Kapitel 1 - Hässliches Entlein

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Ich weiß echt nicht, ob ich einfach nur starke Probleme habe, oder meine Oma bloß mit den Augen einer fürsorgenden Frau spricht. Ich hechte jetzt schon seit heute Nachmittag zwischen Bad, Kleiderschrank, Bett und meinem Wandspiegel hin und her um mich fertig zu machen. Mein ganzer Kleiderschrank liegt auf meinem Bett und dem Boden davor zerstreut. Normalerweise würde ich dafür Ärger kriegen, aber heute sagt niemand etwas, weil sie wissen, wie gestresst ich sowieso schon bin. Mein Vater hat sich sofort hinter dem Fernseher verschanzt, um sich vor meinem Wahnsinn zu flüchten.

Ich betrachte mein nun gefühlt tausendstes Outfit und runzle die Stirn. Bestimmt krieg ich von dem Stirnrunzeln langsam Falten. Fast alles was halbwegs schick aussieht, habe ich schon in verschiedenen Varianten miteinander kombiniert und bin nun fast am Ende meiner Nerven. Ich könnte heulen. Keine Ahnung wieso ich so ausraste, wegen einer Party, auf der meine Anwesenheit wahrscheinlich nicht mal ansatzweise die Aufmerksamkeit der Leute erregen würde. Da werden Mädchen wie Tessa Richard, Nicole Anderson und Emily Thompson sein, die allein schon die gierigen Blicke der Jungs und der neidenden der Mädchen auf sich ziehen. Wieso sollte da jemand auf mich achten? Mein Verstand spricht wahre Worte, jedoch will diese Stimme in mir keine Ruhe geben, die unbedingt perfekt aussehen will.

„Schatz es sieht wirklich gut aus. Jeansröcke sind immer modisch, die Strumpfhose lässt deine Beine in dieser Kombination länger wirken und dieses Top rundet alles ab. Fehlt nur noch ein Hauch Schminke um deine schönen Augen zu betonen und fertig." , sagt sie ganz entschieden und betrachtet mich lächelnd. Seit meine Mutter abgehauen ist, als ich elf war, lebt Oma bei uns. Sie hat sich immer schon mit meinem Vater verstanden und ist ein wahrer Engel. Ich weiß nicht, ob sie sich für ihre Tochter schämt und sich meinem Vater schuldig fühlt, aber sie sagt immer, ich sei ihr erstes Enkelkind und das ich einfach einen ganz anderen Platz in ihrem Herzen habe. Deshalb hätte sie mich und ihren Schwiegersohn, niemals allein lassen können. Sie behandelt uns beide wirklich wie ihre Kinder. Kann manchmal echt verrückt sein, wenn ich mitkriege, wie sie meinen Vater wie einen frechen Bengel zurechtstutzt.

„Ich weiß nicht. Sieht mein Bauch nicht von der Sei-...", mitten im Satz klingelt es unten. Ich renne sofort an meiner Oma vorbei in den Flur zur Treppe, weil ich weiß, wer es ist. Die Person, die mir das hier eingebrockt hat.

„ Ich mach schon auf Dad", rufe ich meinem Vater beim Laufen zu. Was er mit einem Brummen kommentiert. Ich höre wie er den Fernseher wieder aufdreht, als ich schon an der Tür ankomme und sie hektisch aufreiße.

„Du!", deute ich auf meine beste Freundin Ellie, die mich mit großen Augen ansieht. Mir muss wohl mein Ärger im Gesicht geschrieben stehen.

„Du hast mir diese blöde Party eingebrockt und wirst mir jetzt sofort dabei helfen, mich fertig zu machen, weil ich total am Ende meiner Nerven bin und...Ellie?! Was hast du denn da an?"

„Was?..." ,sie schaut hektisch an sich herunter. „Wieso, was ist denn?"

„Ellie du siehst heiß aus, meine Güte!" Mein Mund steht offen und ich mustere sie noch einmal von oben bis unten. Sie trägt eine hautenge Jeans, was ihre langen Beine betont, eine cremefarbene oversized Bluse mit V-Ausschnitt, und braune Boots mit Absätzen – als wäre sie nicht schon groß genug mit ihren ein Meter sechsundsiebzig. Ich schnaube frustriert, packe sie am Arm und ziehe sie ins Haus.

Meine Oma läuft vor sich hin grinsend an uns vorbei, als ich Ellie mit mir die Treppen rauf in mein Zimmer ziehe.

Ich schiebe sie hinein und schließe hinter uns die Tür. Die beiden wissen zwar, dass es die Geburtstagsparty von Nicole ist, aber die pikanten Details müssen sie ja nicht mitbekommen.

„Lexie verdammt! Was ist denn mit dir los?"

Ich drehe mich – hoffentlich, mit einem vernichtenden Blick – zu ihr um. Sie runzelt die Stirn, was meine innere Teufelin grinsen lässt.

„Meinen ganzen freien Samstag, bin ich dabei, mich verrückt zu machen. Man fragt sich wieso? Und nein, es liegt nicht daran, dass ich mich freue. Es liegt daran, dass du mich zwingst, zu einer Party zu gehen, mit Menschen, die über Make-up und die neueste Mode reden, als ginge es um Frauenrechte in Saudi-Arabien! Man hätte annehmen können, dass du mir wenigstens zur Hilfe eilst, aber nein! Du musst arbeiten! Jetzt kommst du daher, mit deiner Model-Figur und diesem heißen Outfit und erwartest, dass ich gelassen bleibe! Ich- ."

Mitten in meiner Befrei-dich-von-deiner-Frust – Rede, fing meine verräterische beste Freundin an zu lachen. Sie krümmt sich vor lachen und schüttelt ihren Kopf, als könne sie das hier nicht wahrhaben.

Ich verschränke die Arme vor meiner Brust, und schaue sie durch schmalen Augen abschätzend an. Ich versuche standhaft zu bleiben, weil ich selbst langsam bemerke, wie absurd mein Verhalten eigentlich ist. Meine Mundwinkel zucken. Ich kichere kurz in mich hinein und setzte daraufhin eine gespielt verärgerte Miene auf.

Ha ha. Ja genau, lach du nur mit deinen blonden Engelslöckchen und diesen endlosen Beinen, verpackt in skinny Jeans...Pf.", sage ich etwas harscher als beabsichtigt. All diese Mühe wofür? Ich will doch sowieso niemandem gefallen.

Ich laufe an ihr vorbei und lasse mich auf mein Bett plumpsen. Obwohl ich grad noch etwas humorvollen Gemütes war, bin ich nun wieder verstimmt. Ich hasse Stress! Ich kann es nicht leiden! Ich bin keines dieser Mädchen, welches jeden Morgen um fünf Uhr früh aufsteht, um sich einer Beauty-Session zu unterziehen, nur für die Schule. Jetzt fühl ich mich irgendwie wie eine Heuchlerin, weil ich wegen so einer bescheuerten Geburtstagsparty, von einem dieser hirnverbrannten "Coolen-Kids" der Schule, das Gefühl habe, gut aussehen zu müssen - obwohl ich da so interessant wäre wie eine Wand-Deko.

Ich höre, wie Ellie einen tiefen Seufzer austößt und sich auf meinen Sessel fallen lässt. 

"Ok Lexie, ich kenne dich. Dir ist es eigentlich total egal, was diese Leute über dich denken. Wieso machst du dir wegen dieser Party jetzt so viel Stress?", fragte sie mich ernst.

Wenn ich das nur wüsste...

"Ich war noch nie wirklich auf einer Party und ich wollte mich halt in Schale werfen, denke ich. Ach, keine Ahnung Ellie. Ich hab sowieso keine Lust. Können wir nich einfach einem Film gucken und dabei Ben&Gerrys essen?", ich klang nicht wirklich hoffnungsvoll, da ich wusste, dass sie ihre neue Flamme Kaden niemals versetzen würde und mich bei sich brauchte. Ich war ihre moralische Unterstützung. Hmpf.

"Nein. Du weißt, wie lange ich schon auf Kaden stehe. Jetzt hat er endlich mal gemerkt, dass ich existiere und ein weibliches Wesen mit Reizen bin, da will ich meine Chance nicht verpassen. Er hat mich eingeladen und er sagte, ich darf jemanden mitnehmen. Ist doch klar, dass du mitkommen musst. Ohne dich würde ich sowieso nicht auf eine Party gehen.", sie seufzte wieder. "Bitte, Lexie. Ich bin ja jetzt da, ich helfe dir."

Ich schließe kurz meine Augen, um mich etwas zu entspannen. Mein Kopf tut vom ganzen Stress wieder weh, aber ich will keine Tabletten nehmen.

Ich erinnere mich an die Regeln vom Yoga : Tief entspannen. Spüre deinen Köper. Spüre deinen Atem, wie sich deine Lungen mit Luft füllen und sie wieder ausstoßen. Atme ruhig ein und aus. Befreie dich von deinen Gedanken. Höre auf deinen Körper und befehle ihm, sich zu entspannen. Atme weiter. Ein. Aus. Nun strecke dich und öffne die Augen.

Das hat gut getan. Früher brauchte ich viel länger, aber nach zwei Jahren, brauch ich mich nur zu Konzentrieren und kann meinen Körper innerhalb von wenigen Minuten entspannen. Der Schmerz ist jetzt gedämpft. Ich bin nun bereit.  Auf in die Schlacht!

"Ok, gut. Na dann zeig mal, was du drauf hast, Fräulein. Mach aus diesem hässlichen Entlein einen Schwan. "







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