Jahre her

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Vorwort


Bedenkt, dass es wirklich reine Fiktion ist. die Geschichte spukt schon eine ganze Weile durch meinen Schädel und ja, hier ist sie. Alles andere als perfekt. :)

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POV: Manuel

Zehn Jahre waren vergangen. Zehn lange Jahre, in denen jeder seinen eigenen Weg gehen musste. Und hey, zehn Jahre sind eine furchtbar lange, aber irgendwie doch kurze Zeit.

Vor zehn Jahren war ich noch unter dreissig, tobte mich auf YouTube mit Let's Plays aus, gehörte den grossen Mysterien rund um die deutsche Szene an und es ist mir bis heute ein Rätsel, warum eine Maske zu so viel mehr Aufmerksamkeit verleitet als sie sollte, denn umsonst habe ich diese nicht getragen.

In einigen Tagen sollte sich mein nun fünfunddreissigster Geburtstag annähern. Wieder Single, immer noch ein Gamer, teilweise noch immer die gleichen Freunde um mich herum. Und ja, die Maske habe ich an den Nagel gehängt.

Vor fast fünf Jahren, an meinem Dreissigsten, habe ich dieses Geheimnis mehr oder weniger gelüftet und die Enttäuschung auf allen Kanälen rausgelesen. Noch immer wissen wenige, dass ich hinter dem Pseudonym GLP stecke. Wie viele haben wegen einer Kackmaske Videos produziert, wie viele Newsseiten sahen sich dazu berufen, das Ganze noch wochenlang zu pushen und zu thematisieren? Die ganzen Anfragen für irgendwelche Gastbesuche und Interviews habe ich aufgehört zu zählen.

Diese Masken trug ich damals wirklich, um mein Privatleben zu schützen, vielleicht ein paar Unsicherheiten zu kaschieren und einfach nicht mainstream wie alle anderen die Fresse vor die Kamera zu halten und dumme Grimassen zu ziehen. Aber jeder Hype hat ein Ablaufdatum und Youtube ist längst nicht mehr das, was es mal war.

Ob ich es vermisse? Vielleicht manchmal. Die Plattform hat viel Gutes geleistet und hat nun sehr viel ruiniert. „Das Youtube von damals" gibt es nicht mehr wirklich. Was soll's. an meinem Dreissigsten hatte ich längst einen neuen Job und keiner hat es gepeilt. Heute arbeite ich selbst mit in einer Spielefirma, dieses Genre wird vermutlich nie aussterben. Von irgendwas muss man schliesslich leben und Zeiten ändern sich.

Zehn Jahre. Klingt nach so wenig, aber unsere Generation lebt eben in einer sehr rasanten Zeit. Viele Dinge ändern sich von heute auf morgen und unter uns, ich hätte nicht geglaubt, dass Smartphones so lange überstehen werden. Meines liegt irgendwo im Wohnzimmer herum und verlangt zwischendurch, eingeschaltet zu werden. Wäre vielleicht wieder einmal an der Zeit, das zu tun.

Kaum läuft das Teil, läuft es bereits heiss und schmeisst mich mit Benachrichtigungen nur so zu. So viele Nachrichten, so viel Müll. Seufzend mache ich mich daran, das Ganze abzuarbeiten. Freunde haben geschrieben, denen ich antworten sollte und ja, ich tue es sogar. Checke mein Twitter, das längst nicht mehr so populär ist wie auch schon und deutlich ruhiger geworden ist. Tippe die eine oder andere Antwort. Facebook staubt weiter vor sich hin und hat seine Glanzzeit ebenso hinter sich gelassen. Der Lauf der Dinge eben, aber man kann ihnen zugute halten, dass es sie immer noch gibt. Ihm ergeht es wie StudiVZ und MySpace, waren sie einmal der Shit, sind sie heute Shit.

Seufzend reibe ich mir das Gesicht. So viele verpasste Anrufe. Gut, für die Arbeit habe ich ein anderes Telefon, dessen Nummer sowieso nur den Kollegen bekannt ist, das liegt in meiner Arbeitstasche und schweigt die meiste Zeit, wenn ich zu Hause bin. Meine Mutter versuchte mich zu erreichen, der letzte Anruf stammte von heute Morgen. Vielleicht sollte ich sie zurückrufen. Vielleicht tue ich das später. Jetzt habe ich keinen Kopf dafür.

Jetzt sollte ich aufräumen und abstauben, ehe der ganze Staub mich beim Atmen verrecken lässt. Die Wohnung ist jetzt nicht so gigantisch, dass man das nicht in kurzer Zeit erledigt haben könnte. Der nächste Griff geht zum Staubsauger und ich fange einfach an. Aus Versehen stosse ich eins der Regale an, das sowieso schon etwas angeschlagen ist und heute hat es keine Lust mehr, auf den eigenen vier Füssen zu stehen. Es kippt zur Seite und einiges an Inhalt fällt auf den Boden.

„Fuck!", fluche ich laut und versuche zu retten, was zu retten ist. Staubige Filme, Bücher und Krempel. Mit dem Staublappen wische ich alles sauber und entdecke dabei etwas, das ich beinahe schon vergessen hatte. Die TubeClash-Box. Etwas vorsichtiger als sonst putze ich auch diese ab und starre auf das Bild, das Mik dafür gestaltet hat. Patrick, damals noch als Paluten unterwegs und Daniel, der alte Taddl. Was die wohl so machten?

Keine Ahnung, welcher Teufel mich gerade geritten hatte, aber ich werfe die BluRay in den alten BluRay-Spieler und lasse es im Hintergrund zur Hausarbeit laufen. Irgendwann bleibt der Staublappen liegen und ich sehe mir an, was damals so viele bewegt hatte. Ich wusste ja, wie viel Arbeit hinter diesem Projekt steckte, welche Beweggründe die Leute damals gehabt hatten, um das zu realisieren, aber letztendlich hatte es nichts geändert. Youtube wurde zum Online-RTL für absolut niveaulose Dummheit, dass man sich eine blutige Stirn holte, wenn man sich das Gesicht zu oft selbst klatscht.

Dabei weiss keiner, wie cool ich es insgeheim fand, egal wie überzeichnet alle von uns da waren. Die Fans haben es geliebt und gefeiert und ja, wer hätte gedacht, dass jemand wie ich eine doch wichtige Rolle in allen drei Teilen einnehmen würde? So aussergewöhnlich war ich nie.

Seufzend reibe ich mir das Gesicht und starre auf den Bildschirm. Fuck. Taddl. Wie viel Wahrheit doch hinter dem Ganzen steckte. Er hatte mich sitzen gelassen, ist praktisch in eine andere Welt abgetaucht und hat den Kontakt irgendwann so lange schleifen lassen, dass die Freundschaft daran zerbrach.

Und warum auch immer, ich versuche etwas, das ich über die Jahre immer weniger versucht hatte, ihn zu kontaktieren. Immerhin hat er seine Nummer in den letzten zehn Jahren nur zweimal geändert und freundlicherweise sämtlichen Kontakten weitergeleitet, somit auch mir immer wieder.

> Na, Taddl, alles cool bei dir?

Kreativ war gestern. Sehr wahrscheinlich nur eine weitere Nachricht von Dutzenden, die irgendwo versandete und bedeutungslos unterging. Warum konnte man manche Menschen so furchtbar leicht aus dem Leben streichen, wenn es nicht mehr funktionierte und bei anderen konnte man ein ganzes Leben lang nachtrauern?

Plötzlich piept das verdammte Teil in meiner Hand und das Herz stockt für einen Moment. Er hat wirklich zurückgeschrieben? Mit einem Griff richte ich die Brille und sehe auf das Gerät.

> Grad wenig Zeit, meld mich später, T.

Wow.

Ganz ehrlich, wow. Er hat geantwortet. Kurz und knapp, aber er hat geantwortet. Das muss doch etwas bedeuten. Ja super, jetzt bin ich komplett aus der Spur. Weiterputzen, alles putzen, das lenkt ab. Ganz sicher. Dann sehen wir ja, wie viel „später" diese Antwort je bei mir eintreffen wird. In fünf Jahren dann?

Zwischen Masken und MusikWo Geschichten leben. Entdecke jetzt