Kapitel 14

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Ein Schrei erklang hinter uns, lächerlich schrill und abgewürgt wie in einem billigen Slasherfilm. Wenn vor uns kein toter Schüler baumeln würde, hätte ich wohl darüber gelacht, dass Avna dazu imstande war. In unserer derzeitigen Situation wandte ich mich stumm um und begegnete ihrem verängstigten Blick mit Verständnis. Ich konnte nicht sprechen, denn meine Zunge schien sich in einen tonnenschweren Felsen verwandelt zu haben.

„Was ist passiert?", hauchte Avna, die Augen weit aufgerissen. Sie hatte einige Meter hinter mir angehalten und machte keine Anstalten näherzutreten.

Ich spürte einen leichten Luftzug, bevor ich bemerkte, dass Arden an mir vorbei nach draußen gerannt war. Die Bewegung hatte die Haare des Toten aufgewirbelt und ich kämpfte mit meinem Magen.

„Oh mein Gott, Erys. Was ist hier los? Ist er ... ist er-"

„Er ist tot." Meine Zunge hatte sich endlich gelöst und sprach zögernd die Worte aus, die ich ihr befahl. Mein Magen hingegen fuhr Achterbahn. „Denke ich."

Avna sank langsam auf das Sofa, neben dem sie angehalten hatte, während ihre Gesichtsfarbe sich der des leblosen Studenten annäherte. Ich verspürte den Impuls zu ihr zu gehen und sie zu beruhigen, aber meine Füße wollten sich nicht bewegen. Wie angewurzelt stand ich wenige Schritte vor der Tür, unfähig die Szene vor mir zu verarbeiten.

Wer war er gewesen? Wieso hatte man ihn hierhergebracht? Sein Gesicht blieb mir fremd, gleich wie lange ich nach bekannten Merkmalen suchte.

„Wer ist das?", platzte Avna mit den Worte heraus, die ich gedacht hatte. „Was machen wir nur mit ihm?"

Ich konnte ihr keine Antworten bieten, also blieb ich stumm.

„Wir müssen jemanden holen." Die Stimme der Feueralbin zitterte leicht. „Er kann doch nicht einfach so vor unserer Tür hängen ... Erys, was machen wir nur?"

Das Flackern ihrer Stimme brachte mich dazu, das letzte bisschen Ruhe zusammenkratzen, das sich in mir finden ließ, und ich begann nachzudenken. Arden war zwar hinausgelaufen, aber er war wohl kaum auf dem Weg zum Vorstand, sondern auf der Spur des Täters. Wir hatten beide die Male des Nachtalben gesehen, der den Studenten angegriffen hatte. Wenn man genau hinsah, konnte man die Spur der Hände verfolgen, wie sie über seinen Oberkörper, seine Arme gekrochen waren und, wie es aussah, auf seinen Schultern gelegen hatten. Das bläuliche Glimmen der Adern war dort am stärksten und malte Muster über das ergrauende Fleisch.

Eine neue Welle an Übelkeit stieg in mir auf und ich war auf einmal froh, weder Kaffee noch Frühstück zu mir genommen zu haben.

„Ich gehe jemanden holen, der uns hilft", kündigte ich mit einem Blick zu Avna, die noch immer bewegungslos auf den Leichnam starrte, an. Ohne Luft zu holen schob ich mich langsam an dem Toten vorbei, Stück für Stück. Ich bezweifelte, dass irgendetwas von meinem Mageninhalt an Ort und Stelle bleiben würde, wenn ich ihn berühren sollte.

Ich ließ Avna zusammengesunken auf der Couch zurück und hoffte, dass sie bei meiner Rückkehr mehr Farbe haben würde. Mein eigener Magen protestierte, während ich zum Lehrertrakt lief, aber ich spürte die Kraft mit jedem Schritt fort von der Wohnung und dem leblosen Körper in meine Beine zurückkehren.

Trotzdem war ich dankbar, als der Personaltrakt in Sichtweite war. Nach einem letzten Sprint klopfte ich an das erstbeste Zimmer, das ich sah. Kaum, dass der Lehrer geöffnet hatte, zog ich ihn auf den Flur und erklärte ihm, was passiert war.

***

Es dauerte über drei Stunden bis die Lehrer gemeinsam mit einigen Vorstandsmitgliedern geklärt hatten, was mit uns allen geschehen sollte – und ob der Verstorbene vor oder nach der Untersuchung fortgebracht werden sollte. Erst als sich eine Traube an Schaulustigen gebildet hatte, wurde die Sache beschleunigt.

Die Akademie der Lichtalben - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt