- Kapitel 3 -

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June saß dort, am Esstisch mit ihren Eltern, wie in Trance. Die Worte sickerten nur langsam zu ihr durch. Was erst nur Wortfetzen waren, setzte sich Stück für Stück zu ganzen Sätzen zusammen. Umziehen. Nach Rostock. Das musste sie erst einmal verdauen.

Als sie langsam wieder zurück in die Realität fand, merkte sie, dass sie aufgehört hatte zu kauen. Sie schluckte den Breiklumpen hinunter und regte sich nicht.

Nach und nach merkte sie, wie sie die Wut packt. Sie sprang auf und schrie: „ICH HASSE EUCH! WIE KÖNNT IHR MIR DAS ANTUN! ICH WILL NICHT NACH ROSTOCK!" June donnerte ihre geballte Faust auf den Küchentisch, sodass sie ihr Besteck und der Teller ein paar Millimeter von Tisch erhoben. Es klirrte und ihr Besteck war auf den Boden gefallen. Doch das ignorierte sie und anstatt es aufzuheben stapfte sie trampelnd in ihr Zimmer und knallte die Tür zu. Mit dem Schließen der Tür kam die Trauer und es bildete sich ein dicker Kloß in ihrem Hals. Zunächst langsam, kullerte eine dicke Träne nach der anderen ihre Wangen hinunter, bis sie schließlich ihre Lippen, bzw. ihr Kinn erreicht haben. Es fühlte sich an, als würde jemand ihr Herz nehmen und durch einen Reißwolf schicken. In 1.000.000 kleinste Teilchen war es zersprungen. Wie würde es jetzt weitergehen? Was war mit ihren Freunden und vor Allem Mon Coer?

Fragen über Fragen und keine Antworten. June war wütend. Warum ausgerechnet sie? Am liebsten hätte sie einfach nur geschrien. Einmal laut die ganze Wut rausschreien. Es fühlt sich an, als wäre ihr Brustkorb zugeschnürt. Ihre Wut brodelte in ihr. Sie legte sich in ihrem Bett auf ihren Bauch und schrie und ihr Kissen hinein. „Das tat gut!", sagte sie erleichtert und atmete tief ein. Endlich war in ihrem Brustkorb wieder Platz für Luft. Doch mit dem Verschwinden der Wut fing sie wieder an zu weinen. Blind griff sie nach dem Telefon und wählte die Nummer ihrer besten Freundin.

Einatmen – ausatmen – einatmen – ausatmen – ein... „Hi June! Na was gibt es?", unterbrach sie die fröhliche Stimme am anderen Ende der Leitung. „Wir ziehen um." Man konnte durch die Leitung spüren, wie sich die gute Laune von Emily in Fassungslosigkeit verwandelte. „Ist das dein ernst?", fragte sie vorsichtig.

„Glaub mir Em, ich mache damit keinen Witz. Nächsten Monat bin ich weg."
„Nächsten Monat schon? Das ist doch schon in 3 Wochen... Wo zieht ihr denn überhaupt hin und warum?"
„Ich weiß. Nach Rostock. Mama hat dort einen neuen Job gefunden und auch mein Vater kann da wieder anfangen zu arbeiten."
„Ach du je... Das sind doch bestimmt mindestens 2 Autostunden, oder?"
„Ja, ungefähr. Je nachdem, wie man durchkommt."
„Kannst du Mon Coer mitnehmen?", fragte Emily.
„Wenn ich das nur wüsste. Aber ich glaube, bzw. hoffe, dass meine Eltern mir erlauben sie mitzunehmen. Sie wissen, wie viel mir meine Mon Coer bedeutet."
„Das stimmt. Du, ich muss jetzt los. Ich treffe mich nachher noch mit Josh."
„Jaja, schon gut, viel Spaß euch zwei Turteltäubchen.", sagte June mit einem kleinen Lächeln im Gesicht und legte auf.

Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht einmal neu anzufangen. In einem Jahr würde sie alleine Autofahren können und bis dahin besucht sie ihre Freunde am Wochenende mit dem Zug oder sie Skypen. Im Zeitalter des Internets ist das Kontakthalten eines der leichtesten Übungen.

Zumindest musste sie das, was ihr in Hamburg mit am wichtigsten war, nicht aufgeben. Die Nähe zum Wasser. Und in Rostock hat sie sogar richtigen Strand. Ob sie dort direkt am Strand wohnen würden? In einem Haus oder in einer Wohnung? Meerblick wäre toll. Wie die Leute da wohl so sind. Ob sie neue Freunde finden würde? Oder vielleicht sogar endlich einen Freund? Ob man dort mit Pferden an den Strand dürfte?

June hat sich vorgenommen, sich gleich morgen bei ihren Eltern zu entschuldigen und ihre Fragen beantworten zu lassen. Sie ging ins Bad und wusch die Salzreste ihrer vergossenen Tränen aus ihrem Gesicht, putzte Zähne und legte sich in ihr Bett. „Weinen macht müde...", dachte sie und schlief kurz darauf ein.

Der Weg zum Licht [***Abgeschlossen***]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt