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Der Mann, der mich nun mit großen, erwartungsvollen Augen anblickte, war mir noch nie zuvor begegnet und doch kam er mir auf merkwürdige Weise bekannt vor.

"Bitte verzeihen Sie. Ich dachte, ich könnte Ihnen behilflich sein." sagte er mit so einer samtenen Engelsstimme, während er seinen Kopf leicht schief legte, dass mein Herz wild in meiner Brust hämmerte.
Mein "Danke." war nur ein leises Hauchen.

Schnell lies ich meinen Blick über ihn wandern:
Das Haar des Mannes war tief rabenschwarz, mittellang und sanft gewellt. Er trug es lässig nach hinten gekämmt, jedoch hatten sich einige Strähnen davon gestohlen und fielen ihm nun leicht ins Gesicht.

Seine Augen, welche mich weiterhin erwartungsvoll anblickten, waren so dunkel, dass man noch nicht einmal die Pupille erkennen konnte.
Sie waren sogar so dunkel, dass es fast so schien, als wäre es unmöglich, tief in sie hinein zu sehen. Es war als würde die Dunkelheit eine Art Mauer bilden.

Ich schluckte.
Mit einem Mal fiel mir ein, weshalb mir der Mann auf so merkwürdige Weise bekannt vorkam.
"Hallo, Raphael." begrüßte ihn eine mir bekanntere Stimme.
Lucifer stand nun direkt hinter Raphael, welcher sich freudig zu ihm wandte.
Doch Lucifers Lippen waren zu einer strengen Linie geformt und es ärgerte mich nun ein wenig, dass ich Raphaels Gesicht nicht mehr sehen konnte.

"Wie komme ich denn zu der Ehre?" Auch wenn Lucifer ein charmantes Lächeln aufsetzte, war unmissverständlich zu hören, dass dies definitiv keine Ehre für ihn war und er absolut nicht begeistert von Raphaels Besuch war.

Dennoch antworte dieser äußerst höflich und ruhig.
"Das besprechen wir doch am Besten woanders. Erst einmal musst du mir alles zeigen." Er schaute sich kurz im Raum um und seufzte dann. "Wie bedauerlich, dass es erst jetzt zu einem Besuch gekommen ist."

Lucifers Augen glühten vor Wut.
"Ach, tatsächlich? Um ehrlich zu sein habe ich weder einen Gedanken an euch verschwendet, noch auf einen Besuch eurerseits gehofft. Ich bin mir sicher, andersrum verhielt es sich genauso, denn schließlich ist es mir ja nicht gestattet euch zu besuchen." Seine Stimme war streng und voller Vorwürfe. "Also, Raphael, warum bist du hier?"

"Mhm." Raphael warf einen kurzen Blick in meine Richtung und ich Begriff, wie fehl am Platz ich war.
Sofort fühlte ich mich unwohler als je zuvor, doch noch ehe ich mich leise davon schleichen konnte, erinnerte mich Lucifer schon an meine eigentliche Aufgabe:
"Buchhaltung, Frau Lovett." Sagte er knapp und blickte mich kaum eine Sekunde an, ehe er seine Augen sofort zurück zu Raphael wandern lies, welcher sich freundlich zu mir gewandt hatte.

"Darf ich Ihnen helfen, Alba?" fragte er mit seiner samten Engelsstimme, dass ich am liebsten "Ja" gebrüllt hätte, doch Lucifer kam mir zum zweiten Mal zuvor.
"Nein." presste er warnend und blitzschnell mit zusammengebissenen Zähnen hervor. "Ich bin mir sicher, dass sie es prima allein meistern wird." Er zog eine seiner perfekt geschwungenen Augenbrauen warnend nach oben und die Betonung auf 'allein' war deutlich zu hören.
Raphael nickte mir nocheinmal freundlich zu und verschwand dann mit anmutigen Schritten in Lucifers Büro.

Was war das denn?
Raphael schien ganz sicher Lucifers Bruder zu sein.
Beide hatten das gleiche tiefschwarze Haar und beide schienen viel zu schön für diese Welt zu sein. Außerdem hatte Raphael dieselbe atemberaubende Ausstrahlung wie Lucifer - blos nicht furchteinflößend. Ganz im Gegenteil! Selbst seine Augen wirkten bei genauerem hinsehen nicht mehr so dunkel, sondern irgendetwas in Ihnen funkelte vertrauenswürdig.

Aber was meinte Lucifer damit, es sei ihm nicht gestattet sie zu besuchen? Wurde er etwa von seiner Familie verstoßen?
Bei dem Gedanken fiel mir meine eigene wieder ein und ein kalter Schauer durchfuhr meinen ganzen Körper.
"Denk nicht an sie." herschte mich meine innere Stimme an.

Ich war so vertieft, dass mir gar nicht aufgefallen war, dass Lucifer noch immer vor mir stand.
Seine Augen waren unergründlich, aber etwas in Ihnen brodelte.
"Alba." sagte er leise und ging einen Schritt auf mich zu. Etwas zögerlich hob er seine Hand und nahm die meine. Sofort kribbelte es in meinem ganzen Körper.

Lucifer sah mir eindringlich in die Augen.
Dabei durchbohrte mich sein Blick derart, dass ich wie gefangen war. Wie gern ich diesem Blick auch ausgewichen wäre - es war mir leider nicht möglich und so stand ich wie betäubt da, während mein ganzer Körper nur auf seine Anweisung wartete.

"Versprich mir, dass du dich von Raphael fern hälst."
Er drückte leicht meine Hand und plötzlich gab es für mich nur noch seine Hand und die meine. Er berührte mich tatsächlich!
"Alba!" Schnell holte er mich mahnend aus meiner Träumerei, denn er wollte mein Versprechen.
"Okay." hauchte ich also atemlos.

Und damit lies er mich auch schon viel zu schnell los und wandte sich zum gehen um.
Er hatte mir bereits den Rücken zu gekehrt, als er mir mit einer kurzen Handbewegung nochmal in Richtung Buchhaltung deutete.

Doch ich stand nur da, während sich mein Körper nach seiner Berührung sehnte.

Lucifer Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt