Kapitel 4 - Nächtliche Geschehnisse

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Dunkle Wolken zogen am Himmel von Sjørgren auf . Blitze und Donner polterten Schlag auf Schlag. Ein Sturm zehrte brutal an den Dächern des Dorfes, riss Türen und Fenster aus ihren Angeln und Faenja aus ihrem Schlaf. In Panik sprang die junge Fuchsstute auf und blickte sich um. Die Decke über ihr bagann zu bröseln und rote Glut bahnte sich ihren Weg durch das Dach über ihr. Feuer!

Das konnte nicht sein! Sie hatten die Feuerstelle doch abgesichert. War etwa ein Blitz in ihre Hütte eingeschlagen? Mit wilden Augen suchte die Stute den Raum nach ihrem Gefährten ab, doch weder Erren, noch Scabor waren irgendwo zu sehen. Dort, wo kurz zuvor noch Türen und Fenster gewesen waren, waren nun nur noch die Umrisse von eben jenen zu sehen.  Aber sie waren nicht mehr da. Jemand hatte die Auswege mit Holzbrettern vernagelt, aber so, dass man nur noch,w enn man es wusste überhaupt erahnen konnte, dass dort einmal eine Tür gewesen war. Es gab keinen Ausweg.

Keine Antwort. Der goldene Hengst war fort und sie war in diesem Kerker aus Qualm und Flammen gefangen. Während der Rauch langsam den Raum und ihre Lungen füllte und sie von innen beinahe zum Glühen brachte, fühlte sich Faenja auf einmal, als ob sie von aller Welt verlassen worden war. Die blanke Angst raubte ihr den Verstand. 

Voller Verzweiflung galoppierte sie los und rammte mit aller Kraft die Stelle, an der die Tür gewesen war. Doch es war, als rannte sie gegen eine Wand aus Fels. Der Schmerz des Aufpralls war so stark, dass Faenja die Zähne zusammenbeißen musste, um nicht laut aufzuschreien. Sie durfte nicht aufgeben. Hier musste es einen Ausweg geben. Niemand baute einfach über Nacht eine so stabile Mauer, ohne, dass Erren oder sie es mitbekamen.

Wieder und wieder und wieder krachte die junge Stute gegen das Holz, bis es endlich Risse bekam. Dann trat sie so fest dagegen aus, dass es barst. Angestrengt nach Luft schnappend, stolperte sie endlich auf die Straße. Faulige Luft strich ihr um die Nüstern, als sie einen tiefen Atemzug nahm und als sie den Kopf hob, hatte sie nicht vermutet, dass ihr Schreck nur noch größer werden konnte. Doch sie irrte sich.

Der Nachthimmel leuchtete violett vom Licht des blutroten Mondes. Feuer loderte in allen Winkeln der Stadt und brachte Tod für alle, die sich in den befallenen Häusern befanden. Die Schreie von Pferden waren zu hören, während dicke, schwarze Rauchschwaden gen Himmel stiegen und schwarze Schwärme von Ratten den Boden in ein lebendiges Meer aus Fleisch und Knochen verwandelten.

Die junge Stute stand inmitten der Hauptstraße des Dorfes und war, trotz der unzähligen Schreie und Hilferufe von Pferden im Dorf, völlig allein. Sie blickte sich um und rief nach Erren, doch als einzige Antwort erhielt sie nur ein ohrenbetäubendes Geschrei einer schwarzen Rauchwolke, die nun die Form eines riesigen, galoppierenden Pferdes angenommen hatte, das durch die Gassen von Sjørgren schwebte.

Faenja wollte sich bewegen, wollte weglaufen, wie die Ratten, die um ihre Hufe sausten und vor dem Rauchpferd flohen, das immer näher rückte. Aber ihre Hufe waren wie angewurzelt und je mehr sie versuchte, sie anzuheben, desto schwerer schienen sie zu werden.

»Erren!!!«, wieherte sie panisch, doch ihr Gefährte war nicht hier, um ihr zu helfen. Das Rauchpferd, das bis eben noch ohne Hast auf sie zugeschwebt war, riss nun seinen gewaltigen Kopf herum, als hätte es sie bis eben noch gar nicht wahrgenommen. Es hatte sie überhaupt nicht gesehen. Sie hatte es überhaupt erst auf sich aufmerksam gemacht. Sie hatte ihr eigenes Schicksal besiegelt. Jetzt würde sie sterben.

Faenja biss sich erschrocken auf die Unterlippe, als sie beobachtete, wie es jetzt auf einmal mit großer Geschwindigkeit in ihre Richtung galoppierte, seinen tief rot glühenden Schlund aufriss und sie–

Faenja schoss aus ihrem Albtraum hoch, als Scabors alarmierendes Jaulen erklang. Faenja konnte gerade noch den Schatten eines fremden Pferdes in der aufgehenden Morgensonne ausmachen, das durch die offen stehende Tür nach draußen auf die Gasse stürmte.

Erren - Das verlorene Königreich (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt