Teil 4 der Leseprobe

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„Ähm", hörte ich die Stimme des Jungen. Nervös lächelnd sah er mich an und wischte sich den Regen von der Stirn. „Wie heißt du eigentlich?"

„Ich... ich bin Jasmin", sagte ich stockend.

Jasmin? JASMIN?! Himmel, seit wann stellte ich mich bei süßen Typen mit Jasmin vor? Ich gab mir mental eine Ohrfeige.

„Aber ich werde Jassy genannt", fügte ich noch rasch hinzu, um den Schaden ein wenig zu begrenzen. Naja, eigentlich war es eh schon egal, schließlich hatte er mich heulend im strömenden Regen auf dem Parkplatz aufgegabelt. In seinen Augen hatte ich wohl eh nicht mehr alle Tassen im Schrank.

„Jassy. Schöner Name", sagte er lächelnd. Er streckte mir seine Hand entgegen und sagte: „Ich heiße Joël. Freut mich, dich kennenzulernen, Jassy."

Ich hörte einen ganz leichten Akzent in seiner Stimme, doch mein benebeltes Hirn konnte ihn nicht zuordnen, es war zu sehr damit beschäftigt, meiner Hand den Befehl zu geben, sich auszustrecken und seine Hand zu ergreifen. Ein Kribbeln durchfuhr mich. Viel zu schnell ließ er meine Hand wieder los und fuhr sich abermals durch die nassen Haare.

„Ich will dir ja nicht zu nahetreten, aber wieso tauchst du jetzt hier mitten aus dem Nichts auf unserem Parkplatz auf?" Er lächelte mich an, um seine Worte nicht ganz so urteilend klingen zu lassen.

Ich nahm es ihm nicht übel, dass er mir diese Frage stellte, schließlich würde ich mich das ebenfalls fragen, wenn ich gerade ein weinendes Mädchen draußen vom Asphalt geklaubt hätte.

Ich schluckte. Was sollte ich darauf für eine Antwort geben?

„Weil ich jetzt hier auf die Schule gehe", antwortete ich schulterzuckend.

„Achso."

Ich kannte ihn seit gerade einmal zwei Minuten, da würde ich ihm nicht gleich meine Leidensgeschichte ans Bein binden und erklären, wieso genau ich jetzt mitten unter der Woche hier aufkreuzte.

„Verstehe", sagte er schlicht, auch wenn er das sicher nicht tat.

„Jasmin! Da bist du ja!", ertönte eine bekannte Stimme hinter uns. „Entschuldige bitte, ich musste ein Telefonat entgegennehmen", sagte die Rektorin, die auf uns zugeeilt kam. Sie musterte mich besorgt und sagte: „Ohje, du bist ja ganz nass geworden! Möchtest du dich umziehen gehen?"

Stumm schüttelte ich den Kopf.

„Bist du dir sicher?"

Ich nickte, immer noch schweigend.

„Na gut." Die Rektorin nahm meine Entscheidung so hin, wie ich sie gefällt hatte, und irgendwie fand ich das cool. Sie respektierte die Meinung ihrer Schüler, auch wenn sie sie nicht teilte. „Lass uns in den Speisesaal zum Mittagessen gehen."

Erst jetzt drehte sich Joël zu und fragte ein wenig verwirrt: „Was machst du eigentlich hier, Joël? Und wieso bist du auch so nass wie Jasmin?"

Ich sagte nichts. Ich fühlte mich total ausgelaugt. Dieser Tag war eindeutig zu viel für ein lädiertes Herz, das gerade eben erst herausgefunden hatte, dass es bereit war, sich einigermaßen zu reparieren.

Gott sei Dank musste ich auch überhaupt nichts sagen, denn Joël übernahm das für mich.

„Ich war kurz drüben im Gewächshaus, weil ich nachsehen sollte, ob es wirklich zugesperrt ist, da habe ich sie auf dem Parkplatz entdeckt", erklärte er schulterzuckend.

„Danke, Joël", sagte die Rektorin und nickte zufrieden lächelnd.

Joël nickte der Rektorin zu, sah mich noch ein letztes Mal an und drehte sich dann um und ging davon.

Riptide [LESEPROBE]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt