Feiern ist so ein fremdes Wort

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»Und, wie findest dus?« Jessi dreht sich ein paar Mal im Kreis, sodass ihr Kleid in der Luft herumwirbelt. Ich will ihr nicht sagen, dass sie übertreibt. Schon als sie vorhin in der Tür stand, deutete sie quietschend auf ihr Kleid und sagte, sie habe es sich extra für die Party gekauft.

»Ist das deine erste Party?«, frage ich stattdessen und suche noch immer das passende Outfit aus meinem Schrank. Die Möglichkeiten haben in den letzten Wochen allerdings rapide abgenommen. Wenn ich einmal ausmiste, dann gnadenlos. Alles kommt weg, das ich seit längerem nicht getragen habe - leider waren einige Dinge davon richtig schick für solche Anlässe. Aber nun muss ich improvisieren.

»Ja, deshalb bin ich ja so aufgeregt!«

Ich nicke nur und hoffe so, ihrer Frage zu entgehen. Sie ist vollkommen overdressed. Das Kleid sieht eher aus, als geht sie zu einem Galaball und nicht zu einer Party, auf der das Motto Alkohol lautet. Ich will ihr ihre Vorfreude nicht jetzt schon kaputt machen. Unschlüssig sehe ich zwischen einem hautengen grünen Kleid und dem lässigen Fledermausoberteil hin und her. Auffällig und sexy oder ausladend? Schon lange bin ich nicht mehr in den Genuss gekommen, vor dem Schrank zu stehen und nicht zu wissen, was ich anziehen soll.

»Ihr wollt da wirklich hin?«, höre ich auf einmal Torys Stimme und drehe mich erschrocken zur Zimmertür um. Sie hat eine Augenbraue nach oben gezogen und sieht an Jessi herunter.

»Von dir lassen wir uns das bestimmt nicht verbieten«, presse ich heraus und bin ein bisschen stolz auf mich, dass ich etwas gegen sie sagen konnte. Sie allerdings beeindruckt das überhaupt nicht. Sie zuckt mit den Schultern. »Whatever. Aber vergesst nicht, dass es eine Party ist, kein Kindergeburtstag«, giftet sie mich an.

»Du meinst, Flaschendrehen mit Küssen und solche Sachen?«, quietscht Jessi und läuft rot an. Tory lacht und schüttelt den Kopf. Dann geht sie einfach und lässt mich mit einem richtig miesen Gefühl zurück. Vielleicht sollte ich es nochmal überdenken. Vielleicht ist es gar keine so gute Idee, auf eine Party zu gehen, auf der auch Tory sein wird. Ich überlege mir schon eine Ausrede, da klingelt es an der Tür und es gibt kein zurück mehr.

Meine Mutter lässt Collin rein und schickt ihn in mein Zimmer, wo ich noch immer ratlos vor meinem Schrank stehe. Doch die Frage ist nun nicht, welches Outfit, sondern welche Ausrede. Collin lehnt sich gegen den Türrahmen und pfeift. »Wow, Jessi, so kennt man dich ja gar nicht«, sagt er, woraufhin Jessi sich wieder um sich selbst dreht.

»Wahnsinn, nicht?«

»Und unser kleiner Muffel sieht noch nicht ganz fertig aus«, bemerkt er und mustert mich. Ich zucke mit den Schultern.

»Ich glaube, es wäre besser, wenn ihr ohne mich geht. Mir ist ganz heiß, ich glaube ich bekomme Fieber.« Um meine Aussage zu untermalen, halte ich mit einer Hand gegen die Stirn und verziehe das Gesicht. Collin kommt auf mich zu, zieht meine Hand weg und legt seine darüber.

»Du bist einfach nur aufgeregt«, behauptet er und lässt mich los. »Aber keine Sorge, das wird toll. Richie hat echt ein Händchen dafür, Partys zu geben.« Er lässt keine weitere Widerrede zu, zieht das grüne Kleid aus dem Schrank und hält es mir hin. »Und jetzt hopp hopp, ich will nicht alles verpassen.«

Es ist ein beklemmendes Gefühl, als ich aus dem Taxi steige. Ich zupfe an meinem Kleid herum, als könnte es das ein bisschen länger machen, aber es reicht mir gerade mal zur Hälfte über die Oberschenkel. Ich starre gebannt auf das Haus, aus dem schon laute Musik zu hören ist. Collin muss mich anschieben, dass ich weiter gehe, während Jessi schon aufgeregt vorausläuft.

»Ich bin völlig falsch angezogen«, jammere ich und will mich umdrehen, das Taxi aufhalten und wieder nach Hause fahren.

»Quatsch, du siehst heiß aus«, will Collin mich beruhigen, aber es macht meine Situation nicht gerade leichter. Ich will nicht, dass die Leute mich anstarren und sehen, was ich anhabe. Egal, was sie dabei denken. Ich will nicht bemerkt werden. Ich hätte mir eine bessere Ausrede einfallen lassen. Hitze steigt mir ins Gesicht und ich wische meine Finger auf dem Weg zur Haustür bestimmt drei Mal an meinem Kleid ab. Wieso bin ich so aufgeregt? Es wird auch nicht besser, als Richie die Tür aufreißt und uns mit einem breiten Grinsen empfängt.

»Wow, Jessi, du siehst toll aus. Und Becci, du hast dich ja auch wahnsinnig schick gemacht. Respekt.« Er drückt uns zur Begrüßung und es gäbe nichts, das mir im Moment hätte unangenehmer sein können. Ich kenne Richie seit Jahren, aber nicht gut genug, um ihn als einen Freund zu bezeichnen, oder einen Kumpel. Eigentlich kann ich ihn überhaupt nicht leiden. Er ist einer von diesen Idioten, der besonders cool dastehen möchte - egal zu welchem Preis. Ich atme auf, als er mich aus seiner Umarmung erlöst. Es ist nicht zu leugnen, dass er bereits getrunken hat. Sein Atem stinkt nach Bier und er muss sich bereits am Türrahmen festhalten, um nicht unsicher auf den Beinen zu stehen. Und dabei ist es gerade mal acht Uhr.

Hinter ihm ist die Party in vollem Gange. Musik, die in meinen Ohren dröhnt, den Bass so laut aufgedreht, dass jeder Ton in meinem Bauch zu spüren ist. Der Boden ist schon ganz klebrig von verschüttetem Alkohol und der Schweißgeruch, der das Zimmer füllt, ist unerträglich. Trotzdem schiebt mich Collin in das Haus und direkt in die Richtung, aus der die Musik kommt. Ich mache mir nicht die Mühe, alle Gesichter anzusehen, die im gesamten Haus verteilt herumstehen. Die meisten von ihnen kenne ich sowieso nicht, weil sie in Richies Jahrgang sind und die anderen möchte ich wirklich nicht treffen. Aber so sehr ich mich auch wegwünsche, nun bin ich hier. Und nun heißt es, aus der Situation das beste zu machen. Auch wenn ich die Musik nicht leiden kann, Bier zum Kotzen finde und die ganze Zeit über Angst habe, in der Menschenmasse irgendwann Tory zu erkennen.

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