Kapitel 26

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Ich hatte noch nie einen größeren Hass auf meine Eltern verspürt, als gerade.

Auf meine Mutter, weil sie sich wie eine überbesorgte Mutter aufführte und gleichzeitig wie die schlimmste Steifmutter aus dem schlimmsten Märchen. Ich schwöre, bestimmt die aus Aschenputtel war nicht so ein Biest gewesen.

Und auf meinen Dad war ich sauer, weil er alles, was meine Mutter sagte, unkommentiert ließ. Als ich ihm irgendwann auf dem Weg von der Lobby zu unserem Apartment einen vorwurfsvollen Blick zugeworfen hatte, hatte er mir nur einen Sie hat Recht-Blick zurück gegeben.

Es kam oft vor, dass mein Dad meiner Mum klein beigab, aber trotzdem hatte er jedes Mal zumindest versucht, mir beizustehen, doch nicht dieses Mal. Einen winzigen Moment dachte ich darüber nach, ob mein Verhalten vielleicht doch falscher war, als ich vorerst gedacht hatte, doch dann kamen die Gedanken an Leo und somit auch die Wut auf meine Eltern zurück.

Ich hatte sogar schon ernsthaft überprüft, ob ich nachts oder zu einem anderen passenden Moment aus dem Fenster fliehen könnte, aber da wir uns im dritten Stock befanden, würde diese Möglichkeit eher wegfallen. Auch dem Zusammenknoten von Bettlaken, wie es immer in schnulzigen Filmen getan wurde, traute ich nicht wirklich. Entweder würde das Laken dabei reißen, falls es überhaupt an seiner Befestigung halten würde und wenn nicht das, dann würde ich durchgehend gegen die Hauswand knallen und somit auch gegen die Fenster unter mir. Die Bewohner dieser hätten schon alle möglichen Leute darüber informiert, bevor ich überhaupt am Boden ankommen würde.

Damit würde sich aber auch die äußerst romantische Aktion erledigen, in der Leo draußen stand und mein Fenster mit Kieselsteinen bewarf. Falls er meins überhaupt treffen würde und nicht irgendwelche anderen, verstand sich. Und so befanden wir uns wieder an dem Punkt, wo andere Hotelgäste sich über den Lärm beschweren würden, bevor ich davon mitbekam und Leo aus Angst erwischt zu werden schon längst Reiß aus genommen hätte.

Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. „Nein“, knurrte ich, ohne mich mehr als nötig zu bewegen oder meinen Blick von der Decke zu nehmen.

„Wir wollen essen gehen, Mäuschen“, hörte ich meinen Vater sagen.

„Viel Spaß dabei“, entgegnete ich unbeteiligt.

„Willst du nicht mitkommen?“

Mein Blick fiel auf die leere Packung Gummibärchen neben mir, die ich eigentlich für den Rückflug hatte aufsparen wollen, aber meinem Hunger bereits zum Opfer gefallen war. Mein Bauch drohte schon bei dem Anblick loszuknurren, aber ich hatte nicht die geringste Lust, gemeinsam mit meinen Eltern zum Abendessen zu gehen. „Nein.“

Ich vernahm leises Gemurmel auf der anderen Seite meiner Tür, bis sie auf einmal aufgerissen wurde. „Du kommst mit, Theresa“, ordnete meine Mutter eisern an, bevor sie erhobenen Hauptes wieder aus meiner Sichtweite verschwand und es anscheinend nicht für nötig hielt, die Tür hinter sich zu schließen.

„Mach die verdammte Tür zu“, brüllte ich aufgebracht, wartete zwei Sekunden, ob sich etwas tat und sprang dann vom Bett auf, um sie stinksauer ins Schloss zu knallen. Wenige Sekunden später wurde sie wieder aufgestoßen. „Wir sind hier nicht alleine, Fräulein! Ich erwarte, dass du dich dementsprechend verhältst und, dass du in fünf Minuten fertig zum essen gehen bist.“

„Und wenn nicht?“ Herausfordernd starrte ich ihr in die Augen, doch sie ließ sich nicht in die Irre führen.

„Vier Minuten“, sagte sie und schloss die Tür sanft hinter sich.

-*-*-*-*-*-*-*-*

Der Grund, warum ich letztendlich doch mit zum Abendessen ging, war einzig und allein die Hoffnung, Leo zu Gesicht zu bekommen. Und etwas zu essen. Aber das war nebensächlich. Doch kaum, dass ich das Restaurant betreten hatte, wanderte mein Blick über jede Person in Sichtweite. Kellner und Gäste entgangen meinen forschenden Augen nicht. Weder die ältere Dame, die ihrem anscheinend nicht zum essen fähigen Ehemann mit der Serviette Essensreste aus dem Gesicht wischte, noch der freche Junge, der seinem Vater seinen Nachtisch aufs Hemd klatschte und die ganzen Liebespaare, die sich schmachtende Blicke zuwarfen erst Recht nicht.

Ich entdeckte alles, bis auf Leo und bevor ich meinen Blick nochmals über alle Personen im Raum schweifen lassen konnte, musste ich meinen Eltern zu einem freien Tisch folgen, an dem ich dann saß und verzweifelt darauf hoffte, dass Leo wieder als Kellner bei uns aufschlagen würde.

Wie zu erwarten tat er es nicht und auch nachdem ich beim Buffet gewesen war und mein Teller mit Essen beladen hatte, hatte ich ihn nirgends ausfindig machen können.

„Theresa, hast du zugehört?“

Ich blickte auf und sah meine Mutter verächtlich an. „Nein. Hast du deine übertrieben unnötige Meinung geändert?“

Für einen Moment wirkte sie aus der Fassung geworfen, doch genauso schnell fasste sie sich wieder. „Achte auf deinen Tonfall.“

„Achte auf deine lächerlichen Erziehungsmethoden. Vielleicht ändere ich dann etwas an meinem Tonfall.“ Mit diesen Worten fuhr ich fort, durcheinander irgendetwas von meinem Teller in mich hinein zu stopfen, um so schnell wie möglich wieder Abstand von meinen Eltern zu gewinnen, indem ich mich wieder in meinem Zimmer verbarrikadieren würde.

„Findet ihr nicht, ihr solltet euch einmal aussprechen?“, schlug Dad unbehaglich vor.

„Ich wüsste nicht, wieso“, entgegnete ich und hob dann meinen Blick, um meiner Mutter direkt in die Augen sehen zu können. „Wenn man mir verbietet, mich mit irgendjemandem zu treffen, kann ich echt nichts dazu sagen, außer, dass dieser jemand einen vollkommenen Hirnschaden hat. Echt, wirklich nicht!“ Etwas zu kräftig spießte ich eine Nudel auf meine Gabel auf, sodass ihre Zacken in einem grauenvollen Ton über das Porzellan des Tellers kratzten. „In neun Monaten bin ich volljährig, da kannst du mir auch nicht einfach vorschreiben, mit wem ich meine Zeit zu verbringen hab und mit wem nicht!“

Mir war bewusst, dass ich mich meiner Mutter gegenüber im Moment ziemlich respektlos verhielt, aber ich war einfach so wütend auf sie, dass ich nichts an meinem Verhalten ändern konnte. Und sie provozierte es auch immer wieder aufs Neue, also sollte sie sich verdammt nochmal nicht über meine Reaktion wundern!

„Das tut nichts zur Sache“, sagte sie harsch.

„Ach nein?“ Ich ließ mein Besteck klirrend auf den Teller fallen. „Du wirst dich nicht mehr mit diesem Jungen vergnügen“, äffte ich sie nach.

„Vergnügen und treffen ist ein Unterschied.“

Ich lachte spöttisch auf. „Was soll ich jetzt darunter verstehen? Ich darf mich doch mit ihm treffen, aber dann müssen wir beide dabei heulen, oder was?!“

Meine Mutter nahm einen tiefen Atemzug. „Ich glaube, ich muss jetzt nicht mit dir darüber diskutieren, Theresa.“

„Gut, ich auch nicht mit dir. Du wirst deinen Dickkopf ja sowieso nicht ändern.“ Ich schob meinen Stuhl zurück und entfernte mich so würdevoll wie möglich von dem Tisch meiner Eltern. Ich war so mit meiner bitteren Laune beschäftigt, dass ich Leo erst erblickte, als ich schon fast an ihm vorbei gestürmt war.

„Tessa.“

Ich stoppte abrupt und blickte ihn verwirrt an, bevor ich mit einem Blick über meine Schulter sicher ging, dass meine Eltern mir keine Beachtung schenkten.

„Hey“, entgegnete ich kalt.

Er runzelte die Stirn. „Was ist los?“

„Was wohl?“ Ich schnaubte verächtlich und zog ihn an seinem weißen Hemd aus dem Blickfeld meiner Eltern weg, bevor er seine Fürsorglichkeit über mir ausschütten konnte und ließ ihn auch dann nicht zu Wort kommen. „Kannst du irgendwie an diese Schlüsselkarten rankommen?“, fragte ich.

Verwirrt musterte er mich. „Schwer, wieso?“

Ich sah nochmals prüfend an ihm vorbei, um sicherzugehen, dass meine Eltern uns wirklich nicht mehr sehen konnten. „Meine Eltern schlafen spätestens um zwei.“

„Du willst, dass ich bei euch einbreche?“, fragte er entgeistert.

„Ich würde es nicht einbrechen nennen, sondern erlaubtes Eindringen in den privaten Bereich einer bestimmten  Person, die dich dafür mit der Todesstrafe bestrafen würde, wenn sie davon wüsste.“

Leos Augen weiteten sich ängstlich. „Das könnte ich mir in der Tat sehr gut vorstellen. Tessa, willst du das echt riskieren?“

Ich zuckte die Schultern. „Überleg’s dir.“ Schwungvoll drehte ich mich um und ging in Richtung Ausgang des Restaurants, bevor mir noch etwas einfiel. Schnell lief ich zurück zu Leo und gab ihm einen kurzen Kuss auf den Mund. „Zimmer 211. Und überleg‘s dir gut!“

Summer LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt