XXXXXXXVIII.

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Es dauert ein paar Sekunden, bis sich meine Augen an das helle Licht gewöhnt haben. Ich höre ein Piepen neben mir. Gleichmäßig, wie mein Herzschlag. Ich weiß wo ich bin.
Ich setze mich vorsichtig auf und erkenne vier Personen in meinem Zimmer. ,,Rewi",sagt Paluten leise.
,,Ist er tot?",frage ich.
Meine Stimme ist gebrochen, aber sie können mich verstehen.
,,Ja."
Ich nicke.
Ich warte auf den Zusammenbruch. Auf den Schmerz der mir das Herz zerreißen soll. Tiefer, erdrückender Schmerz. Tötendes Stechen in meiner Brust. Auf Schreie.
Irgendeine Reaktion. Aber ich kann nicht. Nichts passiert. Bloß das dumpfe Klopfen meines Herzen, in relation zum piepen der Maschine neben mir.

,,Wann?"
,,Vor einer Woche."
Ich blinzle. Immer noch nichts.
,,Du warst seitdem nicht mehr Ansprechbar. Also du hast manchmal geantwortet, aber du warst nicht bei der Sache. Und gestern hast du bei mir geklopft-",erklärt Paluten.
,,Ich weiß. Und das?"
Meine Augen wandern zu meinem Arm, der in Verbannt gehüllt ist.
,,Du hast dir die Pulsader aufgeschnitten."
Wieder nicke ich.
,,Sollen wir einen Arzt holen?",fragt Izzi.
Ich schüttle den Kopf.
Wo ist die Explosion? Wo sind die Tränen?
,,Der Zettel-",beginne ich.
Paluten nickt, steht auf und geht aus dem Raum.
Die anderen drei sehen mich mitleidig an. Ich forsche in meinem Kopf nach Gefühlen. Irgendwelchen. Meinetwegen Hass. Auf ihn, auf mich. Er hätte doch drücken sollen. Ich hätte bei ihm bleiben sollen. Hätte sein Leben retten sollen.
Oder Trauer. Ich meine er ist tot. Seine Leiche ist wahrscheinlich schon unter der Erde.

,,Die Beerdigung?",frage ich so monoton. So gefühlskalt. Als wäre es nicht Felix Beerdigung, nach der ich frage.
,,Vor drei Tagen",antwortet Manu.

Aber es bleibt nur Leere. Weil ich mir alles eingebildet habe. Weil wir nie irgendwas waren. Er hat das ganze gar nicht überlebt. Wir kamen gar nicht zusammen. Aber es ersticht mich nicht. Dieser Fakt tötet mich nicht. Ich glaube ich könnte heulen. Oder kotzen. Aber es passiert nichts. Das letzte mal als ich ihn sah war in dieser Nacht. Das letzte was er zu mir gesagt hatte war sorry.

Er ist tot! Wieso zerstört es nicht meine Welt?
Wieso existiert diese Welt, obwohl er kein Teil mehr davon ist?
Wieso dreht sich die Erde weiter, wenn er nicht mehr darauf umher läuft?
Ich muss zerbrechen.
Es ist okay wenn ich nicht unserer Beziehung nachtrauere, denn diese hat es nie gegeben. Aber ihn. Ihn hat es gegeben!
Er war hier. Er hat gelebt. Er hatte einen Namen. Felix Hardy.
Er hat geatmet. 17 Jahre lang. Und ein Jahr davon habe ich mit ihm gelebt. Ihm muss ich doch nachtrauern. Ich muss doch zerbrechen. Ich liebe ihn doch. Wo ist meine Reaktion. Ich will Schmerz, ich will Hass und Trauer!
Ich will heulen. Ich will kotzen.

Aber ich bin einfach nur leer.
Ich blinzle. Und atme. Und rede - beschissene, eintönige Sätze.
Diese scheiß Depression.
Lass mich schreien! Lass mich fucking zerbrechen!

Er war hier und jetzt ist er tot.
Sebastian er ist tot!
Felix.
Felix fucking Hardy.
Seine matten, braunen Haare sind tot.
Seine tristen, tiefen, braunen Augen sind tot.
Seine weichen Lippen sind tot.
Seine dünnen Hände sind tot.
Alles an ihm ist tot.
Sein Herz ist tot.
Er ist tot.
Wieso bin ich nicht tot?
Kann mich jemand anschreien? Bis ich mir den Verband vom Arm reiße und mich umbringe?

Wieso kann ich nicht sterben?

Als er hier war habe ich so vieles Gespürt.
Hass.
Wut.
Angst.
Trauer.
Schmerz
Liebe.
All diese grauenhaften Gefühle.
-
Sind sie mit ihm gegangen?

Psychiatrie | RewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt