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"Es waren deine Freunde, man hätte das sicher klären können und die hätten es bestimmt verstanden", versuche ich meinen Freundeskreis zu verteidigen.

Er schüttelt den Kopf und schnaubt verächtlich auf. "Du merkst erst mit der Zeit, wer deine wahren Freunde sind. Erst, wenn es darauf ankommt. Und wie es aussieht, hatte ich nie wahre Freunde."

Stumm sehe ich ihn an und knibbele dabei an meiner Nagelhaut herum.

"Übrigens scheint es bei dir auch der Fall zu sein", provoziert er mich indirekt und trifft damit genau den Punkt, mit dem man mich im Moment am meisten treffen kann.

"Red' dir nicht ein, dass es bei dir nicht so ist. Denn leider sieht die Realität anders aus."

Er klingt verächtlich, bringt mich damit zum aufstehen.

"Ich sollte gehen", murmele ich und laufe durch sein Zimmer.

"Es ist schwer, die Wahrheit zu ertragen."

Ich eile zu meinen Sachen und ziehe mir hektisch meine nasse Jacke an. Colin bleibt in seinem Zimmer und hält es nicht für nötig, mich bis zur Tür zu begleiten oder sich gar zu verabschieden.

"Gehst du schon?", ertönt die Stimme des Kleinen, Caleb, der im Raum direkt neben dem Flur auf dem Sofa sitzt und eine Fernsehsendung anguckt. Ich lächle ihn zaghaft an und nicke.

"War schön, dich kennengelernt zu haben", meine ich und er grinst. Seine beiden vorderen Zähne weisen eine kleine Lücke vor.

"Du kommst uns aber wieder besuchen, ja?"

Ich nicke und versichere ihm, bald wieder zu kommen. Kurz darauf verlasse ich die Wohnung und stürme runter zum Haupteingang.

Der Regen hat glücklicherweise nachgelassen und ich mache mich auf den Weg nach Hause.

Um Zeit zu verplempern, nehme ich mein Handy aus meiner Tasche und scrolle durch meine Nachrichten. Mehrere Anrufe und SMS meiner Mutter werden angezeigt. Seufzend wähle ich ihre Nummer und rufe sie an.

"Adina? Wo zur Hölle bist du?", fragt sie sofort, nachdem sie abhebt.

Ich überlege, ob ich zu einer Notlüge greifen soll, entscheide mich aber dann für die Wahrheit. "Ich habe mich nicht wohl gefühlt in der Schule und bin dann zu einem Klassenkameraden, der ebenfalls nicht in den Stunden war", sage ich und höre sie aufatmen. "Du hast geschwänzt?"

"Ja. Es kommt nicht mehr vor, Mum, versprochen", versichere ich ihr, doch kann es ihr nicht nehmen, mir noch eine kurze Ansage zu halten. Augenrollend lege ich schließlich auf.

Noch während dem Laufen öffne ich noch meine Facebook App und starre überrascht auf die Zahl meiner Benachrichtigungen. Fast fünfzig Stück werden angezeigt. Verwirrt sehe ich sie mir an, während eines mir besonders ins Auge fällt.

'Ray Holton hat sie in einem Beitrag markiert', lese ich und klicke ahnungslos auf die Nachricht. Ein Bild erscheint und ich bleibe wie angewurzelt stehen. Es zeigt einen Hundekörper, ein recht verwahrlostes Tier müsste es sein, doch statt dem eigentlichen Kopf wurde aus einem alten Bild, dass ich damals aus Spaß mit Jade gemacht habe und auf welchem ich eine unglaublich hässliche Fratze ziehe, mein Gesicht rausgeschnitten und in das Bild bearbeitet. Hunde kriegen letztendlich immer das, was sie verdienen, nicht wahr, Adina?

Sprachlos starre ich die Nachricht, die zum Bild hinzugefügt wurde, an. Wie in Trance scrolle ich durch die Kommentare und lese sie. Es sind einige Lachsmileys, ein paar, die fragen, was los sei und Beleidigungen von Leuten, die ich noch nicht einmal kenne, unter ihnen.

Ich konnte sie noch nie leiden, sie wirkt schon so ekelhaft arrogant mit ihrer Überheblichkeit. Da sieht man ja, dass sie mindestens genauso hässlich wie ihr Charakter ist, meint ein Mädchen, dessen Namen ich noch nie gehört habe.

Am meisten schockiert es mich, dass auch Jade ihren Beitrag dazu geleistet hat. Zwar ist es ebenfalls nur ein Lachsmiley, der mich aber mehr verletzt, als ich gedacht hätte. Auch hätte ich niemals gedacht, dass mir so etwas mal passieren würde. Auch, wenn sowas immer in den Medien gezeigt wird und man oft genug von irgendwelchen Vorfällen liest, würde man niemals annehmen, dass es einem selbst passiert.

Wütend tippe ich eine Antwort unter den Beitrag, in dem ich frage, was Ray mit diesem Beitrag bezwecken will und in dem ich ihn auffordere, es zu löschen.

Schon nach kurzer Zeit werden mir Antworten auf meinen Kommentar angezeigt.

Bring mich doch dazu, kommt von Ray und ein weiterer Kumpel von ihm meint, dass ich keine Anforderungen zu stellen habe.

Schockiert starre ich mein Handy an, sehe, wie sich immer mehr Leute gegen mich zusammentun und wie immer mehr Leute den Beitrag sehen und ihren Senf dazu abgeben. Man könnte meinen, dass es sich anfühlt, als würde man einem den Boden unter den Füßen wegziehen, aber es stimmt nicht. Es fühlt sich an, als hätte man nie einen Boden unter den Füßen gehabt und würde jetzt genau endlich unten ankommen und aufprallen.

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Es mag unrealistisch klingen, aber es ist erschreckend, wie oft so eine Situtation tatsächlich vorkommt.

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