Sechs - in dem Zustand geformter Leere

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Die Sonne kriecht langsam den Horizont hinauf, der helle Ball, den ich beinahe gegen das Nichts getauscht hätte, hüllt die Baumkronen in einen warmen Orangeton. Hinter mir liegt die kleine Hütte, ich weiß, dass ich sie das letzte Mal betreten, das letzte Mal in ihr etwas verändert und sie das letzte Mal hinter mir gelassen habe. Sofort renne ich los, meine Beine fliegen über das Laub und die Luft brennt durch meine Lungen, wie ein ungeheurer Feuersturm. Ich werde nicht verfolgt, das Monster dieser Nacht, ich habe es losgelassen, es der Dunkelheit und der Formlosigkeit übergeben. Auf einmal ist so viel Leben um mich herum: Die Vögel flattern umher auf der Suche nach Nahrung. Ein paar Rehe und Kaninchen springen abseits des Weges im Schutz der Büsche durch das Dickicht. Sogar die Bäume, die noch vor einigen Stunden so ausgebrannt und leer stumm in der Finsternis standen, leuchteten mit ihren prächtig geschmückten Kronen in der Morgendämmerung, als seien sie zu neuem Leben erwacht. Diese frische Luft, die jede einzelne Faser meines Körpers durchströmt füllt mein Herz mit etwas was ich glaubte niemals wieder spüren zu können.

Hoffnung.

Am Ende dieser langen Lichtung erspähe ich das schrottreife Wrack, das einmal mein Auto gewesen ist. Es sieht wirklich verehrend aus. Tiefe Risse durchzogen den Lack, die Frontscheibe war völlig zersplittert, das Fenster auf der Fahrerseite fehlte komplett. Was mich jedoch nachdenklich stimmte, war dass die Fahrerseite gegen einen Baum gequetscht und ganz und gar eingedrückt war. Meine Erinnerung kehrt zurück, zurück an den Zeitpunkt bevor ich in der Hütte ankam, bevor ich von einem Monster gejagt wurde, bevor ich mitten in der Nacht in diesem Wald erwachte. Die Scheinwerfer meines Autos trafen mitten auf der Straße, gar unvorhergesehen, auf eine einsame Frau. Lange brünette Haare hingen ihr vor dem Gesicht – Himmel, sie war es. Auch wenn dies ganz unmöglich sein konnte. Doch beim nächsten Wimpernschlag war sie von der Straße verschwunden. Meine Reifen quietschten, ich brach durch die Leitplanke. Ich kam von der Straße ab, das Auto überschlug sich etliche Male. Ich musste herausgeschleudert wurden sein bevor ich das Bewusstsein verlor. Ich war zu diesem Zeitpunkt überhaupt aus allem herausgeschleudert. Vielleicht war das meine Rettung.

Jetzt werden meine Beine doch wieder ein wenig zitterig aber nur deswegen, weil mich alles in diesem Augenblick überwältigt, so viele Eindrücke, so viele Erkenntnisse. Allein das Nichts bleibt herausgelöst wie ein Zwiegespräch in dem Zustand geformter Leere. Aber ich stehe hier in der aufwachenden Morgensonne und beobachte wie das Licht über das Laub kriecht und sich zu einem neuen Tag erhebt. 

„Ich lebe." Verwundert schaue ich noch einmal in den Wald hinein.

„Ich lebe.", sage ich nunmehr zur mir selbst und langsam glaube ich es mir auch wieder, als ich meinen Kopf in die Höhe strecke und die das helle Licht über mein Gesicht streifen lasse.

Zwiegespräch bei NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt