Kapitel 03

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Blinzelnd öffnete ich die Augen und musterte nachdenklich meine Zimmerdecke. Irgendetwas war los. Irgendetwas hatte ich vergessen. Grübelnd rollte ich mich auf den Bauch und blickte auf meinen Wecker, der 7:53 Uhr anzeigte. Irritiert starrte ich ihn einige Sekunden an und sprang schließlich, wie von der Tarantel gestochen auf und fiel dabei fast aus meinem Bett.

Ich hatte verschlafen. Warum hatte mein Wecker nicht geklingelt? Hatte ich ihn gestern überhaupt angeschaltet?

Meine gedachte Frage innerlich verneinend, riss ich die Tür meines Kleiderschranks auf und zerrte eine helle Jeans, einen grünen Pullover und die anderen benötigten Sachen heraus, mit denen ich dann hastig über den Flur ins Badezimmer lief.

Wenige Minuten später, in denen ich mich aus meinem Hoodie gewunden und die frische Kleidung rekordverdächtig schnell angezogen hatte, begann ich meine Haare mit der Bürste zu entknoten. Dies war jedesmal eine heikle Angelegenheit, denn meine Haare saßen bombenfest und entweder verhedderte ich mich so doll in ihnen, dass ich erst einmal eine Minute brauchte um den verursachten Schaden wieder zu bändigen oder ich brach eine Borste ab, was mir schon mal vor wenigen Monaten passiert war.

Normalerweise würde es mich überhaupt nicht interessieren, ob ich pünktlich oder eine Dreiviertelstunde zu spät war, doch da ich das letzte Mal eine gewaltige Drohung wegen meiner häufigen Verspätung erhalten hatte, setzte ich mich heute etwas in Bewegung um wenigstens nicht über eine Viertelstunde zu spät zu kommen.

Zurück in mein Zimmer sprintend und den gesamten Inhalt meiner Schultasche über den Boden schüttend, warf ich die benötigten Bücher, Mappen und meine Griffelmappe hinein und rannte hektisch die Treppe runter. In der Küche griff ich mir einen Apfel und warf nochmals einen Blick auf die Wanduhr. 8:01 Uhr. Ich eilte zurück in den Flur, schlüpfte in meine zitronengelben Converse und zog mir meine Jacke über. Den Schlüssel vom Haken reißend und die Schultasche über die Schulter werfen rannte ich aus dem Haus und stolperte beinahe die zwei Stufen hinunter. Dann begann ich loszusprinten.

Meine Sohlen klatschten auf den gepflasterten Bürgersteig und ab und zu trat ich auch mit einem Platschen in eine Pfütze, die durch den gestrigen Regen entstanden waren, den ich wie es schien anscheinend durchschlafen hatte. Keuchend bog ich auf den Pausenhof und steuerte zielstrebig auf die grün gestrichene Tür zu. Die Frühlingssonne ließ die schwachen Schatten der Bäume auf den grauen Steinen tanzen und die tauüberzogenen Blätter der Kleingewächsen, die die Schule umrandeten, wild funkeln.

Mit einem Ruck riss ich die Tür auf und schleppte mich schweratmend die Treppe hoch. Der sich vor mir erstreckende Korridor lag verlassen da und wurde nur von meinen Schritten und gedämpften Stimmengewirr erfüllt. Als ich um die Ecke hastete sprang mir sofort unsere dunkelgrüne Klassentür auf, die mit einer knallroten 27 geziert war. Mich nicht lange wundernd, warum sie angelehnt war, tat ich einen kleinen Sprung in den tuschelnden Raum und wollte gerade eine Entschuldigung murmeln, von wegen mein Fahrrad hätte einen platten Reifen gehabt und ich hätte den Weg zu Fuß gehen müssen, was ich sowieso immer tat, als ich registrierte, dass gar kein Lehrer den Tafelplatz bezogen hatte. Allgemein war keine Lehrkraft im Raum.

Alle Blicke hatten sich verwundert auf mich gerichtet und meine Klassenkameraden schienen gerade krampfhaft zu überlegen, was mich geritten hatte, dass ich wie vom Winde hergeweht, keuchend und nur um wenige Minuten verspätet im Raum stand. Sie ignorierend, strich ich mir meine verhedderten Haare zurück und marschierte, ohne ein Wort zu verlieren auf meinen Platz zu.

Stillschweigend setzte ich meine Tasche auf den Boden ab und ließ mich mit einem innerlichen Seufzen auf dem Stuhl nieder. Mein Herz hämmerte in der Brust, als hätte ich gerade den Mount Everest erklommen und auf meiner Stirn hatte sich ein feines Netzt aus Schweiß gebildet. Unauffällig wischte ich es weg und versuchte meinen rasenden Atem wieder unter Kontrolle zu bringen.

Ungefähr die Hälfte meiner Klasse beäugte mich verdattert und spöttisch und war in wilde Gespräche verwickelt. Auch Jace starrte mich wieder an, doch ich ignorierte ihn, wie gestern schon geflissentlich und sank erschöpft in meinen Stuhl zurück.

Mit einem Schlag kehrte Stille ein und Mrs. Adams betrat den Raum. Ihre kleine stämmige Figur baute Sie vor der Tafel auf und stellte eine Schachtel Kreide auf den Pult. Mit den kurzen Finger in der Tasche wühlend zog sie eine Mappe heraus, welche Sie sinnlich vor sich her lächelnd aufklappte und erwartungsvoll in die Runde blickte.

"Tut mir Leid meine Lieben", nahm sie mit ihrer piepsenden Stimme den Gesprächsfaden auf, "Mr. Gregory hatte leider seine letzte Kreide dem netten Kollegen Mr. Gieseke gegeben, weshalb er eben nochmal neue aus dem Keller holen musste und es leider etwas länger gedauert hat, bis ich den Unterricht fortfahren kann. Ich habe mir überlegt, da wir letztes Jahr in Physik nicht wirklich vorangekommen sind, dass wir heute Zweiergruppen bilden, die dann jeweils zu einem von mir ausgewählten Thema ein Referat halten werden. Ich gebe euch fünf Minuten um euch einzuteilen, wenn es nötig ist, werde ich das ein oder andere Pärchen nochmal wechseln".

Erfreut klatschte Sie in die Hände und der Geräuschpegel schoss pfeilartig in die Höhe. Schüler rannten durch die Klasse, unnötige Konflikte entstanden, das Sonstige eben. Ich saß die ganze Zeit bloß seelenruhig auf meinem Platz und beobachtete unbeteiligt das bunte Treiben. Auf ein erneutes Klatschen von Mrs. Adams oder auch Mrs. Piggy, wie ich sie insgeheim, wegen ihrem Aussehen plus Auftreten nannte, kehrte wieder Ruhe ein und meine Klassenkameraden setzten sich auf den jeweiligen Platz.

Mit einem Kulli notierte Sie die erstellten Pärchen auf ihrem Klemmbrett und änderte ab und zu einige Zweiergruppen, die Sie für unpassend hielt. Einiges Murren und gezischte Beleidigungen drangen darauf an meine Ohren, doch verstummten schnell wieder. Schließlich gelangte Sie bei mir an und schenkte mir ihr freundlichstes Lächeln, als wenn ich ein nervengeschädigter Zurückgebliebener wäre und fragte mich mit ihrer piepsigsten Stimme, nach meinen Partner, wobei Sie mich aber auch zu meinem Ärger als 'Schätzchen' bezeichnete, worauf ein kurzlebiges Kichern in der Klasse losbrach.

Ich zuckte nur desinteressiert die Schultern und meinte, dass ich keinen gefunden hatte. "Das werden wir rasch ändern...", murmelte Sie vor sich hin und ließ ihren Blick suchend durch die Reihen schweifen, bis er schließlich an Jace hängen blieb.

"So... Ich bin für den lieben Jace, der deiner Note sicher nicht schaden wird. Ihr werdet das Thema Raketen erhalten, was sicher ziemlich interessant und aufschlussreich wird", ordnete Sie mich gegen meinen Willen zu und notierte es ebenfalls. Erneutes Gekicher erfüllte den Raum. Am liebsten wäre ich einfach aufgesprungen und aus dem Raum gestürmt, doch ich war erstens zu müde um das zu tun und zweitens, zu perplex um zu widersprechen.

Immer noch halb hinterm Mond wandte ich meinen Blick das erste Mal heute, richtig bewusst zu Jace. Seine Augen funkelten amüsiert, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte. Eine Millisekunde lang schloss sich sein linkes Lid und er wandte sich wieder ab. Empört starrte ich ihn weiter an.

Sollte ich jetzt etwa zurückzwinkern oder was?!

Das Gefühl zu FliegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt