Kapitel 73

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Wolf's Sicht

"Wohin gehst du, mein Sohn?", fragt meine Mutter mich sanft, als ich nach meiner Jacke greife und sie mir über die Arme ziehe.

"Ich hole Ani und Husky von Claire ab und fahre dann mit ihnen ins Krankenhaus.", antworte ich seufzend.

"Und wirst du mir auch sagen, was mit dir los ist?", fährt sie besorgt fort, taucht plötzlich neben mir auf und richtet mit ihren zierlichen Fingern meinen Hemdkragen.

"Es ist alles in Ordnung, ich bin nur ein wenig verplant.", murmle ich angespannt und gucke zu Boden.

"Ist etwas zwischen dir und Aaliyah vorgefallen?", mit einem Mal richte ich meine Augen auf sie.

Schluckend und beinahe unfähig zu atmen, gucke ich sie an, als könnte sie mir all die Lösungen zu meinen Problemen sagen.

Aber nein, das kann sie nicht.

Meine Mutter kann mir leider nicht erklären, warum Aaliyah seit genau einer Woche bis aufs Letzte auf Distanz geht.

Seit dem wir miteinander geschlafen haben, scheint sie zurückhaltend und nachdenklich, viel zu ruhig und in sich gekehrt.

Jedes Mal, wenn ich sie ein wenig aufmuntern, küssen oder ihr sonst irgendwie nah sein will, blockt sie mich ab, scheint überhaupt gar nicht erst vorzuhaben, darauf einzugehen.

Auch sprechen wollte sie nicht mit mir und seit Tagen fragen ich mich, ob ich der Grund bin.

Die Dämonen in meinem Kopf reden mir die ganze Zeit ein, dass sie den Sex bereut und aus irgendeinem Grund erscheint mir das so logisch; letztendlich deuten alle Zeichen darauf hin.

Wenn ich doch wenigstens wüsste, was los ist, damit ich irgendwie etwas tun kann, doch natürlich werde ich wie immer mit Ungewissheit bestraft.

Sie wird schon ihre Gründe haben und auch wenn sie nicht mit mir spricht, bin ich froh, dass sie sich auch nichts antut.

Seufzend fahre ich mir durch die Haare und gucke meine Mutter erschöpft an, bevor ich den Kopf schüttle.

"Alles ist gut, danke der Nachfrage, Mum.", erwidere ich zurückhaltend.

Es hat mich gefreut, meine Mum nach langer Zeit wieder bei mir war und ich habe erst beim gemeinsamen Frühstück bemerkt, wie sehr sie mir gefehlt hat.

Ich gebe ihr einen sanften Kuss auf die Stirn, bevor ich gedankenverloren nach meinen Autoschlüsseln greife und zusammen mit meiner Mutter die Wohnung verlasse.

Knapp eine halbe Stunde später schnalle ich Husky ab und nehme Ani an meine Hand, bevor wir zusammen in Richtung Krankenhaus laufen.

Das Lächeln auf den Gesichtern meiner kleinen Engel sind natürlich so etwas wie ein Geschenk für mich und sie erhellen mir um einiges den Tag, aber ich habe das Gefühl, dass nur Aaliyah mich aus der völligen Dunkelheit ziehen kann und das hasse ich.

Es gefällt mir überhaupt nicht, dass ich so dermaßen abhängig von ihr bin, aber ich habe auch keine Ahnung, wie ich das ändern könnte.

Doch da ich mich selbst gut kenne, weiss ich, dass wenn es so weiter geht, ich bald wieder zu dem kaltherzigen Wichser werde, der ich vor ihr war und auch wenn ich es vermisse, mit niemandem irgendwie, irgendwas zutun zu haben, bin ich froh, endlich "normal" zu sein.

Ich begrüße alle Kids mit einer festen Umarmung, behalte jedoch Husky gut im Auge und auch Ani ist immer auf meinem Radarschirm, während ich diesen wunderbaren Menschen ohne Sünden dabei zugucke, wie sie ihr Leben genießen, so als wäre das Krankenhaus nicht der schlimmste Ort der Welt.

Der Gedanke, dass ein paar dieser Engel in zwei Jahren nicht mehr da sein könnten, bricht mir das Herz und am liebsten würde ich ihnen alles spenden was ich habe, damit sie weiterleben und glücklich werden können, ohne zu leiden, doch leider bin ich bereits zu alt und sie sind eindeutig zu jung; zu jung und unschuldig, um solch ein Leben zu verdienen.

Während Ani mit den Mädchen und Husky bei den Jungs spielt, nehme ich mir ein paar Minuten, um nach meinem schönsten Engel zu sehen, wobei ihr erschöpfter Anblick mich tötet.

Vor drei Tagen haben wir die tolle Nachricht bekommen und heute wurde das Wunder vollbracht: Emma hat ihre verdiente Niere erhalten und in innerhalb von Stunden wurde gehandelt, sodass sie bereits heute schon wieder munter ist.

Auch wenn sie um einiges glücklicher und energiereicher ist, merkt man ihr an, was für eine harte Zeit sie hinter sich hat und ich bin froh, endlich sagen zu können, dass das alles hinter ihr liegt.

"Hallo, mein Engel.", sage ich, als ich bei ihr ankomme und ihr sanft über die Wange streiche.

"Hey.", lacht sie freudig, strahlt mich mit ihren blauen Augen an.

"Wie geht's dir heute?", frage ich und setze mich neben sie auf ihr Bett, lege meinen Arm um ihre Schulter und ziehe sie dichter an mich.

"Mir ging's lange nicht mehr so gut, und dir?", "Ich hatte auch schon bessere Tage, aber dein Lächeln lässt mich alles vergessen.", sage ich seufzend und fahre mir durch die Haare.

"Wo ist Lia?", fragt Emma mich und blickt mir dabei direkt ins Gesicht, so als wüsste sie, wie es zwischen uns läuft.

"Ich weiß es nicht, Zuhause wahrscheinlich.", antworte ich abwesend, denn über sie zu reden macht mich traurig und ich möchte nicht traurig sein.

"Kommt sie nicht?", "Das weiß ich auch nicht.", "Aber du bist doch ihr Freund, solltest du nicht alles über sie wissen?", fragt sie mich und schluckend gucke ich in ihre blauen Augen.

Kleine Kinder müssen auch immer diese unangenehmen Themen ansprechen.

"Das bin ich, aber ich kann sie ja nicht kontrollieren, Liebling. Das wäre falsch.", antworte ich mit Bedacht.

"Ich mag euch zusammen viel lieber, als wenn ihr einzeln da seid. Wenn ihr beide beieinander seid, dann lacht ihr und guckt euch immer so süß an. Jetzt aber bist du wie ein Zombie und das warst du auch am Montag schon.", erklärt mir eine Neunjährige, bringt mich dazu, kaum atmen zu können und schluckend starre ich zu Boden.

"Man kann ja nicht immer glücklich sein.", versuche ich mich irgendwie rauszureden, wobei meine vor Unbehagen kratzige Stimme mich verrät.

"Das verstehe ich nicht. Ich meine - wenn du traurig bist, dann hör einfach auf, traurig zu sein. Das ist doch nicht so schwer, oder?", fährt Emma fort und guckt mich verwirrt an. Seufzend zucke ich mit den Achseln, während ich mir durch die Haare fahre.

"Mach dir um mich Mal keine Sorgen, mein Engel, alles was zählt ist dein Lächeln, okay?", erwidere ich nur, unfähig etwas anderes zu sagen.

Irgendwo hat sie natürlich recht, aber sie kennt ja dieses ganz bestimmte Ziehen in der Brust nicht, das in Verbindung mit Sehnsucht und schmerzvoller Liebe kommt.

Ihr ist noch nie die Art von Müdigkeit begegnet, wo man einfach nur noch im Bett liegen will und nie wieder aufwachen möchte.

Sie ist noch viel zu jung und unerfahren, um zu wissen, wie es sich anfühlt, eine geliebte Person zu vermissen, auch wenn jener Mensch nur Zentimeter von einem selbst entfernt ist.

MY BADBOYWo Geschichten leben. Entdecke jetzt