Kapitel 30

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P.O.V Ju

Kennt ihr das? Wenn für einen kurzen Zeitraum alles perfekt ist und eure Sorgen und Ängste wie ausgelöscht sind? Wenn ihr das Gefühl habt, schwerelos zu sein? Wenn eine einzige Person euer komplettes Leben umkrempelt und alles besser macht? So ist es bei mir gerade. Seit Cheng mich gefragt hat, ob ich mit ihm zusammen sein will, ist alles anders. Wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich wie auf Drogen, total high, als hätte ich gerade den Trip meines Lebens. Versteht mich nicht falsch, ich bin normalerweise kein Mensch der Drogen nimmt. Probiert habe ich es schon mal, ja. Aber nichts Wildes. Ich bin generell eher gegen Drogen, weil sie so unglaublich viel kaputt machen können, wenn man die Kontrolle verliert. Aber mit Liebe ist es ja genauso. Im einen Moment ist alles gut, wie im Rausch. Die Welt ist bunt und schön und man fühlt sich einfach nur wohl. Aber wenn die Wirkung nachlässt, fällt man in ein tiefes Loch. Und dann pumpt man sich noch weiter voll um die Glücksgefühle wieder zu spüren. So rutscht man immer weiter in die Sucht und macht sich abhängig von einem Stoff, oder eben einem Menschen, der einen alles andere vergessen lässt.

Irgendwann realisiert man, wie tief man in dieser Abhängigkeit steckt, doch dann ist es meistens schon zu spät. Körper und Psyche haben sich auf die Dosis eingestellt und funktionieren ohne gar nicht mehr. Man ist unkonzentriert, kann nicht mehr klar denken und sehnt sich nach dem nächsten Trip. Man braucht diesen Höhenflug, um nicht komplett abzustürzen. Man klammert sich daran, wie an einen Rettungsring und denkt sich: „Nur noch ein mal. Dann hör ich auf." Aus einem Mal werden zwei, dann drei und am Ende denkt man nur noch: „Fuck it. Es bringt doch eh nichts, aufzuhören!"

Und irgendwann kommt der Entzug. Der schlimmste Teil. Das was einem die Lebenszeit erleichtert hat, wird einem plötzlich weggenommen. Leere breitet sich aus. Immer weiter und weiter bis man letztendlich gar nichts mehr spürt. Erst ist man verzweifelt, versucht vielleicht noch sich einzureden, dass alles wieder gut wird und ein Leben ohne Drogen auch lebenswert ist. Aber jeder kommt an seine Grenzen. Jeder kommt an den Punkt, wo er realisiert, dass einfach alles scheiße ist. Und man weiß, dass einzig und allein die Drogen schuld daran sind und dass man sich damit das Leben kaputt gemacht hat. Aber trotzdem wünscht man sich nichts sehnlicher, als eine Line zu ziehen, ein paar Pillen zu schlucken oder die Spritze wieder in die Ader zu drücken.

Wie gesagt, ich habe kein Drogenproblem, auch wenn sich das gerade schwer danach anhört. Ich vergleiche nur meine momentane Situation mit der eines Drogenabhängigen. Erst kommt der Höhenflug, dieses wunderschöne Gefühl. Das was ich gerade mit Cheng erlebe. Doch nichts hält für die Ewigkeit. Nicht Gutes und nichts Schlechtes. Auch wenn ich es nicht wahrhaben will, die schöne Zeit mit ihm wird vorbei gehen. Es wird schlechte Zeiten geben und ich bin nicht stark genug dafür. Ich bin nicht ihn der Lage einen Entzug durchzustehen, falls ich Cheng einmal verlieren sollte. Er ist meine Droge und gleichzeitig meine Therapie. Einerseits lässt er mich fliegen, könnte mich aber genauso gut einfach fallen lassen und mich damit schwer verletzen. Andererseits heilt er mich, wie ein Arzt, ein Psychiater. Nur dass er nicht mit weißem Kittel an seinem total ordentlichen Schreibtisch sitzt, mich über mein Leben ausfragt und sich irgendwelche Notizen macht, wie jeder Psychiater bei dem ich bisher war. Nein, Cheng interessiert sich wirklich für mich. Er will mir helfen, aber wie lange kann das gut gehen, wenn ich mir nicht helfen lasse? Ich vertraue ihm, doch meine Angst verletzt zu werden ist einfach zu groß. Wie lange wird er sich das gefallen lassen? Ich sehe es jetzt schon in seinem Blick, er ist enttäuscht, wenn ich mich wegen meinen Gedanken, nicht auf ihn konzentrieren kann und obwohl er immer Verständnis für mich hat, wird er sich auch nicht ewig gedulden, bis ich ihn mal an mich heran lasse, sowohl psychisch als auch körperlich. Cheng ist auch nur ein Mensch und er hat eben seine Bedürfnisse, zu denen auch sexuelle Befriedigung gehört. Aber mehr als Küssen lief bei uns bis jetzt noch nicht und ich habe irgendwie ein schlechtes Gewissen deshalb. Er wäre bestimmt bereit für mehr und auch wenn er sich nie beschwert, glaube ich, dass er schon darauf wartet, dass ich ihn ranlasse. Aber ich kann nicht, selbst wenn ich wollte. Schon allein wegen meinem Körper... Ich fühle mich unwohl in meiner Haut. Zu klein, zu dick, auch wenn Cheng anderer Meinung ist. Ich bin weder zufrieden mit mir, noch selbstbewusst genug, um das zu überspielen. Mein größtes Problem sind jedoch meine Narben. Mein kompletter linker Arm ist zerschnitten und es gibt keine Chance das vor Cheng zu verstecken, falls es irgendwann mal zu „mehr" kommen sollte. Was hab ich da nur wieder angestellt? Ich hätte doch wissen müssen, dass ich so etwas nicht ewig für mich behalten kann. Wir sind jetzt ein Paar, also werden wir früher oder später miteinander schlafen und er wird meine Narben sehen. Ich kann seine Enttäuschung schon fast spüren, wenn ich an den Moment denke, in dem er mir meinen Pulli auszieht und meinen Arm anstarrt. Und auch wenn ich es mir wünschen würde, ich kann diesem Moment nicht ewig davonlaufen.


Broken (Ju x Cheng ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt