Kapitel 1

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Ivy

Ivy fühlte sich pudelwohl. Die Sonne schien auf ihr Gesicht, erwärmte ihre Haut und ließ die Kälte des Winters weniger hart wirken. Sie war mitten auf der großen Weide, die an einen noch größeren Wald grenzte, in dem sich ihr Rudel immer austobte.

"Ivy, komm ins Haus zurück!", rief ihre Mutter und Ivy grinste. Sie machte sich immer so viele Sorgen um ihre Tochter, auch wenn sie bloß auf der Wiese vor ihrem Haus war. "Ich komme gleich, Mom!"
Sie lauschte, ob ihre Mutter wieder ins Haus zurück gehen würde. Nach einer Weile hörte sie das Quietschen ihrer Holztür. Sie seufzte. Seit drei Jahren war ihre Mutter überfürsorglich, das musste sich ändern, wenn Ivy ihr eigenes Leben führen wollte. Und auch ihre Mutter würde ihr Leben zurück bekommen.

Sie klappte ihr Buch zu, stopfte es zurück in ihre ausgefranste Tasche und verstaute sie hinter ihrem Rücken, damit sie nicht hinunter fallen konnte. Sie machte die Bremse an ihrem Rollstuhl wieder locker und drehte sich in Richtung Hütte und setzte sich in Bewegung.

Der Boden der Wiese war uneben und erschwerte es ihr mit dem Rollstuhl zu fahren, doch sie kam so oft sie konnte auf die Wiese. Dort war sie alleine, dort konnte sie ihren Gedanken nach gehen.

Kurz bevor sie die Hütte erreichte, blieb ihr Rollstuhl mit einem Ruck stehen. Genervt sah sie nach unten, um zu sehen was sie hinderte weiter zu fahren. Sie entdeckte eine Baumwurzel, die sich in ihrem rechten Rad verfangen hatte. Gereizt ruckelte sie an ihrem Rad. Fuhr vorwärts und rückwärts. Doch die Wurzel verfing sich nur noch mehr. Seufzend gab sie auf. "Mom! Kannst du mir helfen?"

Ivy hasste es unselbstständig zu sein. Seit ihrem Unfall brauchte sie bei den kleinsten Dingen Hilfe. Durch die Therapie und der Übung brauchte sie zwar nicht mehr so viel Unterstützung wie am Anfang, doch sie hasste es anderen zur Last zu fallen, nur weil sie an einer Baumwurzel festhängte. Ausgebremst von einer Wurzel. Ivy war wahrlich ein angsteinflössender Gegner.

Aus den Gedanken gerissen von der quietschenden Tür, blickte Ivy hoch. Ihre Mutter kam lächelnd die Verander hinunter und Ivy wurde es ganz warm ums Herz. Ohne sie wäre ich schon längst verloren, dachte sie.
"Mein Rad ist hängen geblieben." Sie deutete auf ihr Problem. "Kannst du die Baumwurzel abreißen, bitte?"
"Natürlich, meine Kleine." Sie beugte sich hinunter und sie spürte ein Ruckeln an ihrem Rollstuhl, als sie die Wurzel ausriss. "Danke, Mom.", murmelte sie, als sie wieder aufrecht stand. Ihre braunen Augen leuchteten vor Freude, als würde Ivy zu helfen ihr einziger Lebensgrund sein. Und Ivy hatte die starke Befürchtung, dass es das war, vor allem nach dem Tod ihres Vaters.

"Bringst du mich rein?", fragte Ivy, weil sie wusste, dass es ihre Mom freuen würde. Sie strahlte. "Klar und dann gibt es Hühnchen mit Reis, eins deiner Lieblingsgerichte.", entgegnete sie und Ivy legte dankbar ihren Kopf auf ihre Hand und rieb sich an ihr, während sie sie die Rampe hoch fuhr.

Sie stellte ihren Stuhl neben dem bereits gedeckten Tisch ab, ließ die Bremse einfahren und verschwand mit einem: "Gleich können wir essen." wieder in der Küche.

Ivy holte währenddessen ihre Tasche hinter ihrem Rücken hervor und legte sie auf den leeren Stuhl neben sich. Wehmütig hielt sie inne. Das war immer der Platz ihres Vaters gewesen. Sie lächelte traurig, als sie daran dachte, wie er sie während des Essens immer geärgert hatte.

Dad hatte sie immer mit dem Ellbogen gestoßen, sodass ihr Essen immer von der Gabel gefallen war. Er tat immer so, als wäre es unabsichtlich gewesen, weil er so muskulös und breit gewesen war. Die gemeinsamen Essen mit ihren Eltern gehörte zu einen ihrer schönsten Kindheitserinnerungen.

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