5. Kapitel

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich mehr als nur fertig. Iris war über Nacht geblieben, und wie das nun mal so war bei echten Mädels, hatten wir bis zu den frühen Morgenstunden über Gott und die Welt geredet. Was meinen Wecker leider herzlich wenig interessierte. Gnadenlos fing er an ab 7:30 Uhr um meine Aufmerksamkeit zu kämpfen. Um viertel vor acht bequemte ich mich dann endlich - mit einem Stöhnen - ihm diese auch zu geben. Müde rieb ich mir über das Gesicht und tastete blind mach Iris.

"Iris. Wir müssen aufstehen. Komm schon. Lass mich nicht hängen", versuchte ich sie wach zu bekommen. Meine Bemühungen  zeigten nicht wirklich den durchschlagenden Erfolg, auf den ich gehofft hatte. Sie wälzte sich zwar von einer Seite zur Anderen und murrte kurz, aber das war es dann auch schon. Also setzte ich mich auf und schob bis sie vom Bett fiel. Klang brutaler als es war und war tatsächlich das Einzige was half, wenn sie sich in einem solchen Zustand befand. Neugierig darauf ob es auch dieses Mal gewirkt hatte, hängte ich meinen Kopf über den Rand des Bettes und starrte mit verquollenen Augen auf sie hinab. Sie erwiderte meinen Blick wenig erfreut.

"Gott Kendra, muss das immer sein?", murrte meine Freundin.

"Was heißt da immer. Und ja, es muss sein. Anders bekommt man dich ja nicht wach. Es sei denn du möchtest, dass ich zu einem Waschlappen mit eiskaltem Wasser wechsle", erwiderte ich bloß und schlug die Decke zurück.

Nachdem wir Beide geduscht und angezogen waren, gingen wir in die Küche, wo wir meine Mum vorfanden. Genau wie jeden Morgen stand sie da in all ihrer Schönheit und machte Frühstück. "Guten Morgen meine Hübschen. Habt ihr Hunger?", fragte sie, sobald sie uns bemerkte und drehte sich mit einer Pfanne mit Pancakes zu uns um.

"Für mich nicht. Danke Mum", lehnte ich ab. Mir war bereits jetzt schlecht, wenn ich daran dachte Tate wieder zu sehen und das gemeinsam mit Iris. Nicht weil sie mir peinlich gewesen wäre, im Gegenteil, sondern viel mehr, weil ich mir selbst peinlich war, wenn ich mich so benehmen würde, wie die letzten Male als ich ihn traf, und das in Gegenwart meiner aller besten Freundin? Keine allzu verlockende Vorstellung.

"Ich nehme ihre Portion gerne auch noch", freute die Blondine sich prompt, als ich mich weigerte auch nur einen Bissen zu essen. Sie wusste warum ich nicht aß, oder zumindest kamen ihre Gedanken der Wahrheit sehr nahe und auch wenn meine Mum vielleicht nicht ganz so weitsichtig war, ließ sie mich zumindest in Ruhe. Stattdessen begnügte sie sich damit Iris dabei zuzusehen, wie sie eine Gabel nach der anderen in sich reinschob und genüsslich kaute.

Iris war den Kochkünsten meiner Mum schon lange verfallen. Um ehrlich zu sein fragte ich mich manchmal ob sie mich oder das Essen besuchen kam.

Mein Blick wanderte zur Wanduhr hinter meiner Mum. "Wir müssen los. Ich will noch meinen Kaffee holen", versuchte ich die Situation aufzulösen. "Ich verstehe nicht, warum du nicht wie jeder andere Mensch auch Kannenkaffee trinkst. Es ist viel günstiger und schmeckt doch ganz genauso", sinnierte Jean.

"Oh da irrst du dich gewaltig Mum. Dieser Kaffe ist einfach ... ich würde dafür töten. Das ist etwas vollkommen Anderes, als dieser labberige Kannenkaffee. Sorry, aber da hört dein Kochtalent nun mal auf und meins definitiv auch", widersprach ich und gab ihr zum Abschied einen Kuss auf die Wange. Iris tat es mir gleich.

Wir verließen zusammen das Haus und schlenderten gemütlich die Straßen entlang in Richtung Café. Vielleicht gingen wir sogar etwas zu gemütlich. "Komm schon Kendra. Ich weiß du willst ihn wiedersehen. Also warum bist du so langsam?", zog sie mich auf und stieß mir sacht mit dem Elleboden in die Seite.

"Ich weiß auch nicht", murmelte ich und schulterte meine Tasche noch ein wenig weiter, obwohl es nichts zu schultern gab. "Ich kann auch Draußen warten, oder wir treffen uns an der Uni. Hey, ich versteh das", meinte Iris fürsorglich und ich merkte, dass sie fast schon krampfhaft versuchte mich aufzumuntern.

Schweigend liefen wir noch eine Weile nebeneinander. Als wir die Ecke vor dem Laden erreichten, packte sie mich am Arm und drehte mich so, dass ich sie ansehen musste. "Okay, hör zu, das reicht jetzt. Du wirst jetzt da reingehen und sehen ob zu Tate findest, und ich gehe schon vor zur Uni." "Aber...", setzte ich an. Doch Iris unterband jegliche möglichen Einwände mit einem einzigen Blick. „Okay, ich geh' ja schon", murrte ich und fing an mich auf den Weg zu machen, während meine Freundin die Straßenseite wechselte und weiter in Richtung Uni lief.

Tief durchatmend, mit dem beruhigenden Geruch von Kaffee in der Nase, betrat ich das Geschäft und stellte mich an, jedoch ohne meinen Blick umherschweifen zu lassen. Ich wusste nicht wo auf einmal mein Problem war. Noch gestern hatte ich nach ihm gesucht, freute mich darauf ihn wieder zu sehen und jetzt ... zog ich den Kopf ein und hoffte das er mich nicht sah, falls er ebenfalls hier war. Vielleicht lag es an meiner Unterhaltung mit Iris vom Abend zuvor, aber tief in mir wusste ich, dass das nicht der wahre Grund war.

Ich war schon immer voller Zweifel. Nie hielt ich mich für intelligent, hübsch oder freundlich genug. Irgendetwas hatte ich immer zu bemängeln, egal wie weit ich es brachte oder was auch immer man mir sagte. Ich wusste dass meine Mum hinter mir stand, ganz gleich was ich tat oder wollte, Iris war immer für mich da, egal in welchem Mist ich hockte. Vielleicht war es Zeit diesen Kreislauf zu durchbrechen, vielleicht...

„Kendra", hörte ich mit einemmal ein leises Flüstern, dass meinen Namen auf eine Art aussprach, welches mir Schauer übers Rückrat laufen ließ. Sein warmer Atem traf die nackte Haut an meinem Schlüsselbein und ich wagte es nicht mich zu bewegen. „Tate", kam meine kehlige Antwort. „Ich bin froh, dass du wieder hier bist", erwiderte er leise. „Ich konnte schlecht auf meinen Kaffee verzichten", gab ich zurück und wie aufs Stichwort war ich an der Reihe.

Schwerenherzens riss ich mich los und trat an den Tresen, wo der Barista wie immer lächelte, jedoch schien es diese mal etwas unecht im Vergleich zu sonst und mir wurde klar, dass Tate bei unserer ersten Begegnung recht gehabt haben musste, der junge Mann wollte anscheinend wirklich meine Aufmerksamkeit und die Tatsache das Tate gerade sehr nah bei mir stand, schien ihm nicht zu gefallen. Mir hingegen ...

Kaum ging ich einen Schritt, war Tate auch schon wieder bei mir. Seine Wärme strömte durch meine Klamotten hindurch, bis auf meine Haut, und ließ mich langsam aber sicher ruhiger werden. Als ich meine Bestellung entgegen genommen hatte und Tate seine hinterherschickte, standen wir unschlüssig, aber dicht nebeneinander.

„Ich glaube kaum, dass ich das sage, aber ...", er hielt kurz inne und strich mir eine Strähne meiner Haare hinter die Schulter. „Ich habe dich tatsächlich vermisst. Ich kenne dich kaum, erst seit zwei Tagen und war kaum ein paar Stunden von dir getrennt und schon wollte ich dich wiedersehen. Ich bin gestern am Mittag sogar noch mal hier gewesen, aber du warst nicht da."

„Dann haben wir uns wohl verpasst. Ich hatte ... dasselbe Verlange", gab ich zu. „Welches genau?", wollte er wissen. Mutig blickte ich zu ihm auf und direkt in diese unglaublichen Augen: „Das Verlangen dich zu sehen. Dich zu ..." „Ich weiß was du meinst", fiel er in meinen Satz ein, wofür ich äußerst dankbar war. Denn ich war mir nicht sicher, ob die nächsten Worte noch über meine Lippen gekommen wären.

Tate griff sacht nach meinem Kinn und beugte sich zu mir herab. Er küsste mich auf meine Lippen, sanft, ohne Hast, als hätten wir alle Zeit der Welt. Und vielleicht hatten wir die wirklich, denn für einen winzigen Augenblick schien es, als würde die Zeit stillstehen.

Tiefes VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt