1. Türchen

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Schwere Schritte hallten durch das inzwischen vollkommen leer gefegte Gebäude der Staatsanwaltschaft. Inzwischen waren alle schon gegangen. Selbst der vielbeschäftigte Miles Edgeworth hatte für diesen Abend das Handtuch geworfen und Franziska von Karmas Peitschenknälle waren schon längst verstummt. Die Payne-Brüder hatten sich schon gegen 12 Uhr mittags zum Lunch davongestohlen und waren auch nicht wieder gesichtet worden.
Heute Abend war er also allein in diesem Gemäuer. Nun, das war gut. So hatte er genügend Zeit und Gelegenheit, sich zu sammeln, bevor er zurück ins Licht der Öffentlichkeit treten und sich mit Fragen bombardieren lassen musste. Aber gut, das war das gute Recht der Öffentlichkeit. Sie hatte ein Recht auf Antworten. Und er war bereit, diese Antworten zu geben, nur eben heute noch nicht. Zuerst musste er sich überlegen, was er sagen konnte und was nicht. Wo er lieber schweigen sollte und wo es vielleicht angebracht war, eine kleine Notlüge aufzutischen. Hier und da vielleicht ein passender oder vielleicht auch unpassender Vergleich, wie es für ihn üblich und typisch war. 
Er schloss die Augen und nahm einen tiefen Zug der staubigen Luft in diesem Gang. Es war seltsam, doch schon beim ersten Spaziergang in diesem Gebäude war ihm aufgefallen, dass die Luft hier anders war. Damals, vor langer Zeit. Naja, sooo lange war es nun auch nicht her. 
Der Sauerstoff in diesen Hallen war verbraucht durch die vielen Leute, die hier ein und aus gingen, was die Luft seltsam schwer machte. Eigentlich sollte es die Leute hier auch irgendwie träge und müde machen, doch es bewirkte eher das Gegenteil. Immer waren alle gestresst und gehetzt, als ginge es um ihr Leben, doch so war es ja nicht. Es ging einzig und allein um das Leben anderer.
Mit der Zeit härtete man ab und wurde kalt im Gericht, egal auf welcher Seite man stand. Er spürte es, jedes Mal, wenn er an der Bank stand. Er sah es in ihren Augen - bei Angeklagtem, Zeugen, Richter, Anklage und Verteidigung. Jedes Mal, wenn das Gericht berufen wird, stirbt ein kleiner Teil aller Beteiligten. Unter dem Druck zerbrach man, durch all die Verantwortung. Man musste einen hohen Preis zahlen.
Seiner Meinung nach war er selber schon lange tot. Entgegen der allgemeinen Meinung war seine Seriosität, sein charmantes Lächeln und sein geradezu zwanghaftes Verlangen nach den beißenden Dämpfen seines Getränks nur Schein. Es gab kaum jemanden, der den wahren Mann dahinter kannte.

"Wann hatten Sie vor, es mir zu sagen?!", wurde per bereitwilligem Schall ein zerknirschter, allerdings ruhiger Vorwurf einer eindeutig männlichen Stimme an sein Ohr getragen. Die Frage prallte an den steinernen Wänden ab und kam von allen Seiten zu ihm zurück.
Ihm war noch gar nicht aufgefallen, dass er vollkommen unbewusst die Staatsanwaltschaft verlassen hatte und ins Gericht gegangen war. Gerichtssaal Nummer 1 lag still und verlassen vor ihm. Er stand in der Tür und sah direkt auf die Bänke und Stühle, die sich im Laufe der Zeit zu einem gewohnten Anblick für ihn entwickelt hatten. Genauer ausgedrückt schon fast zu einem Zuhause. Es war ungewöhnlich ruhig und dunkel hier, die Präsenz der schlagenden Herzen, des gespannten Getuschels und die umherschwirrenden Gedanken, die den Raum normalerweise mit Leben erfüllten, fehlten einfach. Es war, als wäre der Gerichtssaal ein lebendiges Tier, dem die Seele fehlte. Irgendwie amüsierte ihn diese Vorstellung. Ein Tier, in dessen Bauch über Leben und Tod entschieden wurde.
Die einzige momentane Lichtquelle des Raumes lag in der Mitte, gegenüber der Anklagebank. Auf der Bank der Verteidigung stand eine kleine Kerze in einem altmodischen, kunstvoll verzierten Kerzenhalter und ließ die Schatten an den Wänden tanzen, doch die Bank war so leer und verlassen wie die Staatsanwaltschaft, nur ein paar Dokumente waren auf ihr zu sehen. Eigentlich grenzte das schon fast an Brandstiftung, doch da sich der "Brandstifter" momentan hinter ihm befand, würde er ausnahmsweise mal ein Auge zudrücken.
"Ha...!", stieß er aus und drehte sich in einer fließenden Bewegung um, hütete sich jedoch davor, seinen Gegenüber anzusehen, sondern hielt sich daran, den Boden neben seinen eigenen Stiefeln zu mustern, starrte regelrecht ein Loch in den Boden. "Es hätte mir ja eigentlich klar sein müssen, dass Sie der Erste sind, der es herausfindet", meinte er so ruhig wie gelassen und beim nächsten Wort hob er endlich den Blick und sah den anderen unverhohlen an, "Breit."
Phoenix Wright verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und richtete seine großen, dunklen Augen direkt auf die Maske seines Gegenübers. "Schön, Sie wiederzusehen, ... Herr Godot."
Godot drehte den Kopf erst kurz zur Seite und presste die Lippen aufeinander, dann wandte er dem jungen Strafverteidiger den Blick wieder zu, hob den Kopf etwas an und grinste auf die Art und Weise, wie er es schon vor zehn Jahren getan hatte. "Sie müssen mich nicht um meinetwillen anlügen, Breit", meinte er und obwohl das schiefe Grinsen auf seinen Lippen blieb, sprach er auch die darauffolgenden Worte  ernst aus, "Ich kann die Wahrheit sehr gut verkraften."
Phoenix Wright wandte kurz den Blick ab, schien nachdenklich auf Godots Schuhe zu stieren, dann hob er ihn wieder, legte die Hand in den Nacken und lächelte so verlegen wie nervös. "Ach, nein", murmelte er, "Ich meine es ernst, es freut mich wirklich, Sie wiederzusehen, Herr... Armando."
Der Angesprochene ließ sein schiefes Grinsen fallen und musterte Mias Nachfolger ernst wie prüfend, was durch die Maske nur bedingt verdeckt wurde. "Wieso?", fragte er einfach. Diese zwei Silben kamen aus seinem Mund gepurzelt, bevor er die Chance hatte, sich ernsthaft Gedanken darüberzumachen. Warum interessierte ihn das denn überhaupt?! Breit konnte doch denken, was er wollte! Ihm konnte das eigentlich ziemlich schnuppe sein, Breit ging ihn überhaupt nichts an. 
Wright wandte wieder den Blick ab und nun war es an ihnen beiden zu schweigen. Der Strafverteidiger blieb ihm die Antwort schuldig. Irgendwie hatte die Stille etwas Unangenehmes, Angespanntes. Es fehlte nur noch ein Blitz im Hintergrund oder so. Nach einer Weile hob Phoenix Wright den Blick wieder und in seinen Augen lag derselbe Glanz wie schon bei der ersten Verhandlung. "Wann sind Sie herausgekommen?", wollte er wissen und lächelte zögerlich, fast schon schüchtern.
"Vor drei Tagen", antwortete der ehemalige Antwort beziehungsweise der ehemalige Staatsanwalt und stierte den Boden an.
"Und Sie haben sich nicht gemeldet?"
"Ha...!", stieß Godot aus und grinste wieder, allerdings nur für einen Moment, "Ich hatte wichtige Dinge zu erledigen, Breit. Habe meinen Arzt aufgesucht, war an Mias Grab und habe Blumen abgelegt. Desweiteren...", nun grinste er wieder, "warum hätte ich mich melden sollen? Und bei wem? Bei Ihnen etwa?!"
Breit antwortete nicht, sondern sah ihn nur einen Moment nachdenklich an, dann seufzte er und ging an ihm vorbei, hinunter zu der Kerze, wo er seine Dokumente zusammensammelte. "Auf bald, Herr Armando", meinte er noch, ohne ihn anzusehen, als er mit der Kerze in der einen und dem Papierstapel in der anderen Hand an ihm vorbeirauschte. "Und noch eine schöne Adventszeit."

*~*Aus dem Adventskalender von Diego Armando/Godot*~*

Turnabout X-mas -- der offizielle AA-Adventskalender 2016Where stories live. Discover now