Der Priester und sein Dämon

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Die Wachmänner grüßten einander, als die kleine Karawane durch die Tore ins Innere des Gotteshauses schritt. Auf einen Wink hin, verließen einzelne Gläubige das Gebäude und die Türen wurden geschlossen, nicht verschlossen, aber die Wirkung war die gleiche. Man signalisierte, dass Ylaine theoretisch einfach gehen konnte, allerdings nicht ohne auf größere bewaffnete Widerstände zu stoßen.

An der Kanzel stand eine Nonne, die zum Kreuz betete und dabei ein kleines Weihrauchgefäß schwenkte. Erst als die letzte gemurmelte Strophe irgendwo zwischen der bronzenen Glocke verklungen war, nahm sie von den Ankömmlingen Notiz und drehte sich betont würdevoll um. „Wir bringen ein Zauberwesen und bitten Euch es von möglichen unheiligen Einflüssen zu befreien", rief der Hauptmann ihr in einem Tonfall zu, der nach geheuchelter Untertänigkeit klang. Die Frau nickte. Wie auf ein vereinbartes Zeichen, zogen sich vier der Soldaten zurück. Nur diejenigen, zwischen denen Ylaine stand, rückten ihr noch ein wenig dichter auf die Pelle. Nervös tastete sie nach ihren speziellen Jonglierbällen. Plötzlich kam ihr alles düsterer vor, als hätte sich ein Schatten auf die Szene gelegt. Sie hatte genau bemerkt, dass die Wachen hinter ihr entweder Schwerter zogen oder Bögen spannten. Die Nonne machte ein paar Schritte, stand also direkt vor ihrer Nase und schaute ihr tief in die Augen. Ihr Atem fuhr über Ylaines Haut und sie hielt die Luft an, während ein unangenehmes Kribbeln den Rücken herunterlief und sich die Nackenhaare aufstellten. Langsam streckte die Gottesdienerin die Hand nach ihrem Zopf aus. Instinktiv wich Ylaine zurück, wurde jedoch wieder nach vorne geschubst. Als sie sich verärgert herumdrehte, griff die Frau ihren Schopf, um sie heranzuziehen.

In diesem Moment wurden die Tore wieder geöffnet und eine Gestalt rauschte herein, nicht mehr als ein wehender, schwarzer Schemen, der plötzlich an der Seite der jungen Erzählerin stand. Die Garden stoben auseinander, er schubste die Frau weg.

„Schnell raus mit euch!", raunzte er alle an. In seiner Stimme lag ein französischer Akzent. „Ihr Dummköpfe wollt die „Dunkle Dienerin" persönlich bannen? Raus mit euch! Da ihr die Brut einließt, ist selbst Gottes Haus euch kein Schutz mehr, raus!"

Während er das rief, hatte er Ylaine zu Boden geschleudert und hielt ihr ein Kruzifix entgegen, als handelte es sich um ein mächtiges Schwert. Die angesprochenen konnten nicht anders, als den Befehlen Folge zu leisten und stürmten hinaus. Erst als er sie außer Hörweite wusste und beide allein vor der Kanzel zurückblieben, flüsterte er: „Ich bin's, Renoir. So etwas habe ich mir ehrlich gesagt schon gedacht. Nun, wie stellen wir es an, dass wir zwei glaubwürdig und vor allem heil aus der Sache herauskommen?"

Anschließend rezitierte er lautstark einige lateinische Verse und gab sich Mühe so auszusehen, als würde er geistig mit Teufels Gleichen ringen. „Besiegt mich und lasst mir Gnade zuteilwerden, indem ich meine Buße als Eure Dienerin tun kann!", schlug Ylaine vor, die froh war, dass sie überhaupt einen Gedanken fassen konnte. Er zwinkerte kurz und sie bäumte sich unter einem inbrünstigen „Dominus et Spiritus Sanctus, Amen" auf, gab einen gequälten, halberstickten Schrei von sich und fiel vor dem Inquisitor auf die Knie, der wild fuchtelnd einen Schritt zurücktrat. „Die Gefahr ist gebannt, der Dämon ist meiner Person hörig, bis er seine Buße getan hat", erklärte er der Nonne, die ängstlich den Kopf durchs Tor streckte und fortwährend ein Kreuzzeichen nach dem anderen schlug. Der Hauptmann dagegen schaute nicht sehr glücklich aus, als Renoir, Ylaine am Zopfe führend, hinaustrat.

Die zwei stiegen wortlos in eine bereitstehende Kutsche und er gab dem Lenker das Zeichen zur Abfahrt. „Ich danke Ihnen. Wer weiß, was passiert wäre, wenn Sie nicht gekommen wären." Ylaine war leichenblass auf ihrer Bank zusammengesunken. Der Inquisitor winkte ab: „Ich glaube nicht, dass sie so dumm gewesen wären. Sie wollten Zeit schinden, dich ein wenig aufhalten."

„Aber warum?"

„Man sagte mir, du seist schlau... denk darüber nach, warum du hier bist."

Ein weiterer Tipp war nicht von Nöten. Die Erzählerin massierte sich die schmerzende Stirn.

„Da fällt mir noch etwas ein. Du reist als meine Gehilfin. Dementsprechend solltest du dich zunächst im Hintergrund halten und auch deinen Zopf und das Erzählertattoo verbergen." Sie nickte verständnisvoll, auch wenn man ihr den Widerwillen ansah, den sie bei der Vorstellung empfand ihre hart erarbeitete Auszeichnung nicht gebührend zur Schau stellen zu dürfen. Renoir reichte ihr Schminke für das Henna-Zeichen und eine flache, schwarze Mütze. Sie hatte kaum ihre Haare unter dem Stoff verborgen, als er sich vorbeugte, um ihr ein Kruzifix an einem schlichten Lederband um den Hals zu legen. Oft waren es Details, die entweder zum Erfolg führten oder die Mission zum Scheitern verurteilten.

Ylaine und Renoir näherten sich unwissentlich Majoranas Gefängnis, als sie über die Feldwege brausten. Der Inquisitor war in eines der Dörfer gerufen worden, da dort angeblich eine Hexe ihr Unwesen trieb. Ihm kam sofort die Frau des ehemaligen Bürgermeisters von Little Village in den Sinn, der noch eine weitere Gemeinde einige Kilometer östlich regierte. Aber der war eigentlich nicht der Typ, der sich in solche Geschichten verwickeln ließ, nicht der stramme aber gutmütige Tashar, dem Ehre mehr bedeutete als sein eigenes Leben.

Dies war Renoirs eigentliche Berufung. Es gab zu viele Schwachköpfe, die Probleme mit Andersartigen hatten. Und dann kam er. Wer ihn kannte, würde ihn eher als Toleranz-Coach, denn als verlängerten Arm der Kirche bezeichnen. Ein einziger Grundsatz lag seinem Handeln zugrunde. Vor Gott waren alle gleich. Nur diese Überzeugung ließ ihn noch an die Kirche glauben, oder viel mehr an das, was sie eigentlich vertreten sollte. Die allzu strenggläubigen Kollegen mieden ihn, bezeichneten ihn hinter vorgehaltener Hand als Ketzer, der seine Position ausnutzte um Unzucht und Verderben die Türen zum heiligen Schoß zu öffnen. Tatsächlich liefen mehrere Anklagen diesbezüglich, doch auch seine Freunde waren mächtig. Renoir erinnerte sich noch genau an seinen ersten Fall. Er hatte es gerade noch geschafft seine Klienten vor der Verbannung in die Wälder zu retten. Ohne Tashar wäre die Aktion gehörig in die Hose gegangen.

Die Kutsche rollte bereits an dem Wegweiser vorbei, langsam um nirgends stecken zu bleiben.

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