Jetzt zog ich mir die Kapuze der Jacke tiefer ins Gesicht und machte mich langsam auf den Weg nach unten in den Keller, war dabei immer noch lächelnd in meine Gedanken versunken und strich genau wie Kylie mit meinen Fingerspitzen an der Wand entlang. Im Gegensatz zu ihr zögerte ich bei der letzten Stufe jedoch nicht.
"Ich hoffe, dir geht es gut?", fragte ich, als ich den Raum betrat, ohne ihm einen Blick zu schenken, sondern widmete mich den heruntergebrannten Kerzen, die ich gleich durch neue ersetzte. Als Antwort bekam ich ein gedehntes Raunen, gefolgt von einem Knurren, welches die Luft vibrieren ließ. Verwundert über diese Reaktion wand ich mich dem Käfig in der Mitte des Raumes zu. Durch die dicken Metallstäbe hindurch sah es mich mit weit aufgerissenen Augen an, die orange leuchteten wie ein Sonnenuntergang. Die Krallen hatte es ausgefahren und eine Schutzhaltung eingenommen. Ich trat langsam näher an den Käfig heran, schnappte mir dabei einen Apfel aus der Obstschale, den ich dann als Friedensangebot vor mir herhielt.
„Du hast bestimmt Hunger."
Doch anstatt sich zu beruhigen, kroch es von mir weg, bis es am anderen Ende seines Gefängnisses gegen die Stäbe stieß. Es zitterte am ganzen Körper, den Mund hatte es dabei weit aufgerissen. Ich kniete mich auf den dreckigen Boden, der noch rot von Kylies Blut war, und schob den Apfel zwischen den Stäben hindurch. Fauchend entblößte es seine spitzen Zähne. Langsam wurde ich misstrauisch, wunderte mich, warum es so panisch auf mich reagierte. Daraufhin streifte ich meine Kapuze ab.
„Ich bin es nur", versuchte ich es zu beruhigen und stellte mit Erleichterung fest, dass es sich entspannte. Einige Sekunden lang war es still zwischen uns. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Dann keuchte es auf, kam auf mich zu und drückte seinen Kopf ganz fest gegen die Stäbe, sodass diese in seine Haut schnitten, während es gleichzeitig versuchte mich mit seinen langen, knochigen Fingern zu berühren.
"Hast du mich vermisst, Kleiner?"
Es nickte energisch, streckte sich mir noch weiter entgegen. Unsere Finger berührten sich liebevoll, und die Erinnerung an den Abend mit Kylie hier im Keller schoss mir wieder durch die Gedanken.

Ich bin ihr damals nachgeeilt, denn ich wollte ihre Reaktion auf das Wesen im Käfig nicht verpassen. Anders als erwartet, flüchtete sie jedoch nicht wieder nach oben, sondern starrte es fasziniert mit offenen Mund an.
"Was ist es?", hauchte sie mir damals zu, während sie näher an den Käfig trat, in dem das Wesen sie mit leicht geneigtem Kopf neugierig musterte.
Ich ging hinterher, fasste zögernd nach ihrer Hand, versuchte sie zurückzuhalten. Doch sie kniete sich nieder, woraufhin sich das Wesen ebenfalls auf den Boden setzte. Es hatte mit dem Geheule aufgehört, und winselte nur noch leise vor sich hin. So vergingen einige für mich sehr angespannte Momente. Kurz bevor ich mich entspannen wollte, sprang es aber plötzlich auf, warf sich gegen den Käfig und langte durch die Gitterstäbe nach ihr. Obwohl es friedlich wirkte, wollte ich einschreiten, doch Kylie blieb unbeeindruckt und gab mir mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ich mich nicht einmischen sollte. Sie streckte ihren Arm der des Wesens entgegen, doch kurz bevor sich ihre Finger berührte, es trennten sie nur noch wenige Zentimeter voneinander, holte Kylie aus und schlug ihm mit voller Wucht auf die Pratze. Voller Entsetzen kreischte es laut auf und flüchtete in die hintere Ecke des Käfigs. Wie angewurzelt stand ich da, beobachtete, wie sie sich kichernd den Bauch hielt. Ich verzog angeekelt das Gesicht.
"Die Gerüchte stimmen also." Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
„Welche Gerüchte meinst du?"
Kylie stand auf und stellte sich direkt vor mich hin, sodass ihr Atem meine Nase streifte und blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen herausfordernd an.
„Die über Mia und", sie nickte angewidert zum Käfig „diesem Ding hier."
Erschrocken wich ich einen Schritt zurück.
„Woher..."
Sie schnitt mir das Wort ab: „Es tut nichts zur Sache woher ich es weiß. Wichtig ist nur was du mir gibst, dass ich es niemanden verrate."
Ich sah Kylie jetzt mit anderen Augen, sah ihr wahres Ich hinter dem Blümchenkleid und den rosigen Wangen.
"Du darfst niemanden erzählen, was du hier unten gesehen hast", drohte ich. "Hast du mich verstanden, Kylie?" Ich sprach langsam und betonte jedes Wort.
Meine Befürchtungen einen Fehler begangen zu haben, hatten sich bestätigt. Wenn sie jemanden verriet, was ich hier im Keller versteckte, würde das das gesamte Projekt gefährden. Ich musste meinen Vater unbedingt mitteilen, dass Gerüchte die Runde machten.
„Was gibst du mir?"
Voller Abscheu sah ich sie an und jegliche Zuneigung, die ich je für sie empfunden hatte, war verschwunden.
„Das was du verdienst", flüsterte ich und zog sie ruckartig an mich.
Sie schnappte erschrocken nach Luft, als ich sie fest gegen meine Brust presste, während ich ihr gleichzeitig grob in den Nacken fasste, sie zwang, mir in die Augen zu sehen. Es schien ihr zu gefallen, denn es entkam ihr ein leises Stöhnen.
"Küss mich", verlangte sie mit bebender Stimme, und ich erfüllte ihr ohne zu zögern den Wunsch.
Der Kuss war jedoch alles andere als liebevoll, denn sie war nur noch eine Bedrohung, die beseitig werden musste. Sie schien nicht zu merken, was ich für sie empfand, denn sie schlang fordernd die Arme um meinen Hals und drängte sich mir weiter entgegen. Ich umfasste ihren Hintern, hob sie hoch und drückte sie hart gegen die Gitterstäbe hinter ihr. Dann begann ich ihren Hals zu küssen, während ich an ihr vorbeiblickte und das Wesen im Käfig beobachtete. Es hatte den Mund wutverzerrt aufgerissen und fixierte blutrünstig Kylies Hinterkopf, die davon jedoch nichts mitbekam. Langsam kam es auf uns zu, entblößte die langen, spitzen Zähne. Ich ließ es nicht aus den Augen und biss Kylie währenddessen in den Hals. Sie stieß einen entzückten Seufzer aus. Direkt vor uns blieb es stehen. Fragte mich stumm um Erlaubnis. Ich zögerte nicht, sondern nickt ihm bestätigend zu. Ich wich von ihrem Hals ab. Ihr Gesicht entspannt und schön.
„Hör nicht auf", forderte sie, wollte mich wieder zu sich ziehen, doch dann schlug es zu. Es hatte die Krallen ausgefahren, griff durch die Stäbe hindurch, fasste mit den großen Pratzen um ihren Hals und drückte zu. Blut quoll hervor. Kylie hatte nicht die Zeit zu schreien, denn es sperrte ihr die Luft ab. Sie grub ihre Fingernägel tief in meine Schultern, versuchte sich von den Gitterstäben wegzuzerren, doch ich drückte sie von mir und befreite mich aus ihren klammerten Griff. Als ich endlich frei war, konnte ich nicht sofort den Blick von dem Schauspiel abwenden. Es ließ mein Herz vor Aufregung schneller schlagen, als ich sie frei in der Luft hängen sah, ihre Füße, strampelten und traten nach hinten aus, in der Hoffnung ihren Angreifer abschütteln zu können. Doch es hatte keinen Sinn, sie kam nicht dagegen an. Gedankenversunken griff ich mir an den Hals und erschrak, als meine Hand voller Blut war. In der Aufregung hatte ich gar nicht mitbekommen, wie fest sie sich in meine Schultern gekrallt hatte. Ich beschloss die Wunden nachher ordentlich zu desinfizieren.
Während ich meine Hand an der Hose abwischte, begann ihr Gesicht bleicher zu werden. Die Augen quollen bereits blutunterlaufen hervor. Ich durfte nicht zulassen, dass sie so schnell starb, und kramte aus meiner Hosentasche den Schlüssel, mit dem ich dann den Käfig aufsperrte. Es ließ sie plötzlich los und Kylie fiel vornüber auf den Boden, fing sich gerade noch mit den Händen auf, bevor sie mit dem Kopf aufschlug. Aus den Wunden an ihrem Hals strömte Blut hervor, das ihr übers Gesicht rann und auf den dreckigen Fußboden tropfte. Sie drehte sich in meine Richtung, flehte mich stumm an, das Ganze zu beenden. Dabei streckte sie mir ihren Arm entgegen, wollte, dass ich sie hochziehe. Ich tat so, als würde ich nach ihr greifen, doch dann schüttelte ich den Kopf und schlug ihr auf die Finger.
„Du bekommst das, was du verdienst."
Hinter mir tauchte das Wesen auf, das bereits aus seinem Gefängnis gekrochen war. Es bewegte sich auf allen Vieren, die Muskeln, hart wie Stahl, waren angespannt. Der letzte Überlebenswille von Kylie wich genau in diesem Moment von ihr ab. Sie sackte erschöpft in sich zusammen, akzeptierte, was passieren würde. Ich hätte schwören könne, dass das Wesen lächelte, als es sich auf sie stürzte. Es begann mit ihr zu spielen, wie eine Katze mit einer Maus spielte, grausam und unerbittlich. Aus sicherer Entfernung sah ich zu. Sah zu, wie sich der Boden mit Blut vollsog, ihre blonden Locken zerstört, ihre nackten Beine dreckig und ihr blumiges Kleid zerfetzt wurde. Und es gefiel mir. Dann starb sie, bevor sie jemanden erzählen konnte, was sie gesehen hatte.

Jetzt strich ich dem Wesen zärtlich über die Finger, zeigte ihm so meine Zuneigung. Ich würde nicht zulassen, dass es noch einmal von jemanden so respektlos behandelt wurde. Genussvoll schnurrt es vor sich hin, die Augen dabei geschlossen. Ich hatte damals den Befehl gegeben Kylie zu töten, und würde es ohne zu zögern wieder tun.
„Es ist soweit."
Fragend legte es den Kopf schief.
„Du wirst heute Mia kennenlernen."

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