

Schlitternd versucht er auf dem aufgeweichten Boden Halt zu finden. Das Gewitter dauerte bereits seit zwei Tagen an. Irgendwo über ihm zuckt ein weiterer Blitz über den schwarzen Himmel, der direkt folgende Donner lässt den Boden erbeben. Er muss fliehen.

Ein weiteres Donnern, das keinen so natürlichen Ursprung hat. Die abgefeuerte Kugel schlägt unmittelbar neben ihm in den Stamm einer Buche ein. Ihm fehlt die Luft für einen Aufschrei.

„Du kannst rennen, du kannst fliehen, Kilian, aber du wirst mir nicht entkommen", brüllt ihm sein Jäger hinterher. Panik droht ihm den letzten Atem zu stehlen. Das ist keine Situation, aus der er sich irgendwie freikaufen könnte. Nein. Die Attentäter, die er ausgesandt hatte, wurden als Leiche in einer Gosse geborgen. Der, den sie unscheinbar hätten töten sollen, der ist jetzt hinter ihm und holt auf. Kilian beschleunigt seinen Schritt und bereut es direkt. Schmerzhaft prallt sein Kopf auf den Boden auf. Er versucht vergeblich, sich aufzurappeln und rutscht noch einmal aus. Nichts bietet ihm einen Halt. Und wo zum Teufel ist er? Wenn er je dachte, dass er den Wald kennt, so belehrt ihn eben dieser eines Besseren. Die vertrauten Pfade hat er längst hinter sich gelassen und sein Glück im Unterholz versucht. Der Regen rauscht immer lauter auf das durchnässte Blätterdach und die Panik beraubt ihm sämtlicher Klarheit. Die Zweige knacken und er sieht in die eiskalten Augen des Verfolgers. Warum trägt er immer noch seinen Hut?, schiesst ihm der Gedanke durch den Kopf. Mit bedrohlich langsamen Schritten nähert sich ihm Elias. Verzweifelt versucht Kilian, sich rückwärts in die vage Sicherheit zu robben. Er spürt immer mehr nassen Stein unter den kalten Fingern.

Elias legt den Kopf schräg und grinst freudlos.

„Was willst du von mir?", brüllt Kilian jetzt. Die Steine werden zu grobem Fels und er hievt sich auf die zitternden Beine.

„Das weisst du genau, alter Freund", sagt Elias mit so unheimlich ruhiger Stimme, als sprächen sie über die aktuellen Wetterkapriolen. Ein weiterer Donner lässt die Felsen vibrieren.

„Wir haben alle geglaubt, du seist tot!"

„Für einen Toten sehe ich aber sehr lebendig aus", stellt das Gegenüber trocken fest. Mit dem Lauf des Revolvers deutet er auf Kilian. „Und das hast du gewusst, als du mich dort in den Bergen zurückgelassen hast. Du hast alles an dich genommen, was uns gehört hätte. Du hast dir alles unter den Nagel gerissen, obwohl du selbst bereits mehr als genug hattest. Selbst Evelyn, obwohl du wusstest, dass ich um ihre Hand bitten wollte."

„Das habe ich nicht gewusst! Sonst hätte ich dich nicht..."

„Was? Du hättest mich nicht im Stich gelassen? Lüg mich nicht an, Kilian. Ich kenne dich mein ganzes Leben lang. Hast du sie mit deinen Lügen getröstet? Ihre Hoffnung an mein Überleben so lange vergiftet, bis sie dich statt meiner gewählt hat? Wie lange hast du sie manipuliert, bis sie mich aufgegeben hat?"

„Wenn du überlebt hast, warum bist du erst jetzt zurück? Warum bist du dann nicht eher zurückgekommen und hast sie geheiratet?", kontert Kilian und wischt sich über das nasse Gesicht.

„Bist du jemals den ganzen Weg zu Fuss gelaufen, weil du alleine für das Essen kaum Geld hattest, geschweige denn für ein Pferd? Dass einzig die Hoffnung, die Liebe deines Lebens wieder in die Arme zu schliessen der Grund ist, warum du überlebt und den Rückweg geschafft hast? Nein. Denn du, alter Freund, du hattest immer genug Geld. Aber Geld macht schwach, Geld macht angreifbar und Geld macht gierig. Du hast den Hals nie vollgekriegt, du wolltest immer mehr von allem." Nur wenige Schritte trennt sie.

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