Unsicherheiten

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POV: Manuel

„Was habe ich getan?", frage ich mich selbst und werfe das Telefon auf die Couch. Habe ich gerade ernsthaft Taddl meine verdammte Adresse geschickt? Erst diese lange Stille und dann lade ich ihn zu Kaffee und Kuchen zu mir ein? Im Ernst? Wie schnell lasse ich mich eigentlich erweichen?

Und in etwas über einer Stunde konnte er bereits an meiner Tür klingeln. Beinahe schon panisch mache ich mich daran, die Wohnung herzurichten und räume das verdammte Regal wieder irgendwie ein, dass es normal aussieht und fühlte mich alles andere als wohl. Jetzt ist es zu spät um abzusagen. Soll ich aus Gewohnheit die blöde Maske hervorkramen und mich in den Markenzeichenpulli werfen? Nein, sei nicht albern.

„Scheisse, scheisse, scheisse...", murmle ich vor mich her und gehe auf den Balkon, um frische Luft zu schnappen. Mir dreht sich bereits jetzt schon der Kopf und besser wird es nicht. Was für verdammte Zufälle waren jetzt dafür verantwortlich, dass wir uns treffen?

Viel zu schnell schrecke ich von der Couch hoch, kaum habe ich mich richtig hingesetzt und stolpere fast zur Tür. Ohne Maske, ohne Pulli, mein nun ganz normaler Casual Look. Mit mehr Herzklopfen, als ich erwartet habe, öffne ich den Eingang und sehe mich tatsächlich Taddl gegenüber, der mich nicht minder aufgeregt anglotzt. Noch mehr Tattoos blitzen hinter der dicken Jacke hervor, die Haare immer noch (oder wieder?) in diesem starken Blau gefärbt. Unverwechselbar. Dagegen wirke ich langweilig wie gammliges Toastbrot.

„Komm rein", bringe ich hervor und atme einmal tief durch. Das wird schon gut gehen, keine Panik. Notfalls schmeisse ich ihn einfach wieder aus der Wohnung raus und breche den Kontakt endgültig ab. Wer weiss schon, ob wir uns so verstehen wie früher? Er folgt mir, hängt die Jacke an einen der freien Haken.

„Bist gut durchgekommen?", frage ich so locker, wie es gerade geht und hoffe, er hört das Zittern nicht. In der Küche gestikuliere ich ihn zum Hinsetzen. Weird as fuck, aber Besuch ist immer noch kein Standard bei mir.

„Ja, alles easy", murmelt Taddl und pflanzt sich auf einen der Stühle, die Tasche neben sich hinstellend und dann sieht er mich mit seinen blauen Augen an, die immer noch aussehen, als können sie kein Wässerchen trüben. Na ja, aber sein aktuelles Gegenüber weiss es besser.

„Kaffee, Wasser, Tee?", biete ich an und stell ihm bereits eine Flasche Wasser und ein sauberes Glas vor die Nase. Mir egal, ich weiss ja nicht mal, über was wir reden sollen. Stumm schenkt er uns beiden ein und schubst ein Glas in meine Richtung.

„Manu, ich bin nicht ne Stunde gefahren, damit wir hier Kaffeeklatsch führen, oder?", fragt er und sieht mich unsicher an. Das hat sich also immer noch nicht geändert. Was auch immer, irgendwie findet mein Puls, dass Beruhigen gerade passend kommt.

„Warum bist du überhaupt hergefahren?", frage ich zurück und sehe ihn starr an. Äusserlich hat er sich nur wenig verändert, abgesehen von neuer Tinte unter der Haut. Ein wenig ausgelaugt, was wohl mit seiner musikalischen Laufbahn zu tun hat. Nun darf er sich winden.

„Weil ich vieles wieder gut machen muss, was ich kaputt gemacht habe. N absoluter Vollspacken war und ja, ein miserabler Freund dir gegenüber."

„Und auf der Welle des Erfolges dachtest du, dass es einfach ist, alle zu ignorieren?" Das kommt kälter heraus als ich dachte. Egal. Strafe muss sein.

„Scheint so", gibt er schwach zu und reibt sich den Hinterkopf. Wenn er so weitermacht, hat er in den nächsten zwei Jahren keinen freien Flecken Haut mehr, schiesst mir durch den Kopf. Die Freude an Tattoos werde ich wohl nie teilen. Warum denke ich an so einen Mist?

„Ja, gut, dann haben wir ja alles geklärt."

„Manu, jetzt sei doch nicht so!", fleht er und sieht mich verzweifelt an. „Ehrlich, es tut mir schrecklich Leid! Es...es war so viel los, habe mich immer weiter kopflos in unzählige Projekte gestürzt und dabei zu viel um mich herum vergessen. Es war eine wirre Zeit und ich hatte kaum einen Kopf für etwas anderes. Nicht nur dir habe ich wehgetan. Kann ja nicht versprechen, mich sofort zu bessern, aber ich kann es versuchen, es jetzt besser zu machen. Aber das geht nur, wenn du auch auf mich zugehst!" Seine Hände ballen sich zu Fäusten und diesmal breche ich ein.

„Ja, du bist ein Arsch. Aber ich wäre auch einer, wenn ich nicht versuche, auch zu verzeihen." Oh Gott, wie scheisse das klingt. So richtig gay. Sein Blick sagt mir das gleiche und wie aus dem Nichts fangen wir an zu lachen.

„Alter, das hat mir gefehlt", stöhnt er irgendwann und kommt irgendwie zu Atem. Bei mir meldet sich das Asthma und irgendwie ist es mir doch peinlich, vor ihm kurz zu inhalieren. Er wischt sich die Augen trocken und wirkt entspannter. Es hat sich vieles gelockert.

„Wie geht es dir eigentlich so?", fragt er nun nach und sieht sich um. „Du lebst alleine hier, wie es aussieht."

„Normaler Job, gleicher Lohn, normales Leben. Anders als bei dir. Du bist ja langsam echt der Überflieger, wenn man den Medien trauen darf."

„Du hast das echt verfolgt?"

„Was denkst du denn? Wenn irgendwas ist, kommt man kaum um euch rum. Also nicht direkt verfolgen, aber mitbekommen." Vielleicht ein bisschen gelogen, er muss aber nicht direkt wissen, dass ich ihn ab und zu in die Suchmaschine getippt habe.

„N Wunder, dass du nicht wegen der Maske fragst", grinse ich schwach und diesmal grinst er schräg zurück.

„Google, mein Lieber. Immer noch ein spannendes Ding. Dachtest du, wir bekommen nicht mit, wenn du das Ding tatsächlich ablegst? Hab dein letztes Video damals gesehen." Ich zucke zusammen. Wow, er hat es wirklich geguckt?

Als mir das Ganze damals so ziemlich zu bunt wurde, habe ich in einem meiner letzten Videos das Ding abgelegt. Zwar konnte man mein dummes Gesicht immer noch nicht erkennen, aber es war deutlich, dass ich unmaskiert war. Kameraeinstellung macht vieles aus. Ein deutliches Zeichen eigentlich, mit dem Ablegen der Maske habe ich auch mein Leben als Let's Player, wie ich es bis dahin führte, auf Eis gelegt. Wenn ich noch etwas aufnahm, dann aus Lust und Laune. Anders als Taddl habe ich das Zeug nicht gelöscht. Die, die sich auf Youtube verirren, können sich das Ganze immer noch in Ruhe ansehen. Und seither bin ich zwar nicht normaler, aber ruhiger geworden. Alles ändert sich eben.

„Ja, irgendwann wurde es Zeit, aufzuhören. War ne coole Zeit, aber alles hat ein Ende."

„Du klingst, als wärst du mindestens fünfzig oder so. Hast du ein paar Jahre übersprungen oder so?", triezt mich das Gegenüber und ich grinse ihn frech an.

„Ne, aber hab einfach n ruhiges, normales Leben und seh, was kommt. Aber glaub nicht, dass ich einen eurer Auftritte besuchen, das wär mir echt zu viel."

„Weil wir so unglaublich fantastisch sind?", gibt er sarkastisch von sich und ich schüttle bloss den Kopf, rücke die Brille zurecht und sehe ihn ernst an.

„Zu viele Menschen. Der normale Alltag ist manchmal Stress genug."

„Oh."

„Ja. So. Hm. Was jetzt?", frage ich sicherheitshalber nach und lehne mich zurück.

„Keine Ahnung. Rausgehen ist eher keine Option...zocken oder so?"

„Als ob du noch Zeit hast irgendwas zu zocken!"

Er grinst nur und steht auf, um sich an meinem Fernseher zu schaffen machen. Ein paar alte Konsolen stauben im Schrank vor sich hin, nebst den paar Spielen, die ich behalten habe und er scheint diese nicht zu finden, also schnappt er sich einen Film.

„Richtig nice! Den kenn ich sogar!", jubelt er und macht sich selbstständig. „Da läuft so viel falsch, das glaubst du nicht."

Nun gut, dann sehen wir uns eben einen Film an.


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Und somit ein erstes Hallo von der Tippse hinter dem Ganzen :3 Die Kapiteltitel sind sehr kreativ (haha) und ich nehme die Dekomöglichkeiten von WP vielleicht später einmal wahr. Ich hoffe, dass es euch bisher ganz gut gefällt und Danke besonders an MorgenFeuer für die allererste Kritik bei meiner allerersten Arbeit hier auf Wattpad und Inspiration, immer weiter zu machen.

Zwischen Masken und MusikWo Geschichten leben. Entdecke jetzt