1. Kapitel

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Ein trüber Nebel lag an diesem Morgen vor den Toren Winterfells und eine leichte Brise fegte über den Hof, so dass sich die Bäume leicht bogen und einige Blätter über das Gestein tanzten. Ich öffnete die Fensterläden und blickte hinaus. Vereinzelte Sonnenstrahlen fanden den Weg in mein Zimmer und ließen den sonst so kühlen, grauen Raum wärmer und freundlicher wirken.
Ich ging zu meinem Kleiderschrank und holte mir ein grünes Kleid hervor. Der Farbton passte wunderbar zu meinen dunkelbraunen Haaren, wie ich fand, und ich zog es mir an. Ich wusch mich mit dem Wasser aus der Waschschüssel und ging dann hinunter zur Halle, um zu frühstücken. Meine Mutter saß an dem langen Tisch sowie Maester Luwin, Rickon, Arya und Sansa.
»Wo sind Bran, Jon, Robb und Vater an diesem Morgen?«, wollte ich sofort wissen.
»Dir auch einen wunderschönen guten Morgen«, sagte meine Mutter anstelle einer Antwort.
Ich nickte zur Begrüßung und ließ mich zwischen meinen jüngeren Schwestern nieder. Ich war zwei Jahre jünger als Robb und somit das zweitälteste Kind des Hause Starks.
»Mutter meinte, sie werden einen Deserteur hinrichten«, erklärte Arya und bekam daraufhin einen bösen Blick von meiner anderen Schwester, die rechts von mir saß. Sie mochten sich nicht – das taten sie noch nie. Arya war ein stürmisches Kind, verabscheute Kleider und das Nähen und liebte viel mehr das Kämpfen. Und Sansa war das komplette Gegenteil, so dass sie keinerlei Verständnis für meine jüngste Schwester empfand.
»Ist Bran nicht zu jung?«, fragte ich und tat mir Essen auf meinen Teller.
»Er ist zehn«, rief meine Mutter mir sein Alter in Erinnerung. »Euer Vater weiß, was richtig ist.«
Ich erwiderte nichts, sondern aß schweigend mein Frühstück. Danach erhob ich mich und schritt aus der Halle, hinaus auf den Hof. Es war kälter als in den letzten Tagen und so schlang ich meine Arme um meinen Körper.
»Sienna!«, ertönte die Stimme Aryas in meinem Rücken.
Ich wandte mich um und sah in ihr hübsches rundes Gesicht. Ihre dunkelbraune Haare, die sie wie ich von unserem Vater geerbt hatte, waren hinten zu einer Schnecke gedreht. Nur zwei einzelne Strähnen fielen vorne heraus und umrahmten ihr Gesicht.
»Du sollst doch sicher mit Sansa nähen üben, anstatt hier draußen herumzuspringen«, bemerkte ich.
»Ich will nicht!«, rief das Mädchen. Ich wandte mich lächelnd um und lief langsam weiter. »Septa Mordane verlangt von mir, dass ich genauso gut mit der Nadel umgehe wie Sansa. Wenn ich es nicht richtig mache, brüllt sie mich immer an.« Arya folgte mir. »Arya, du bist so ungeschickt wie ein Esel«, äffte meine Schwester Septa Mordane nach, so dass ich zu lachen begann. »Warum kann ich nicht genauso sein wie du?«
»Wie ich?« Verblüfft sah ich sie an.
»Ja, du kannst alles und wirst von jedem respektiert. Du kannst sogar Bogenschießen und niemand beschwert sich darüber!«
»Bei dir beschwert sich auch niemand.«
»Bei mir heißt es, dass eine junge Lady keine Waffen in die Hand nehmen soll. Das ist unangemessen«, korrigierte das Mädchen.
»Arya? Arya, nun komm schon! Deine Schwester wartet bereits auf dich.« Wir wandten uns um und sahen die Septa, die mit einem finsteren Blick mit den Armen wedelte. »Arya?«
»Geh schon, bevor es Ärger gibt.« Ich gab meiner Schwester einen Schubs und sie rannte mit einem grimmigen Gesichtsausdruck davon.
Noch eine Weile lief ich durch Winterfell. Ich liebte es, den Menschen bei der Arbeit zuzusehen. Zu sehen wie der Waffenschmied Mikken aus einem einfachen Stück Stahl ein wunderbares, kampftaugliches Schwert schmiedete. Zu sehen wie Hullen, der Stallmeister, sich um die Pferde kümmerte, und jedes Mal, wenn ich ihn sah, erinnerte ich mich, wie ich einst bei ihm das Reiten gelernt hatte.
Farlen, der Hundeführer Winterfells, fütterte jeden Morgen die Hunde, und ab und an half ich ihm dabei. Dann gab es noch Joseth, den Stallknecht und Zureiter. Jeden Morgen, wenn er mich sah, überreichte er mir einen winzigen Strauß mit Blumen. Eine freundliche Geste ohne wirklichen Hintergrund – zumindest kannte ich keinen. Hodor, der riesige Stallbursche und Urenkel der Alten Nan. Der Riese konnte nicht sprechen, niemand wusste, warum. Das einzige, was er stets sagte, war »Hodor«. Seine Urgroßmutter, die Alte Nan, war als Geschichtenerzählerin in Winterfell bekannt. Sie erzählte immer meinen jüngeren Geschwistern vor dem Einschlafen alte Sagen, Legenden und längst vergessene Geschichten über Westeros – ob irgendetwas davon der Wahrheit entsprach, war unklar.
Während meines morgendlichen Spaziergangs vergaß ich immer wieder die Zeit. Auf einmal erklang Hufgetrappel und mein Vater erschien mit meinen Brüdern, Jory Cassel und einigen anderen Männern der Garde meines Vaters auf dem Hof. Eddard Stark stieg von seinem Ross, als Joseth herbeigerannt und die Zügel seines Pferdes ergriffen hatte. In dem Gesicht meines Vaters erkannte ich Härte, doch sobald er mich sah, blickte er freundlich.
»Sienna, du bist schon wach?«
»Es ist bereits Mittag, Vater«, erinnerte ich lächelnd. Ich trat ihm entgegen. »Was war es dieses Mal?«
»Ich denke nicht, dass ich mit dir darüber sprechen sollte«, meinte der Lord Winterfells schwach lächelnd. »Sag deiner Mutter, dass ich im Götterhain bin.«
Ich nickte und er schritt davon. Da vernahm ich ein leises Fiepen. Es hörte sich an wie ein Hund und es sah auch zuerst aus wie einer, als Jon mit dem Tier auf dem Arm zu mir kam, doch beim genaueren Hinsehen erkannte ich, dass es ein Wolfsjunges war.
»Jon, was soll das?«, verlangte ich sofort zu wissen.
»Der ist für dich«, meinte mein Halbbruder, der Bastard meines Vaters.
»Für mich?«
Ohne zu antworten, übergab Jon mir den schneeweißen Welpen und ich drückte ihn verblüfft an meine Brust.
»Wir haben die Schattenwolfsmutter tot aufgefunden.«
»Ein Schattenwolf?«, fragte ich überrascht. »Aber die wurden schon seit Jahren nicht mehr gesehen.«
»Wir wollen die sieben Welpen behalten. Vater erlaubt es, sofern wir uns um sie kümmern und sie abrichten«, erklärte Robb, der sich nun neben Jon stellte, ohne auf meine Aussage einzugehen.
Ich hob verblüfft eine Augenbraue. »Ihr habt auch einen?«
Sie nickten.
»Sienna, wo ist dein Vater?«, erklang auf einmal die Stimme meiner Mutter und ich wandte mich ihr zu. Als sie den Wolf in meinen Armen sah, weiteten sich ihre Augen vor Schreck. »Woher hast du den Schattenwolf?«
»Vater hat sie uns geschenkt«, antwortete Bran, der mittlerweile von Tänzerin, seinem Pony, gestiegen war. »Sie gehören uns!«
»Er ist im Götterhain«, erklärte ich, bevor meine Mutter etwas erwidern konnte. »Er wartet auf dich.« Sie nickte nur und verließ uns eiligen Schrittes.
»Deiner sieht aus wie Schnees, nur hat er keine roten Augen«, meinte Theon Graufreud, das Mündel meines Vaters, doch ich ignorierte ihn, wie so oft - ich mochte ihn nicht.
»Wie nennst du ihn, Sienna?« Bran deutete auf meinen Wolf.
»Es ist ein Weibchen«, fügte Robb hinzu.
Ich überlegte kurz. »Ylenia«, sagte ich irgendwann. »Ihr Name ist Ylenia.«

Winter is coming || Game of Thrones Staffel 1-2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt