Toby sitzt auf meinem Bett neben mir und macht sich fett wie ein übergewichtiges Walross. Im Ernst, der Typ wiegt vielleicht so viel wie das rechte Ohr der Stationsschwester, aber schafft es, seine geschätzt vierzig Kilo Lebendgewicht über ein Dreiviertel meiner Matratze zu verteilen.
„Toby du Fettsack, mach dich nicht so breit.“ Er kichert leise und greift in meine Chipstüte. Genüsslich leckt er sich jeden einzelnen Finger ab. Keine Ahnung warum, aber wenn das hier seine unzähligen Weiber sehen würden, wäre er bald nicht mehr die männliche Schlampe seiner Schule. Besonders attraktiv ist das nicht, aber gut, er ist ja auch mein Bruder. Will mir gar nicht vorstellen, was der erst macht, wenn er alleine ist.
„Toby, mach sofort deine Fettfinger von meinem Controller“, schnauze ich ihn an. Er ignoriert mich gekonnt und dafür bekommt er einen Stoß meines Ellbogens in die Rippen.
„Warst aber auch schon mal kräftiger“, feixt er unbekümmert und zockt weiter. Auf dem Bildschirm des Fernsehers stirbt gerade irgendeine Olle und Toby springt auf. Ein stummer Freudenschrei tönt aus seinem weit aufgerissenen Mund und er ballt beide Fäust zu einer Siegerpose. Wie die Fußballer, wenn sie auf ihren Knien den Rasen lang rutschen. Er ist so ein Spinner.
„Hat Mom irgendwas gesagt? Kommt sie heute noch?“, frage ich, als er sich wieder setzt und noch dicker macht als vorher. Wirklich jetzt? Wie geht das?
„Keine Ahnung. Ich bin doch da.“, grinst er und legt den Arm um meine Schulter. Er zieht meinen Kopf zu sich heran und küsst mein kurzes Haar mit seinem Paprikamund.
„Du stinkst, T“, murre ich. Er lässt mich nicht los, lacht laut auf und fummelt in meiner spärlichen Haarpracht rum.
„Heul nicht rum, Rapunzel.“
„Halt die Klappe, Kaa.“
„Hast du mich gerade nach dieser Schlange vom Dschungelbuch benannt?“
„Frag doch deine Stümmelzunge.“
„Frag du doch deinen Tumor.“
Wir lachen beide wie die Bekloppten.
Die Tür geht auf und eine genervte Schwester Yvi kommt rein. Sie ist Schwedin und ihr Haar ist pissgelb. Irgendwo habe ich mal gehört, dass Krankenschwestern schön sein müssen, damit die Patienten ein Ziel vor Augen haben. Ich will aber nicht so aussehen wie sie. Toby steht auf sie. Wäre sie ein paar Jahre jünger würde er sie knallen.
„Mund zu Toby“, sage ich trocken und werfe der Schwester mein schönstes Lächeln zu.
„Zoe, mach die Konsole um Himmelswillen leiser.“
„Sagen Sie das meinem Bruder.“
Sie verschränkt die Arme.
„Oder, nein, sagen Sie es seinem Penis. Der ist hier der einzige, der auf sie reagiert.“
Ich wusste nicht, dass Schwedinnen so rot werden können.
„Zoe ist Schuld.“
„Bin ich gar nicht. Er hat seine Errektionen doch nicht unter Kontrolle.“
„Zoe, es reicht“, stöhnt Mama nun, die an die Heizung gelehnt in meinem Zimmer steht. Sie hat eine lange kackbraune Strickjacke an und eine Jogginghose und ihre Haare sind zu einem unordentlichen Knoten zusammen gebunden. Wenn ich ehrlich bin, ist sie ziemlich hässlich. Hab ich wohl von ihr vererbt bekommen.
„Brauchst du noch irgendwas? Zeitschriften, Bücher, eine DVD?“, fragt sie.
„Ne Rasierklinge wär ganz gut.“
„Ist der Busch bei dir da unten schon wieder gewachsen?“, fragt Toby zuckersüß.
„Nö, aber die Einstichnarben sind langsam verheilt und die geben mir hier ja kein scheiß Morphium mehr. Vielleicht krieg ich ja welches, wenn ich mir die Arme aufschneide“, entgegne ich. Mom schüttelt den Kopf und greift nach ihrer Tasche.
„Du bist nicht mehr krank, Zoe. Du wirst gesund“, haucht sie, küsst mich auf die Wange und sieht Toby fordernd an.
„Du hast morgen Schule“, antwortet sie auf seinen bittenden Blick.
„Außerdem lässt Schwester Yvi dich nach der Aktion mit Sicherheit nicht mehr hier übernachten. Das ist kein Kinderspieleland. Das ist die Onkologie und hier schlafen nur die Eltern von kleinen Kindern.“
„Zoe ist doch gerade mal einsfünfzig. Das ist doch klein“, mault er.
„Einssechzig“, knurre ich.
„Du wirst nicht die Schule schwänzen. Ab jetzt!“, faucht sie schon fast und er springt auf. Mit seinem Schmatzmund will er mich auf die Backe küssen, da wo die Haut so rissig ist von der Strahlentherapie, aber ich drehe mich weg. Fettcreme schön und gut, aber das Frittieröl von den Billigchips ist jetzt auch nicht die optimale Lösung. Mit der einen Hand versucht er mir die Chipstüte zu entreißen, aber ich klammere mich an ihr fest. Grinsend hilft er mit der anderen Hand nach und löst meinen Griff.
„Du bist scheiße, Toby“, keife ich.
„Du auch, Zoe.“

DU LIEST GERADE
Schnauze Alien
RandomDas Leben hat einen an der Waffel. Vor allem, wenn man mit ihm schon längst abgeschlossen hat.