Kapitel 34

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Die Tage zogen ins Land und Fee's Zustand besserte sich nicht. Es wurde immer schlimmer mit ihr. Nur noch selten stand sie mit eigener Kraft auf ihren vier Beinen. Das Fieber war ein ständiger Begleiter. Sie bekam Husten und ihr Immunsystem wurde immer schwächer. Heute wurde sie in Quarantäne verlegt.

So stand ich hier. Mit speziellen Kitteln vor ihrer Box. Teilnahmslos starrte meine sonst lebensfrohe Stute zu Boden. „Fee",flüsterte ich leise. Ihr trüber Blick hob sich nicht. Die Ohren hangen genauso schlapp herab wie zuvor. Das gepflegte Fell war Stumpf und dreckig. Ihre Mähne verklebt und mit Strohhalmen bestückt. Nur durch einen Gurt am Bauch wurde sie aufrecht erhalten. Der Anblick war alles andere als erfreulich. Jeden Tag begleitet mich die Frage,wie lange sie noch durchhalten würde. War es verantwortungslos von mir sie noch am Leben zu lassen? Niemals würde ich ihr Leben beenden. Sie kann das schaffen. Fee ist ein Kämpfernatur. Meine kleine Stute wird da durch kommen! Es war noch immer nicht klar wo durch sie erkrankte. Die Falbstute zeigte keine Anzeichen einer Krankheit. Sie benahm sich wie immer.

Es stand die Vermutung im Raum,sie hätte einen seltenen Virus. Doch anderseits standen so viele Vermutungen im Raum. Gestern war eine Blutprobe in ein spezielles Labor für Virus Erkrankungen geschickt worden. Ich hoffte das es nichts all zu ernstes war. Sollte meine kleine Stute sterben? Nein es wird nichts schlimmes sein! Meine Augen brannten bei den Gedanken an ihren Tod. „Nein Fee. Du wirst nicht sterben. Das geht doch gar nicht? Du bist doch so stark. Du schaffst es doch?",flüsterte ich unsicher zu ihr. Die erste Träne bannte sich den Weg aus meinen Augen. Gefolgt von einer zweiten und einer dritten. Bis ich schließlich schluchzend und weinend vor ihr stand. Die kleinen Pony Ohren zuckten leicht. Doch mehr Reaktion kam nicht ins Pony. „Fee",begann ich, „du-" doch meine Stimme brach ab und es endete im weinen und schluchzen. „Bitte geh nicht.",flüsterte ich schwach, „ich brauche dich. Bitte. Bitte Fee bleib da. Ich liebe dich doch. Ich brauche dich."

Meine Besuchszeit war zu Ende. Schweigend trat ich aus der Klinik. Was war es doch für ein abscheulicher Ort. Ein Ort der Tränen,der Trauer. Ein Ort des Todes. Niemals würde ich solch einen Ort mehr freiwillig betreten. Doch Fee konnte für all das nichts.

Mein Blick richtete sich auf meinem Weg. Aus dem grauen Himmel nieselte der Regen auf mir herab. Die Menschen zogen eilig an mir vorbei. Jeder hatte nur ein Ziel vor Augen:Heimkommen und in die warme Wohnung. Die meisten hatten einen bunten Regenschirm über den Kopf. Ich hatte nicht einmal eine Mütze. Der Regen lies mein braunes Haar immer nässer und dunkler werden. Keiner der Menschen nahm Rücksicht auf mir. Oft rempelten die Leute mich an. Die unscheinbare Person mitten in der Zivilisation. Kein ,Sorry' oder ,Tut mir leid' war zu hören. Seufzend setzte ich meinen Weg fort.

Riesige Bürogebäude türmten sich links und rechts von mir. Zwischen drinnen Einkaufsläden. Menschen strömten aus den Gebäuden heraus oder hinein. Autohupen war hie und da zu vernehmen. Busse fuhren im Minutentakt von den Haltestellen weg. Ich beschleunigte meine Schritte. Auch ich wollte in das warme Innere eines Busses kommen. Drei andere Personen standen an der Haltestelle für meinen Bus. Meinen Blick noch immer gesenkt,stellte ich mich weiter von den anderen entfernt hin. Tränen rannen noch immer über meinen Gesicht. Doch durch den Regen fiel es nicht auf. Verstohlen wischte ich mit meinem Ärmel die Tränen weg. Es wird doch wieder alles gut. Schon bald wird Fee wieder auf der Weide stehen und friedlich Grasen. Ich werde sie wieder reiten und sie wird in Frieden auf Fred's Hof im hohen Alter sterben.

Der Bus geleitete durch den stärker werteten Regen auf uns zu. Sanft hielt er an und die Türen öffneten sich. Ich lief auf ihn zu und lies die anderen vor. Als letzte erklimmte ich die Stufen des Buses. Meine Karte hielt ich stumm den Fahrer hin. Er nickte und ich lief weiter. Kurz hob ich meinen Blick. Die blauen Sitze waren fast alle besetzt. Es saßen überwiegend Erwachsene im Bus. Ihre sehnsüchtigen Blicke wanderten aus dem Fenster. Sie hofften die Sonne zu sehen. Hofften auf gutes Wetter. Doch sie konnten lange hoffen. Das Schicksal meinte es anders. Einige starrten auf ihre Handys. Mein Kopf senkte sich und ich lief auf einen freien Sitz zu. Erschöpft lies ich mich in den Sitz gleiten. Erschöpft vom Leben. Es war anstrengend jedem Tag ständig etwas vorzuspielen. Die starke Persönlichkeit zu spielen. Dabei zerbrach ich innerlich. Verkroch mich in eine Ecke und weinte. Im inneren war ich ein zerbrochenes,kleines Mädchen. Schwach und hilflos. In einer dunkelen Ecke sitzend und weinend. Meinen Gefühlen freien Lauf lassend. Jeden Tag zerbrach ich ein kleines Stückchen mehr. Jeden Tag fragte ich mich ob es noch einen Sinn machte. Und jedes Mal kam ich zu den Entschluss,es machte keinen Sinn mehr. Doch genau jetzt werde ich Fee nicht alleine lassen.

Ruckelnd fuhr der Bus los. Stumm wendete sich meine Aufmerksamkeit zum Fenster. Die Gebäude flogen an uns vorbei. Die vielen Menschen mit ihren bunten Regenschirmen verschwanden immer mehr. Wir fuhren aus der Stadt hinaus. Um mir herum entwickelten sich die Gespräche. Einige Wortfetzen drangen bis zu meinen Ohr. Doch ich beteiligte mich nirgends. Die Leute um mir herum lachten,waren glücklich. Hatten sie jemals Verluste gemacht? War jemals jemand wegen ihnen gestorben? Ich wusste es nicht. Konnte mir jedoch denken das sie alle ein normales Leben führten. Sie hatten einen guten Job,eine Familie,ein Dach über dem Kopf und keine Probleme. Nur die üblichen Alltagsprobleme. Doch was hatte ich? Mein Job war das Reiten. Das war das einzigste was ich immer wollte. Doch würde ich es jemals wieder schaffen,ein Pferd in den Parcours zu zwingen? Sie waren nicht dazu bestimmt auf unseren Wunsch ihr Leben lang Turniere zu bestreiten. Was war es für ein Leben als Kind schon Bundeschampionate zu gehen? Als Dreijährige schon Erfolge sammeln zu müssen? Es war meine Arbeit so etwas zu tun. Doch nie wieder würde ich zurück in den Sattel eines Turnierpferdes kehren. Nie wieder die Nervosität vor dem Start erleben und nie wieder unter den gespannten Blicken anderer mein Können zeigen.

Der Turniersport fordert Opfer. Doch ein Pferd als Opfer war zu viel. Lies man den nicht schon genug auf den Weg nach oben liegen? Anscheinend nicht. Es werden immer größere Opfer gefordert. Warum kann nicht alles wie auf einem ländlichen E-Springen bleiben? Pferd und Reiter gut miteinander harmonierend. Beide haben Spaß an ihrer Sache. Aus reinster Freude reiten sie Turniere. Nicht wegen des Geldes oder Ruhm. Doch so sind Menschen. Sie sind gierig. Gierig nach Erfolg,Anerkennung und Ruhm. Eine innige Freundschaft dafür zu gefährden war es nicht wert. Nichts war es wert so eine Freundschaft zu gefährden.

Mit einem leichten Ruck hielt der Bus an. Endlich war meine Stadion gekommen. Vorsichtig erhob ich mich. Keiner außer mir stieg aus. Einige schauten genervt zu mir. Sie alle wollten Heim und ich hielt sie nur unnötig auf. Mit gesenkten Kopf stieg ich rasch aus. Der Regen fiel noch immer auf mir nieder. Seufzend setzte ich mich in Bewegung. Der Weg zum Hof war weit.

Hinter den Fenstern der Häuser brannte Licht. Warmes,oranges Licht wurde hinaus in den grauen,trüben Regen geworfen. Doch nichts von dieser Wärme erreichte mich. Ich fühlte mich leer und einsam. Mir war kalt und selbst die dicke Regenjacke half nichts. Die wenigen Häuser des Dorfes lies ich schon bald hinter mir. Die Kapuze meiner Jacke tief ins Gesicht gezogen. Kein Haus stand mehr vor mir. Nur noch endlose,weite Felder. Kurz blieb ich stehen. Sah die Regentropfen wie sie auf die Erde fielen und dort aufprallten. Ich dreht mich zum Himmel. Schwere,kalte Tropfen klatschten in mein Gesicht. Die graue Wolkendecke lies eine Sonne nur erahnen. Doch mein Körper lies mir nicht mehr Zeit im Regen. Ich fror immer mehr und war bis auf die Knochen durchnässt. Meine Zähne klapperten leise aufeinander. Die vollkommen durchnässten Haare tropften auf meine Jacke und besserten es auch nicht.

Eine Stunde später war ich am Hof angekommen. Nichts an mir war mehr trocken und ich fror fürchterlich. Zähne klappernd öffnete ich die Haustür. Eine wohlig warme Wärme empfing mich. Die Tür fiel ins Schloss. Es war still im Haus. Kein Geraschel oder sonst etwas war zu hören. „Jessy!",rief da jemand. Ich drehte mich um. Fred stand besorgt neben mir. „Wo warst du?? Du bist ja ganz nass! Komm zieh dich um setzt dich vors Feuer.",überfiel er mich. Ich nickte stumm. Zog meine Schuhe aus und beeilte mich neue Klamotten anzuziehen.

Fred hatte im Wohnzimmer einen Kamin mit offenen Feuer. Es wärmte mich und schon bald war die Kälte verschwunden. „Wie war es bei Fee?",fragte er ruhig. „Hmm",antwortete ich, „es muss kein studierter Arzt,oder langjähriger Reiter sein um zu sehen,das es ihr immer schlechter geht." Stumm nickte mein Gastgeber. „Ich frage mich täglich ob sie überhaupt noch will. Ist es verantwortungslos von mir,sie noch leben zu lassen?",fragte ich mit leiser Stimme. Ich würde es nicht übers Herz bringen sie einschläfern zu lassen. Sie musste kämpfen. Für mich! Fred begann mit ruhig,fester Stimme mir zu erklären:„Keiner kann sagen ob sie noch will. Das weis wohl nur Fee selbst. Aber du liebst sie. Es ist nicht verantwortungslos von dir sie am Leben zu lassen. Andere hätten nicht bis hier gekämpft. Die meisten hätten sie wohl schon am Anfang einschläfern lassen. Doch du hattest weiter gekämpft. In der Hoffnung sie überlebt. Und diese Hoffnung besteht noch immer. Gib noch nicht auf." Ich starrte ins Feuer. Hoffnung. War es nicht das,was uns alle zerstört? Hoffnung du hast mich zerstört. Hoffen wird überbewertet. Den hoffen kann töten.

Doch Fee,bitte bleib bei mir. Geh nicht weg. Wir kennen uns doch schon so lange. Du warst mein aller erstes Pony. Wie viel Mist hatten wir schon durch gestanden? Ich hoffe das du überlebst. Hoffen zerstört. Bitte Kämpfe. Kämpfen kann nicht zerstören. Bitte Fee!

Black Night-Der Hengst der mein Leben schriebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt