Kapitel 59.2 - Nachtluft

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Ich versteifte mich. Wagte es nicht auch nur einen Ton zu machen oder mich auch nur im entferntesten zu bewegen. Egal wie klein und unscheinbar diese Bewegung auch sein mochte. Ob ich Angst hatte. Ich wusste es nicht. Vielleicht. Ja, vielleicht hatte ich Angst. Vor ihm? Sicherlich. Aber auch ein wenig vor mir. Mit ihm hatte ich wohl überhaupt nicht gerechnet, obwohl ich es hätte tun sollen. Immerhin hatte ich gewusst, dass er sich hier in der Nähe schon herum getrieben hatte. Doch wie wahrscheinlich war es ihn genau hier und jetzt anzutreffen? Das Glück war nicht auf meiner Seite.
Das fängt ja schon einmal gut an, dachte ich trocken.
Er verhielt sich ruhig. Beließ es fürs erste dabei mich zu beobachten. Ich spürte seinen dunklen Blick, der mich von oben bis unten musterte. Versuchte mich einzuschätzen, zu analysieren. Für einen Moment schloss ich meine Augen. Beruhigte mich. Zwang mich dazu klar zu denken. Die Furcht sollte mich nicht in ihrer Gewalt haben. Denn Furcht war manchmal beinahe genauso gefährlich wie Wut und Hass. Manche Menschen taten verhängnisvolle Sachen allein aus Furcht. Erst einmal mochte das ziemlich merkwürdig klingen, doch je länger man darüber nachdachte, desto mehr leuchtete es ein.
Außerdem war das hier gerade eigentlich ein ziemlich gutes Training für mich. Vielleicht würde es mir bei meiner Selbstbeherrschung helfen. Genau wissen tat ich es nicht, aber etwas Besseres konnte ich aus dieser Situation auch nicht machen. Ich bemerkte wie ich ruhiger wurde. Der Wind rüttelte an den Zweigen. Einzelne Blätter segelten sachte zu Boden. Die Eule, die ich zuvor schon bemerkt hatte, schlug nun mit ihren Flügeln. Nun setzte sich auch die Person in Bewegung, der ich eigentlich überhaupt nicht begegnen wollte.

"Du bist die Kleine aus den Kerkern.", ertönte seine dunkle Stimme. Es war eine Feststellung. Nichts weiter. Aber sie machte mich dennoch ein wenig nervös. Doch irgendetwas sagte mir, dass er noch immer nicht wusste, dass ich in Wahrheit Mika war. Das war auch gut so. Laub knisterte. Er kam näher. Ich zwang mich dazu weiterhin ruhig sitzen zu bleiben. Jede noch so kleine Bewegung konnte ich dazu bringen seine Waffe zu zücken. Oder mich allein mit seinen Händen bei lebendigen Leibe zu verbrennen. Und ich wollte mein Glück nicht unbedingt herausfordern, so lange es noch nicht nötig war.

Ich lauschte. Er war schon ziemlich nahe. Nicht mehr lange und er würde bei mir sein. Aus den Augenwinkeln sah ich eine Gestalt, die auf mich zuging und wenige Sekunden später vor mir stand und in Augenschein nahm. Er betrachtete mein Gesicht und mit Schrecken erinnerte ich mich daran, dass meine Narbe trotz meines anderen Aussehens noch immer zu sehen war. Ich konnte nur hoffen, dass er diese Verbindung nicht entschlüsselte.

"Mein Name ist Damon Firelight.", sagte er. "Du hast sicherlich schon von meiner Familie gehört." Er lachte kurz tonlos auf, als sei ihm etwas eingefallen. "Was rede ich da? Natürlich hast du bereits von meiner Familie gehört. Wer hat das nicht?" Düster schüttelte er seinen Kopf, als wollte er einen Gedanken vertreiben. Stumm betrachtete ich ihn. Er sah ziemlich fertig aus. Müde und leer. Er wirkte nicht mehr wie der Damon, den ich kennen gelernt hatte. Unwillkürlich ließ ich eine der vampirischen Fähigkeiten zu. Ich konnte Damon nun besser vor mir sehen. Seine tiefen, dunklen Augenringe, seine leeren, trüben, schwarzen Augen, die mich einst so fasziniert hatten. Er sah nicht gesund aus. Seine Haut war fahl, seine Haare waren nicht zurecht gemacht. Was war nur mit ihm geschehen?

 Ich versuchte ihn nicht allzu entsetzt anzustarren. Aber wie sollte er das denn bemerken? Es war dunkel. Und anders als ich konnte er nicht im Dunkeln sehen. Es sei denn er würde sein Feuer entfachen.
"Ich habe gehört, dass eine gewisse Mika wieder hier ist.", fuhr Damon fort und in mir zerbrachen alle Hoffnungen, dass er jemals wieder der sein würde, von dem ich dachte, ihn zu kennen. Nur am Rande nahm ich wahr, dass Damon mit einem Messer spielte. "Sag mir alles, was du über sie weißt.", sagte Damon bestimmt und er beugte sich ein wenig zu mir herunter. "Sag mir, wo sie schläft, wo sie isst, was sie so tut, mit wem sie spricht." Plötzlich spürte ich das kalte Metall seines Messers an meinem Hals. "Ich glaube, ich muss nicht erwähnen was passiert, wenn du dich weigerst.", stellte er trocken fest. Nein, das musste er definitiv nicht. Aber ich würde auch nicht nachgeben. Irgendwann würde ich mich ihm sowieso entgegenstellen müssen. Also konnte ich jetzt auch schon damit anfangen. In gewisser Weise.

Entschlossen mich nicht von ihm beeindrucken zu lassen sah ich ihm in die lichtlosen Augen. Und obwohl es dunkel war schien Damon das zu bemerken. Vielleicht irrte ich mich, aber ich glaubte zu bemerken, dass es ihn verwirrte. "Wieso?", fragte ich ruhig. "Wieso willst du das alles eigentlich wissen?" War es dumm von mir mich ihm zu widersetzen? Keine Ahnung. Doch ich hätte es auch nicht anders gemacht.
"Was?", rutschte es Damon erstaunt hervor, noch ehe er es verhindern konnte. "Du willst ernsthaft wissen, weshalb ich das wissen will?" Er verstummte. Schwieg.
Ich wusste nicht woher ich auf einmal diesen Mut nahm. Ich setzte mich ein wenig gerader hin und machte mich größer. "Ja, ich will es wissen.", sagte ich mit fester Stimme. "Würde es nicht reichen, wenn du weißt, wann sie alleine ist oder wann sie das Schloss verlässt?" Damon schwieg. Obwohl ich wusste, dass Mut auch zum Verhängnis werden konnte, redete ich weiter.
"Wieso willst du wissen was Mika tut und mit wem sie spricht?"

 Damon schwieg noch immer. Er schien tatsächlich über meine Worte nachzudenken. Gedankenverloren wirbelte er in seiner rechten Hand sein Messer herum. Dass er sich damit nicht selbst verletzte war mir unerklärlich. "Ich weiß es nicht.", gab er schließlich leise zu. Ich runzelte meine Stirn. "Du weißt es nicht?", fragte ich mit erhobenen Augenbrauen. Das verwirrte mich. Er wusste nicht, wieso er wissen wollte mit wem ich sprach und was ich tat? Das machte doch keinen Sinn!

Auf einmal spürte ich eine unerträgliche Hitze, die von Damon ausging. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich von trüb zu wütend. Er ballte seine Hände zu Fäusten und seine schwarzen Augen funkelten mich zornig an. "Wie wagst du es eigentlich mit mir zu reden?!", brüllte er mich an. In im loderten die verschiedensten Gefühle, die er nicht verstand. Ich zuckte unter dem zornigen Klang seiner lauten Stimme erschrocken zusammen. Mein Mut war zerflossen. Zurück blieb bloß ein eingeschüchtertes Mädchen, das nicht wusste, was es jetzt tun sollte. Und zu allen Übels gingen Damons Fäuste auch noch in Flammen auf.

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