Das Paradies

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Ich weiß nicht, wie ihr euch das Paradies vorstellt, aber für mich würde es vielleicht so aussehen;

Als ich meine Augen öffnete, wusste ich zuerst nicht, wo ich war. Vorsichtig hob ich meinen Kopf und sah mich um. Doch um mich herum waren nur graue Felsen. Verwirrt stand ich vom Boden auf und drehte mich im Kreis. Wo war ich nur gelandet? Ich versuchte, mich an irgendetwas zu erinnern, doch alle Gedanken waren wie siedendes Wasser aus meinem Kopf geronnen. Ich schlug meine Hände vor die Augen, doch da war nichts. Nichts.
Nicht einmal an meinen Namen, geschweige denn mein Alter konnte ich mich erinnern!
Verzweifelt begann ich zu schreien, in meinem steinernen Gefängnis zu rufen, rannte mit Tränen in den Augen zwischen den grauen, kalten Steinen herum, doch nirgendwo war ein Ausweg zu sehen.
Hoffnungslos sank ich auf die Knie und begann zu schluchzen. Die Tränen, die sich von meinen Wimpern lösten, kullerten meine Wangen hinunter und fielen auf die Erde. Ich starrte zu Boden. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich ein weißes, dünnes Kleid trug, das mir bis zu den Knien reichte. Ich ließ den Stoff durch meine Hände gleiten, er fühlte sich an wie seidenes Gold. Erstaunt zog ich meine Hand zurück.
Plötzlich durchfuhr mich ein Gedanke, ein Satz, der sich in meinem Kopf wie eine rasende Explosion verbreitete und mein ganzes Denken unter sich begrub: Was, wenn das nicht das Ende, sondern erst der Anfang war?
Die Worte hallten in meinem Kopf wieder, bis sie wie ein Chor in mir dröhnten und mich vollends einnahmen. Ich schloss die Augen und versuchte der Gedanken Herr zu werden, doch sie nahmen mich in ihren Bann und umwoben mich wie ein warmes, sicheres Netz aus Seide. Da tauchte plötzlich etwas vor meinem inneren Auge auf. Zuerst war es unscharf, wie als würde es durch tiefes Wasser schimmern, doch dann wurde es schärfer, kam näher...
und ich sah ein Seil vor meinem inneren Auge. Wie in Trance steckte ich meine Hände danach aus, versuchte es zu fassen. Als meine Hände die rauen Fasern berührten, stockte mir fast der Atem. War dieses Seil nicht nur ein Gedanke, eine Vorstellung von mir? Doch kaum hatte ich dies gedacht, wurde ich auch schon emporgehoben. Erschreckt klammerte ich mich an das Tau, doch ich spürte, dass eine andere Kraft mich nach oben zog, als die des Seils. Plötzlich spürte ich wunderbare Wärme auf meiner Haut. Ich riss die Augen auf und hielt den Atem an. Der Anblick war überwältigend.
Erst nach mehreren Sekunden realisierte ich, dass es nicht ein Tau war, das mich in der Luft hielt, sondern allein meine Gedanken mich zum Fliegen brachten.
Und die Landschaft, über die ich flog, ließ mein Herz vor Begeisterung Luftsprünge vollführen. Unter mir sah ich noch die Felsklüfte der Schlucht, in der ich gefangen gewesen war, doch vor mir war das Schönste, was ich je in meinem Leben gesehen hatte. Eine riesige, golden glühende Sonne wärmte meinen Körper und meine Seele und ließ mich alle Angst vergessen. Neben mir rauschte ein Wasserfall mit klarem, glitzerndem Wasser hinab ins Tal, wo er zusammen mit einem breiten Fluss in einen See mündete. Der Fluss legte sich wie ein blau schillerndes Band über die Landschaft und all die Wälder, die um ihn herum wuchsen, wurden von der Sonne mit güldenem Licht bestrahlt. Im Osten erstreckten sich große, schroffe Berge in weiter Ferne, deren Spitzen in Wolken gehüllt waren. Dort, von den hohen Felsen her, vernahm ich leise, zarte Musik. Sie klang wie von Harfen gespielt, doch ihre Perfektion war unbeschreiblich. Nur die gelegentlichen Rufe der Vögel, die mit mir den Himmel überquerten, unterbrachen für kurze Zeit mit ihren Rufen die Melodie.
Ich schloss die Augen und genoss all das um mich herum. Ein unbeschreibliches Gefühl des Glücks umging mich und all meine Sorgen waren wie weggeblasen. Ich wusste nicht, wo ich war, doch es war so wunderschön und vollkommen, dass ich nie wieder von hier weggehen wollte...
Ich hatte das Paradies gefunden.

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