Eine emotionale Taubheit ist schwer zu umschreiben.
Es fühlt sich an, als wäre man in Watte gepackt. Man reagiert schwach, alles kommt gedämpft an. Ein kleines Lächeln, knappes Lachen, ein kurzer verächtlicher Blick, mehr ist es nicht mehr. Die Taubheit lähmt ein wenig, man ist ungern hektisch, spricht langsam und manchmal da stehe ich vor dem Spiegel, um ihn anzustarren, um mich anzustarren.
Vorsichtig berührten meine Fingerspitzen das Glas. Ich spürte die kälte, die davon ausging und zuckte weg. Ich hatte schon wieder regungslos davor gestanden, mich selbst gemustert. Mal wieder jede einzelne kleinigkeit verflucht, jede Locke verwünscht, jeden noch so winzigen Makel ausfindig gemacht.
Vermutlich war ich schon viel zu spät dran.
Von meinen dunkelbraunen Haaren tropfte noch Wasser und von da aus direkt auf meine Nase. Ich wischte ihn weg. Ein dünner Film lag auf meinen Sommersprossen.
Kopfschüttelnd verließ ich das Badezimmer.
Die Taubheit wird erst dann schlimm, wenn du sie bemerkst, wenn du merkst wie sie dich einsperrt. Anfangs redet man sich ein, sie wäre ein Schutz vor allem Schlechten, aber irgendwann will man nurnoch ausbrechen. In seinen stillen Momenten hört man sich dann endlich selbst, die Schreie, die Verzweiflung, die Sehnsucht nach Leben... Liebe.
Es ist so fatal, wenn das Herz beginnt für jemanden zu schlagen. Dieses Verlangen ist unbezwingbar, wenn es denn echt ist und wird es nicht erfüllt, so fühlt man den Schmerz... der Damm beginnt zu brechen.
Staut man etwas an, so kommt es irgendwann geballt auf einen zu und diese Flut an tausend Emotionen konnte ich nicht auf meinen Schultern tragen. Nicht jetzt. Nicht zu meinem Neuanfang.
Ich saß neben Chris und versuchte es zu ubterdrücken - den Schwall an geballten Emotionen. Wir redeten nicht, das war seit gestern so, seit ich so nachdenklich geworden war.
Kaum war ich hier, hatte einen guten start, schon lief alles wieder den Bach runter.
Ich seuftzte, den Blick gesenkt, was ich im nächsten Moment auch schon bereute. Chris wurde auf mich aufmerksam und sah mich besorgt an.
"Page, was ist los? Sag doch bitte endlich was!" Seine Stimme war gerade so laut, dass nur ich ihn hörte.
"Ich bin okay. Okay? Es ist nur etwas kompliziert", antwortete ich verzweifelt und vielleicht auch etwas wütend, doch immernoch ruhig.
"Was, sag mir, was ist kopliziert?" Er stammelte etwas hilflos herum, wie er es immer tat, wenn er nicht genau wusste, was er tun sollte.
Ich sah ihn an, versuchte mich an einem schmalen Lächeln. "Du machst dir zu viele Sorgen über die falschen Dinge." Kaum war der Satz zuende gesprochen, schon hielt der Bus und ich stieg aus. Chris war noch etwas verwirrt, weshalb er wohl noch einen Moment sitzen blieb.
Auf dem Weg zum Informatikkurs fing er mich ab. Die Flure waren bereits wie leer gefegt.
"Wieso benimmst du dich so seltsam?"
"Ich benehme mich nicht seltsam!", immer mehr Wut sickerte duch die Verzweiflung.
"Doch! Page, egal was es ist, rede mit mir. Bitte!" Er flehte bereits.
"Chris bitte... Hör auf. Ich will nicht... Nicht jetzt... Nicht hier... Bitte." Tränen sammelten sich, doch ich konnte sie noch zurückhalten und er begriff, dass es nicht der rechte Zeitpunkt war.
"Wir reden später?", hakte er nach.
"Chris ich weiß nicht. Verdammt!" Nervös und mit angestrengtem Gesicht fuhr ich mir durch die Haare.
"Hey! Fahr ihn nicht so an!" Plötzlich kam Ashley dazu.
"Ganz ruhig Ash, es ist okay."
"Sie soll dich einfach nicht so anpöbeln"
"Ashley bitte...", murnelte ich, noch immer die Augen verschlossen und die Finger in den Haaren verhakt.
"Nichts Ashley bitte. Lass einfach gut sein."
"Ash", Chris hob die Stimme, er wurde wütend, "lass du bitte einfach gut sein. Du weißt gar nicht, worum es geht!"
"Bitte was?", fragte sie aufgebracht.
Ich ging einfach. Bevor ich um die Ecke verschwand hörte ich, wie Chris versuchte mir hinterher zu rufen, bevor er anfing wieder mit Ashley zu diskutieren. Währenddessen suchte ich mir einen stillen Ort - der leere Innenhof war geradezu perfekt. Ich schmiss meinen Rucksack auf den Boden und sank an einem Baum hinunter. Meinen Kopf ließ ich gegen den Stamm fallen. Ich sah durch das Geäst, es hingen kaum mehr Blätter daran.
Mein Kopf war leergefegt und voll zugleich, es bereitete mir Kopfschmerzen, wie die Gedanken herumwirbelten. Migräneartige Schmerzen überkamen mich. Ich hatte keine Lust mehr - auf gar nichts.
Es gab Momente, in denen ich glaubte, mein Leben würde an diesem sagenumwobenen, seidenen Faden hängen und ich müsste bloß noch loslassen. Ich wünschte ich könnte loslassen - bloß für einen Moment.
Ich versuchte es.
Tränen flossen über meine Wangen, meine Atmung ging flach und schnell, alles fühlte sich schwer an, als würde ich erdrückt. Ich konnte mich nicht zusammenreißen, nicht alleine aufstehen.
Es war nicht das erste Mal.
Ich hatte soetwas schoneinmal erlebt. Es war im Sommer, es war heiß, ich war gestresst und überfordert - unter Druck gestellt worden. Sie hatten gesagt, es wäre ein Hitzestich gewesen, ich hätte nicht genug getrunken, wäre wohl zu viel in der Sonne gewesen - doch ich hatte bereits zweieinhalb Liter getrunken, ich erinnerte mich, und hatte drinnen gesessen, im Klassenzimmer. Das war kein Hitzestich - es war ein Zusammenbruch.
"O gott, Page, was ist los?!" Chris... Er hatte mich gefunden... aber ich antwortete ihm nicht. Ich hatte nicht die Kraft dazu.
Das nächste, an was ich mich erinnerte, war, dass ich im Schulkrankenzimmer aufgewacht war. Ich wiederholte die Geschehnisse vor meinem inneren Auge.
Ich hatte mit Chris geredet.
Ashley kam dazu.
Sie dachte, ich würde ihn anpampen, also hat sie mich angepampt.
Ich hatte keine Lust darauf und bin abgehauen - einfach weggestürmt.
Dann erinnerte ich mich an Tränen, den Innenhof und Chris... Er... hatte mich hergetragen.
Ich fühlte, wie kalte, stumme Tränen meine Wangen hinunter flossen und wie etwas schwer auf meinen Lungen zu liegen schien - ich atmete flach, hektisch zugleich.
Die Interaktion mit Menschen ließ mich jedes Mal spüren, wie sinnlos vergeudet mein Leben doch war. Es war Gewohnheit, dass ich das Ersatzteil spielte. Man redete nur dann mit mir, wenn gerade niemand da war, der besser, cooler, interessanter war.
People empty me.
Und jetzt? Jetzt war da auf einmal irgendwer, der villeicht bloß so tat, als wäre ich von Bedeutung. Es fühlte sich an wie ein Scherz, eine riesen große Verschwörung. Ein Prank. Es war so surreal. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich jemand um mich sorgte.
Unworthy. Nicht wert.
Uninspiring. Uninteressant.
Unloved. Ungeliebt.
Ich wollte aufstehen, aber alles fühlte sich schwer an. Flüssigkeit tropfte in meinen Arm. Vermutlich war es einfach Wasser. Vermutlich hatten sie wieder an irgendeinen Hitzschlag gedacht - was aber vollkommen sinnfrei war, schließlich kam ich aus Louisiana. Ich war deutlich wärmere Tage gewohnt. Es war wohl schon wieder ein Nervenzusammenbruch, Blackout. Wenn das nun häufiger passierte, musste ich wohl in dauerhafte Psychatrische betreung. Das hatte zumindest der Psychater gemeint, der mich nach meinem ersten Blackout untersuchte.
Chris kam zusammen mit der Schwester ins Zimmer, sie waren noch am reden, aber ich hörte nicht zu.
"Page, sie dürfen gehen."
Die Schulschwester entnahm die Nadel aus meinem Arm, bevor ich mich langsam vom Bett hievte. Einen kurzen Moment lang drehte sich die Welt zu schnell und mir wurde wieder kurz schwarz vor Augen.
Stumm verließ ich das Zimmer.
Ich redete an diesem Tag nicht mehr - mit niemandem. Wenn Chris es versuchte, schüttelte ich bloß den Kopf.
Ich wollte nichtmehr reden. Am besten Nie wieder.
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Until I met him - Until Dawn - Chris ; Josh
FanfictionPage ist ein relativ normales Mädchen, das mit so ziemlich allem gleich gut umgeht. Auch der Umzug macht ihr nicht viel aus: neue Stadt, neues Haus, neue Schule. Das ist zumindest ihre ansicht. Doch eines dreht die Welt der Highschool Schülerin auf...
